Jesus der Suchende und Findende
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Jesus der Suchende und Findende
Liebe Gemeinde,
ist Ihnen das auch schon passiert, dass sie im sprichwörtlichen Sinne „eine Suppe auslöffeln“ mussten, die andere ihnen eingebrockt haben?
Sie mussten die Folgen für Fehler oder für eine Sache tragen, das sie unmittelbar gar nicht zu verantworten hatten, sondern für die andere zuständig waren.
In unserem Predigttext geht es heute einem Mann so. Nur weil er als Blinder von Jesus geheilt wurde und weil er dann einige kritische Fragen an die Pharisäer und Schriftgelehrten stellte, wurde er wieder aus der Tempelgemeinschaft hinausgeworfen. Kaum in die Gemeinschaft aufgenommen, wurde schon wieder aus ihr ausgeschlossen. So kam er nun zu Jesus. Besser Jesus kam zu ihm.
35 Jesus hörte, dass sie den Mann hinausgeworfen hatten. Als er ihn dann fand, fragte er ihn: »Glaubst du an den Menschensohn?« 36 Der Mann antwortete: »Herr, sag mir, wer ist es, damit ich an ihn glauben kann.« 37 Jesus sagte: »Du hast ihn gesehen. Es ist der, der mit dir redet.« 38 Da sagte der Mann: »Ich glaube, Herr!« Und er fiel vor ihm auf die Knie. 39 Jesus sprach: »Ich bin in diese Welt gekommen, um Gericht zu halten: Die nicht sehen können, sollen sehend werden. Und die sehen können, sollen blind werden.« 40 Das hörten einige von den Pharisäern, die bei ihm waren. Sie fragten ihn: »Sind wir etwa auch blind?« 41 Jesus antwortete: »Wenn ihr blind wärt, wäret ihr keine Sünder. Aber jetzt behauptet ihr: ›Wir sehen!‹ Darum bleibt eure Sünde bestehen!«
35 Jesus hörte, dass sie den Geheilten hinausgeworfen hatten. Als er ihn wieder traf, fragte er ihn: »Glaubst du an den Menschensohn?« –
36 »Herr, sag mir, wer es ist«, erwiderte der Mann, »dann will ich an ihn glauben.« –
37 »Du siehst ihn vor dir«, sagte Jesus. »Es ist der, der mit dir redet.«
38 Da rief der Mann: »Herr, ich glaube!«; und er warf sich vor ihm nieder.
39 Daraufhin sagte Jesus: »Dadurch, dass ich in diese Welt gekommen bin, vollzieht sich ein Gericht: Die, die nicht sehen, sollen sehend werden, und die, die sehen, sollen blind werden.«
40 Das hörten einige Pharisäer, die bei Jesus waren. »Sind wir etwa auch blind?«, fragten sie.
41 Jesus gab ihnen zur Antwort: »Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Schuld. Doch ihr sagt: ›Wir können sehen.‹ Darum bleibt eure Schuld bestehen.«
Jesus der Suchende
Da hörte Jesus von dem Disput der Pharisäer, wie sie versuchten, das »Haar in der Suppe« zu finden, die Anklagen gegen Jesus, Beweise dafür, dass er eben nicht der Sohn Gottes sein kann. Er hörte, dass der aufgrund seiner Blindheit Ausgestoßene von den Pharisäern wieder ausgestoßen wurde. Kaum in der Gemeinschaft der Menschen angekommen, wurde er schon wieder ausgegrenzt. Der, der ein »Underdog« war, wurde in einem solchen Maß rehabilitiert und ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen, dass der frühere Bettler argumentativ mit den Pharisäern auf derselben Augenhöhe stand und ihren Fragen standhalten konnte.
Sehr oft kommt in unserem Abschnitt das Wort »hören« vor. Da steht dem Sensationshören der Leute das Hören von Jesus gegenüber: Er hört das »nicht erhörte« Schreien
des Herzens. Und Jesus »fand ihn«, d. h. Jesus hatte ihn gesucht. Er hat ihn gesucht, den Wiederausgestoßenen. Er hörte das Suchen seines Herzens.
Dieses göttliche Suchen durchzieht die ganze Bibel, angefangen vom Gesucht-Werden Adams im Paradies. Gott ist der, der nicht in seiner eigenen Herrlichkeit bleibt, sondern sie verlässt um zu suchen. Zusammengefasst ist das im Gebet Davids: »…ein Volk, um dessentwillen Gott hingegangen ist, sich ein Volk zu erlösen« (1. Chr 17,21). Der »bewegte« Gott, ist der Gott, der hingeht.
Gott wird Mensch in Jesus, kommt in ihm auf unsere Erde. Er, der den Menschen zu seinem Ebenbild geschaffen hat, schafft selbst die Voraussetzung, um mit uns in Kontakt zu kommen. Er kommt und er sucht.
Jesus, der Findende
Als Jesus den Mann findet, der eben aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurde, fragt er ihn: »Glaubst du an den Menschensohn?«
Manchmal hat man den Eindruck, dass die Fragen von
Jesus nicht direkt in den Kontext zu passen.
Natürlich, denn er greift meist nicht die ausgesprochenen Worte auf, sondern Jesus hört das Fragen des Herzens.
