Predigt-Vaterunser

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Predigt zu Sonntag Rogate - Vaterunser

17.05.2020 Matthäus 6,5-15
Liebe Gemeinde,
wir alle kennen das Vaterunser. Wir beten es in jedem Gottesdienst und in vielen Gemeindeveranstaltungen und vielleicht öfters zu Hause in unserem stillen Kämmerlein. Auch heute im Gottesdienst werden wir es beten. Es ist das Gebet, welches die meisten Christen auswendig können und bei den Konfirmanden gehört es zu dem Grundlernstoff.
Jesus hat es seinen Jüngern und denen die ihm nachfolgten als Mustergebet in der Bergpredigt mitgegeben. Wir lesen es aus Matthäus 6,5-15:
Jesus spricht zu seinen Jüngern und zu den Menschen:
5Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt.
6Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.
7Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen.
8Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.
9Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt.
10Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
11Unser tägliches Brot gib uns heute.
12Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
13Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]
14Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.
15Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.
Matthäus 6,5–15 (LU)
Liebe Gemeinde,
sind wir uns überhaupt noch bewusst, was wir beten, wenn wir das Vaterunser beten? Oder haben wir uns schon so an den Text gewöhnt, dass wir gar nicht mehr über den Inhalt nachdenken. Dabei ist gerade für dieses Gebet, damit wir es überhaupt beten können, erst einmal jemand gestorben! Kein geringerer als Jesus selber!
Darum ist es wichtig, dass dieses so „teure“ Gebet in jeder Hinsicht verdient hat, von uns genauer betrachtet zu werden, was wir beten, wenn wir es sprechen.
Wir wollen es heute morgen einmal im Umkehrverfahren machen. Ein kleines gedankliches Experiment. - Jemand verbietet uns das Vaterunser mit allen seinen sechs Bitten zu beten. Nicht alle Bitten mit einmal, sondern wir müssen lernen immer mit einer Bitte weniger auszukommen:
Noch einmal die Bitten:
Geheiligt werde dein Name
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.
Welche dieser 6 Bitten würden sie zuerst streichen? Auf was könnten Sie verzichten?
Ich bin froh, dass mich niemand zwingt das zu tun, eigentlich ist es schwierig und fast unmöglich. Ich habe da jetzt eine Streichliste. Aber ob sie in der konkreten Situation wirklich so wäre, möchte ich dennoch bezweifeln. Denn das Streichen müssen machte mir deutlich, wie unverzichtbar und kostbar jede einzelne Bitte ist.
Jetzt die Streichliste
1. »Unser tägliches Brot gib uns heute«
Vielleicht weil wir das Brot beim Bäcker kaufen können, weil wir in unserem Leben für die Dinge des täglichen Lebens Gottes direktes Eingreifen nicht mehr brauchen. Zu mindestens denken wir das oft so. Selbst im Kleinen Katechismus heißt es, dass Gott uns das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte gibt. Wir wissen zwar, dass es ohne Gott kein Wachsen und kein Gedeihen gibt und darum auch kein Brot. Und wir wissen, dass Brot mehr ist. Jesus selbst weist uns darauf im Matthäusevangelium in der Versuchungsgeschichte hin (Mt 4,4).
Aber gerade darum verzichte ich auf das Brot. Weil der Mensch mehr noch als vom Brot von Gott her lebt. Ich will also lieber auf Brot als auf Gott verzichten, im Vertrauen darauf, dass mein himmlischer Vater weiß, was »nottut für Leib und Leben«.
Auf der anderen Seite wünschen wir uns sicher ein abgesichertes Leben, vielleicht jetzt in der Corona-Krise ganz besonders und darum kann ich mir gut vorstellen, dass das bei anderen, der letzte Punkt der Streichliste ist.
Die zweite Bitte auf der Streichliste: 2. »Dein Reich komme«
Wenn das Reich Gottes nicht käme, dann ist doch Gott in Jesus jetzt schon mir ganz nah. Darum will ich dankbar sein für das, was Gott uns schon gegeben hat. Dankbar sein für das, was an Reich Gottes schon sichtbar ist in dieser Gemeinde und in meinem Leben. Ich will dankbar auf das sehen, was in den Ländern und Völkern, die über Jahrhunderte hindurch von der Botschaft des Evangeliums geprägt wurden, bereits Wirklichkeit geworden ist in der Sorge um die Schwächsten, in der institutionalisierten Hilfe in Krankheitsfällen und sonstigen Krisen; in der praktizierten Nächstenliebe von Christen und Nichtchristen. Wenn ich nicht um die Vollendung des Reiches bitten darf, dann kann ich dafür danken, dass diese Bitte in der Vergangenheit nicht ohne Erhörung geblieben ist.
Die dritte Bitte auf der Streichliste: 3. »Dein Wille geschehe«
Wenn ich das nicht mehr beten darf, dann kann mir doch niemand verbieten, dennoch nach den Willen Gottes zu leben und zu Handeln.
Wir kennen Gottes Willen. Wir wissen um das, was in seinen Augen gut und was böse ist. Darum können wir Gottes Willen tun in dem Lebensbereich, über den wir verfügen können. Natürlich kommt da der Einwand:
»Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren« (EG 362,2). Das ist richtig, und je mehr wir versuchen, Gottes Willen zu tun, desto mehr erleben wir, wie wichtig diese Bitte ist. Aber die Bitte enthält eben doch auch die Frage und Aufforderung an mich:
Bitte ich dies nur für andere und anderes, oder auch für mich selbst? Und lebe ich diese Bitte? Bin ich bereit, die Erfüllung dieser Bitte mit mir selbst beginnen zu lassen?
