Die Reformation der Liebe Gottes
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Die Reformation der Liebe Gottes
Die Reformation der Liebe Gottes
Predigt zu Jesaja 62,6-7.10-12 Reformation
Liebe Gemeinde,
es ist still in Jerusalem seit vielen Jahrzehnten und ganz besonders auf dem Zion. Nur Vögel zwitschern auf dem Tempelberg, der
eine oder andere Nager lässt sich blicken und vierbeinige Jäger huschen durch die Ruinen.
Doch ihre leisen Geräusche legen eher ein Zeugnis über das Schweigen in der früheren lebendigen Stadt ab.
Am Rande der Ruinen der einstigen Metropole hausen noch ein paar Menschen in jämmerlichen Hütten. Aber auch über sie hat sich das Schweigen gebreitet. Seit Jahren hört man kein fröhliches und befreiendes Lachen mehr.
Die Steine sind zerbrochen und die Mauern sind eingerissen. Das erinnert daran, dass die Bande zerrissen sind.
Familienmitglieder wurden entführt, ja ein ganzes Volk, der Tempelwurde zerstört und auch die Gerätschaften mitgenommen, die Stadt wurde geplündert.
Es ist schon so lange her, dass niemand mehr von denen lebt, die das miterlebt haben. Aber die Schmach darüber sitzt tief.
Sie hat sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis derer, die da verstreut im Umland wohnen. Ja sie, die Übriggebliebenen, waren es nicht einmal den Besatzern wert genug, mitgenommen zu werden oder gefährlich genug um getötet zu werden. Ihre Vorfahren wurden gar nicht beachtet. Nicht beachtet zu werden, ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.
Was sind sie nun wert, die die jetzt in der Stadt verbliebenen Nachkommen? Besser ist es man schweigt weiter zu der ganzen Sache.
Siebzig Jahre ist es her, dass die Zerstörung der Stadt geschah und die Menschen nach Babylon fortgeführt wurden. Jetzt durften die ersten wieder aus dem Exil heimkehren. Doch sie sind erschüttert von dem, was sie sehen und erleben. Sie sind erschüttert von der Zerstörung. Nichts war mehr heil geblieben. Nicht einmal die früheren Gassen und Straßen waren noch begehbar. Sie sind sprachlos, mutlos und hoffnungslos.
Der einst so prächtige Zionsberg war zur Schutthalde verkommen.
Wen verwundert es, dass sie den anderen Heimkehrwilligen über die Händler den Anderen im Exil verzweifelte Nachrichten zukommen ließen: »Bleibt weg! Bleibt weg! Haltet euch fern von Jerusalem. Nichts mehr erinnert auch nur im Entferntesten an ihre einst so schöne Pracht.«
Ein Fremder kommt nach Jerusalem. Fast über Nacht. Plötzlich ist er da. Er könnte zum Volk gehören, trägt aber die Kleidung der Besatzer und Herrscher. Er wird sogar von Soldaten eskortiert. Nie zuvor hat ihn jemals einer auf dem Zionsberg gesehen. In der Nacht hält er alleine im Mondlicht Ausschau, ist ständig in der Stadt unterwegs, nimmt Maß. Er begutachtet, geht und klettert interessiert an der früheren Stadtmauer entlang, drückt ein paar Zahlen in die Schreibmasse aus Ton, peilt den Daumen, steigt auf den zerstörten Tempelberg, nimmt wieder Maß, begutachtet, betet, schreibt wieder auf.
Am anderen Tage geht er zu den Bewohnern der Hütten und Zelte am Rande der Ruinenstadt. Er bittet sie nicht nur, ihm zu helfen, eine neue Mauer zu errichten.
Es geht ihm um viel mehr. Es geht ihm um die Wiederherstellung der Ehre, der Stadt, der Verteidigungsbereitschaft, und dann um den Aufbau des Tempels, den Ort des Glaubens und besonders dann um die Heimkehr des Volkes, das schon in der Fremde ein anderes geworden ist und sich aber dennoch nach seinem Gott und seiner Stadt zurücksehnt.
Er weiß auch, dass sie das aus eigener Kraft nie bewerkstelligen können. Aber dieser Fremde, der sich zu ihrem Volk zählt, strahlt
eine große Zuversicht und tiefen Glauben aus. Er kann die Menschen motivieren, er kann organisieren, er kann Mut machen und strahlt Hoffnung aus. Er setzt sich selbst ein. Ist bereit Geld und Gut zu opfern. Er will sich selbst und seine Karriere opfern. Dieser Fremde ist Nehemia.
Und es gelingt! Es war ein übermenschlicher Kraftakt, die Mauern neu zu errichten. Die ersten Rückkehrer aus dem Exil helfen dabei.
Aber würden sie die Stadt auch füllen können – und halten? Oder haben sie nur für ihre Besatzer einen neuen Außenposten gebaut? Wer oder was steckt hinter diesem gewaltigen Vorhaben?
Die Verlassenen und nun Überforderten haben immer noch keine
Worte gefunden. Sie sind immer noch stumm,
Wer steckt denn hinter all dem Neuen? Wer ist dann für alle diese Veränderung verantwortlich? Wenn
Wer steckt denn hinter all dem Neuen? Wer ist dann für alle diese Veränderung verantwortlich? Wenn es nicht Gott selber ist und ihnen
nicht zur Seite steht, dann war alles Bemühen um diese Stadt doch vergeblich? Hat sich denn Gott wirklich wieder ihrer erbarmt, wo doch sie und ihre Vorfahren, diesen Gott total missachtet und ignoriert haben?
Aber da erklingt ein Wort, hinein in das Stummsein der Menschen. Da ergreift der Prophet das Wort. Er spricht zu den Verunsicherten.
Seit den Tagen des großen Propheten Jesaja hat niemand mehr gepredigt. Doch nun hört man wieder laut Gottes Wort – aber:
ist es nicht doch Menschenwort.
Gut Gott redet noch nicht. Er redet noch nicht mit der Stadt, die ihm untreu geworden ist, die ihn verlassen hat, nach deren verlorenen Bewohnern Gott so lang vergeblich gesucht hat.
Gott redet noch nicht. Es ist der Prophet, der redet. Auch wenn Gott immer noch schweigt, schweigt er doch schon lange nicht mehr. Sein Handeln spricht längst eine andere Sprache. Es ist die Sprache der Vergebung und die des Neuanfangs. Nun stellt sich uns die Frage: Wie reagiert Zion darauf? Wird Zion, seine einst so geliebte und erwählte Stadt, ihn wieder ablehnen und weiter untreu den anderen Göttern nachgehen? Wird seine Güte wieder ins Leere gehen und mit Füßen getreten werden? Oder wird Gott die mutigen Worte des Propheten als die seinen bestätigen?
Die Antwort von Zion darauf: das Bekenntnis, besonders das Schuldbekenntnis, steht noch aus.
Gott spricht aber schon die Vergebung zu. Das Heil Gottes steht bereits vor den Toren der Stadt. Deswegen liegt es nun an den Menschen der Stadt, zu reden und zu rufen. Es liegt an den Menschen, Gott in ihre Mitte, in ihr Herz einzuladen. Und zu warten, bis er kommt. Ja sie sollen ihn drängen, dass er kommt. Er wartet schon lange darauf, seine Stadt wieder zu finden und liebevoll in seine Arme zu schließen.
Vielleicht so wie Charlie Mackesy gemalt hat in dem Bild „Die verlorene Tochter“ - so als Gegenstück vom verlorenen Sohn, wie sie es im Gottesdienstflyer finden.
Gott wendet sich den Menschen zu, auch denen die ganz draußen stehen. Er nimmt sich zeit und gibt ihnen seien Liebe. Er sagt:
O Jerusalem, ich habe Wächter über deine Mauern bestellt, die den ganzen Tag und die ganze Nacht nicht mehr schweigen sollen.
Die ihr den HERRN erinnern sollt, ohne euch Ruhe zu gönnen, lasst ihm keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder aufrichte und es setze zum Lobpreis auf Erden! Gehet ein, gehet ein durch die Tore!
Bereitet dem Volk den Weg! Machet Bahn, machet Bahn, räumt die Steine hinweg! Richtet ein Zeichen auf für die Völker!
Siehe, der HERR lässt es hören bis an die Enden der Erde: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt! Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!
Man wird sie nennen »Heiliges Volk«, »Erlöste des HERRN«, und dich wird man nennen »Gesuchte« und »Nicht mehr verlassene Stadt«.
6 , ich habe Wächter auf deine Mauern gestellt. Weder bei Tag noch bei Nacht sollen sie still sein, sondern den Herrn an dich erinnern. Ihr Wächter, gönnt euch keine Ruhe! 7 Lasst auch Gott keine Ruhe, bis er Jerusalem wieder herstellt und alle Welt es dafür rühmt.
10 Zieht hinaus, zieht hinaus durch die Stadttore! Bahnt dem Volk, das heimkehrt, den Weg! Schüttet eine auf, räumt die Steine beiseite! Stellt ein auf, das die Völker sehen können! 11 Bis ans Ende der Erde lässt der Herr ausrufen: »Sagt der : Deine Rettung kommt. Der Herr bringt den Lohn für seine Mühe mit: Das Volk, das er befreit hat, zieht vor ihm her.« 12 Dann nennt man sie »das Volk«, »die Befreiten des «. Und du, , heißt »die Begehrte«, »die Stadt, die nie mehr verlassen wird«.