Die vierte Bitte auf der Streichliste: 4. »Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen«
Ich verzichte auf diese Bitte im Vertrauen darauf, dass Gott es nicht zulassen wird, dass ich über mein Vermögen geprüft werde, so wie er es zugesagt hat. (1. Kor 10,13); ich verzichte darauf, indem ich mich daran klammere, dass Jesus zu Petrus sagte, dass er für ihn betet, damit sein Glaube nicht aufhöre (Lk 22,31 f.). Denn das kann ja nichts anderes heißen, als dass er die Versuchungen (des Satans!), die zum Glaubensabfall führen können, übersteht. Ich verzichte auf diese Bitte, weil ich darauf vertraue, dass Gott mich selbst dann nicht loslässt, wenn ich schwach werde und in diesem Geprüft werden versage..
Wie bei der vorigen Bitte kann ich meinen Teil dazu beitragen, dass diese Bitte erfüllt wird, indem ich mich selbst nicht mutwillig und vorsätzlich der Versuchung aussetze. Und gerade dieser Hinweis auf die eigene Verantwortung zeigt, wie wichtig diese Bitte ist.
Die fünfte Bitte der Streichliste 5. »Geheiligt werde dein Name«
Das ist die erste und vorrangige Bitte. Das sollte das eigentliche Ziel meines Lebens und des Lebens der Kirche sein: dass der Name Gottes mit Freude, Ehrfurcht, Dankbarkeit und voller Liebe genannt wird, weil wir und alle, die mit uns verbunden sind, in Gott die Ursache alles Guten, Wahren und Schönen erkennen.
Das ist es, wofür die da sind, die Jesus zu sich einlädt, die er zu seinen Jüngern und Nachfolgerinnen macht und die er beauftragt, Licht und Salz in dieser Welt zu sein (vgl. Mt 5,16).
Die Verherrlichung dessen, der uns um Jesus willen Vater ist, ist das eigentliche Ziel christlicher Existenz.
Wenn diese Bitte so wichtig ist, warum dann diese nicht bis zuletzt bewahren? Die Antwort gibt die letzte Bitte, die alle anderen erst ermöglicht und in gewisser Weise in sich einschließt:
6. »Vergib uns unsere Verfehlungen/Schulden, wie auch wir vergeben haben unseren Schuldnern«
Das ist die eine Bitte, ohne die gar nichts geht. Denn das ist die Bitte, deren Vordersatz ich nicht und unter keinen Umständen selbst erfüllen kann, von deren Erfüllung aber alles abhängt.
Wenn die Schulden bei Gott nicht vergeben werden, dann hilft das tägliche Brot nicht, selbst wenn wir genug zum Leben haben;
wenn meine Schuld nicht vergeben wird, dann bleibt für mich das Reich Gottes ein verschlossener Paradiesgarten;
wenn meine Schuld nicht vergeben wird, dann stehe ich als Schuldiger bereits außerhalb dessen, was Gottes Willen ist;
ohne die Vergebung meiner Schulden brauche ich auch nicht darum zu beten, dass Gott mich vor dem Bösen bewahrt; denn ich stecke noch immer mitten im Bösen drin.
Aber diese letzte Bitte können wir nicht selbst erfüllen, weil wir unsere »Schulden « nicht selbst vergeben können,so sehr sich das in der Finanzkrise viele gewünscht und auch mit allerlei Tricks zu erzwingen versucht haben. Die Finanzkrise lehrt deutlich, dass Schulden sich nicht einfach weg tricksen lassen und dass selbst da, wo sie erlassen werden, am Ende doch irgendjemand dafür bezahlen muss.
Auch ein Uli Hoehnes konnte sich seine Schulden beim Finanzamt nicht vergeben. Er hat versucht, dass ihm der Staat durch die Selbstanzeige vergibt.
So sehr der Mensch also darauf angewiesen ist, dass ihm Gott seine Schuld vergibt, so sehr fordert dies den Menschen auch selbst heraus.
Diese Bitte ist die einzige, die an eine Bedingung geknüpft ist, wenn man die nachfolgenden Verse in der Bergpredigt. ernst nimmt. Uns kann nicht vergeben werden, wenn wir nicht vergeben. Die Erfahrung zeigt, dass dies etwas vom Schwersten überhaupt ist.
Wir hatten in dieser Woche in unserer Familie ein Gespräch darüber, wie schwer manchen Holocaust-Opfern und überhaupt Menschen fällt zu vergeben. Aber wer nicht vergeben kann, schadet am meisten sich selbst. Er wird nicht frei um wieder nach vorn zu sehen.
Gerade darum lehrt Jesus im Vaterunser seinen Jünger: Sie sollen erkennen, dass Vergeben nichts ist, was sich sozusagen nebenher auch noch erledigen lässt. Es ist eine teure Entschuldung, von der uns das Evangelium berichtet, weil sie Jesus das Leben kostet und er bereit ist, diesen Preis zu bezahlen.
Jesus als Vorbild
Für unser Beten im Persönlichen im Gemeindlichen und im Beten des Vaterunsers ist es Jesus, der im Garten Gethsemane in seinem eigenen Beten zum Vorbild wird. Das Gebet im Garten ist das Ringen darum, das eigene Wollen mit dem Willen Gottes in Einklang zu bringen, sodass Gottes Wille geschieht (26,39).
Darin wird der Vater verherrlicht und davon lebt der Glaube der Christen. Daraus erwächst die Kraft, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind. Alle anderen Bitten hängen sich an diese eine!.
Gemeinde ist für Matthäus die Gemeinschaft derer, die einander vergeben, weil ihnen vergeben ist. Wem vergeben ist, der kann vergeben. Wer vergeben kann, dem kann vergeben werden. Der ist bereit zur Hochzeit und zum großen Fest.
Amen
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