Jetzt kommt Bewegung in das ganze Geschehen, denn der lebendige und der liebende Gott ist auf dem Weg. Er ist auf dem Weg zu uns. Er rennt uns förmlich entgegen. Und denen, die ihn begegnen erfüllt er mit seiner heilsamen Vergebung, Er nimmt sie an und gibt ihnen seine ganze Liebe, bedingungslos.
Was jetzt geschieht ist die wahre Reformation, die Reformation der Liebe Gottes.
Und wir? Wie verhalten wir uns? Verstecken wir uns, vielleicht nicht so sehr hinter irgendwelchen Kirchenmauern, sondern manchmal mehr hinter theologischen Spitzfindigkeiten oder hinter irgendwelchen faulen Argumenten? Beklagen wir, dass es mit der Kirche weniger wird -statt die Chancen und Möglichkeiten zu suchen, die sich uns bieten, um die Gemeinde und Kirche wieder neu aufzubauen?
Soll nicht unser Gottesdienst und unser Gotteslob, die öffentliche Predigt und Verkündigung, alles dazu dienen um dem kommenden Herrn entgegen zu rufen: Zieht aus, zieht aus - aus eurer gemeindlichen Begrenztheit! Zieht aus - aus eurem Schneckenhaus! Bereitet dem Volk den Weg! Martin Luther übersetzte noch verzagt. Er drehte die Bewegung um und hoffte, das Volk würde von sich aus die Kirche füllen: Gehet ein, kommt herein durch die Kirchentore!
Damals hatte er noch Glück, die Menschen kamen, weil das noch nie vernommene Evangelium in der spirituellen und religiösen Lebenswirklichkeit der Menschen eine solche große Anziehungskraft entwickelte. Mit der Reform der Kirche konnte er sie noch gewinnen.
Doch heute ist das ganz anders. Heute kommen die wenigsten hier herein? Wir, die wir schon dazugehören? Dazu die persönlich Eingeladenen und Mitgebrachten. Aber was ist mit den Verlorenen außerhalb unserer Gemeinden? Was ist mit unseren Nachbarn und mit den Fernen? Was ist mit denen, die in den Mehrfamilienhäusern abgegrenzt wohnen? Wir sind heute noch mehr gefragt zu gehen!
Die Wächter auf dem Zion wissen um ihre eigene Verlorenheit, sollten sie nicht ihrem Herrn entgegentreten und in die Welt vor ihren Mauern treten.
Wenn der Gottesdienst in den Mauern keine Fortsetzung vor den Mauern findet, findet dann der HERR überhaupt hinein, wenn er kommt? Ihm liegt so viel an den Verlorenen da draußen. Er sucht sie auf. Er sammelt sie ein. Er nimmt sich Zeit, sie aufzusuchen. »Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her!«
Der sonntägliche Gottesdienst ist für uns Christen ein wichtiges gemeinsames Zuhause, aber wir müssen ihn nicht als Christen in den Alltag verlassen. Dass heißt nicht nur Sonntag Christen sein, sondern auch am Montag und an jedem anderen Tag. Nur so können wir, um beim Bild des Predigttext zu bleiben, die Menschen vor diesen Mauern aufsuchen, ihnen dienen, sie lieben und auf den kommenden HERRN hinweisen.
Begegnen sie uns im Alltag mit unserem Glauben, dann werden sie auch in unsere Tore einziehen, das heißt sind sie bereit auch unserer Einladung in die Gemeinde zu folgen.
Martin Luthers persönlicher Durchbruch zum Evangelium und zu einem einladenden Glauben war mit seinem Überwinden der Klostermauern verbunden. Das war für ihn ein längerer Prozess. Später füllte er sie mit Leben, lebte sogar mit seiner Frau und Familie in den einst geschlossenen Klostermauern im Stile eines offenen Hauses.
Wird unser persönlicher Durchbruch mit dem Überwinden unserer Gemeindemauern zusammenhängen? Unsere Gemeindemauern mit neuem Leben zu füllen, ist eins der schönsten Dinge, die uns als Gemeinde passieren kann.
Das Leben aber mit den Außenstehenden zu teilen, das Reich Gottes unter ihnen zu errichten und dann auch den Gottesdienst mit ihnen zu feiern – auf den Weg dorthin gelangen wir am ehesten, wenn wir Jesus Christus entgegengehen.
Er kam in diese Welt, um sie zu erlösen. Unser lautes Predigen und unser schöner Lobpreis in und auf den Kirchenmauern werden wohl auch eher gehört werden, wenn sie eine Fortsetzung in dieser von Gott geliebten Welt finden. Wir können ja eigentlich gar nicht schweigen!
Amen