Der Blindgeborene hat einen Weg der stufenweisen Erkenntnis von Jesus hinter sich, sein bisheriger Glaube ist durch sein Erleben und durch den Streit mit den Pharisäern ins Wanken geraten. Er ist sozusagen in einer Glaubenskrise. Er weiß, dass Jesus von Gott sein muss. Nun fehlt ihm noch der letzte Schritt. Darum fragt ihn Jesus nach seinem Glauben an den Menschensohn. Dieser Titel ist jedem Juden bekannt. Er wird als der Messias verstanden. Der Menschensohn ist also der noch Kommende, der Zukünftige. Und Jesus identifiziert sich dann in seiner Antwort mit dem Menschensohn.
Die Antwort des Mannes: »Herr, wer ist's? Auf dass ich an ihn glaube« bedeutet: Sein alter Glaube ist zutiefst erschüttert, er gehört nicht mehr zur Tempelgemeinde, er hat nichts mehr zu verlieren. Er ist bereit für einen Herrschaftswechsel.
»Herr, wer ist's?«
Noch ein Gesichtspunkt dieser Frage: Der Blindgeborene wurde sehend, ja, aber er hat nun keine Rhea besucht, um mit der neu gewonnenen, nie gekannten Fähigkeit auch umgehen zu können. Er weiß noch gar nicht seine Augen zu gebrauchen.
Aber er hört die Stimme von Jesus, und er erkennt sie wieder. Diese Stimme, die gleich einer Naturgewalt sein Leben auf den Kopf stellte, diese Stimme, die sich mit unvergleichlicher Barmherzigkeit und Schönheit ihm zu wandte – wie sollte
er die je vergessen können?
Beim Klang dieser Stimme wird ihm warm ums Herz. Der, der ihm eine völlig neue Lebensqualität geschenkt hat, verdient all sein Vertrauen.
An ihn will er glauben.
Und nun zeigt sich Jesus nicht nur als der Suchende, sondern auch als der, der sich selbst offenbart, und zeigt:
Jesus sieht diesen Menschen, der alles gewonnen und alles wieder verloren hat. Er sieht die Sehnsucht seines Herzens. Er sieht in die geöffneten Augen, die sehen und doch noch nicht ganz sehen, und sagt: »Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist's.«
Nicht: »Er steht vor dir, du siehst ihn«, sondern in der
Vergangenheitsform: »Du hast ihn gesehen.«
Es ist bereits wahr geworden:
Die Augen sind geöffnet.
Gemeint ist ein Sehen im Sinne von Erkennen. Der sich offenbarende Gott in diesem Menschensohn verbirgt nicht sein Angesicht vor einem Behinderten, einem Menschen am Rande der Gesellschaft. Gott hat sein physisches Gebrechen geheilt und er hat seine seelischen Gebrechen angerührt und geheilt.
Es ist noch heute so im Nahen Osten: Wer nicht der Norm entspricht, auf dem muss die Strafe Gottes liegen. Er ist einer, bei dem die Menschen große Sünde vermuten. Die Menschen spucken verächtlich vor ihm aus und wenden sich ab. Auch Jesus spuckte vor ihm aus, aber er machte daraus den lebensspendenden Brei, der die toten Augen öffnete.
Jesus hat die schöpfungsmäßige Würde wiederhergestellt und redet den Mann an als sein Gegenüber.
Das ist der Menschensohn: der, der Menschen sucht und Menschen findet. Er ist es.
Jesus, der anzubetende Herr
Da steht nun der geheilte Blindgeborene vor Jesus, dem Menschensohn. Er ist's! Jesus hat ihn gesucht und gefunden.
Und der Blindgeborene erkennt, dass er gesucht und gefunden wurde.
Und zugleich hat auch er gefunden: seinen Schöpfer und Herrn. Er hat den Schöpfer am eigenen Leib erfahren, und nun erkennt er ihn als seinen Herrn an.
Er kann sich nicht mehr wie die Pharisäer in Nebensächlichkeiten wie dem Sabbat verlieren.
Wer Jesus erkannt hat, kann nicht mehr anders, als zu glauben und anzubeten: »Er aber sprach: Herr, ich glaube! Und fiel vor ihm nieder.«
Diesem Menschensohn vertraut er seine ganze Existenz an. Er fällt vor ihm nieder und erweist ihm so die Ehre. Er ist den Weg gegangen, in Jesus zuerst einen guten Menschen zu sehen, einen Propheten.
In der Bedrängnis durch die Pharisäer brachte er dann Jesus in die himmlische Sphäre, als ihm seine Sündlosigkeit, seine Gottesfurcht und sein Tun des Willens Gottes bewusst wurden.
Doch dann hat Jesus ihn gesucht und gefunden.
Und die Anrede von Jesus bringt ihn zum Glauben
an den barmherzigen Gott, den Guten Hirten, der das Verlorene findet und heilt;
an den Gott, der mit seiner Menschheit solidarisch ist, der seine Herrlichkeit verlässt und uns ganz nah kommt;
an den Gott, der das Licht aus der Finsternis hervorgehen ließ, und nun keinen mehr im Dunkeln sitzen lässt;
an den Gott, der Dunkelheit in Licht verwandelt, Verdammnis in Heil und Fluch in Segen;
an den Gott, der uns ohne unser Zutun Heil widerfahren lässt, der zu uns kommt, bevor wir zu ihm gehen.
Wer Jesus so begegnet, von ihm gefunden wird, der kann nur noch die Gottesherrschaft über sein Leben ausrufen, ihn als Herrn anerkennen. Diese Gottesherrschaft findet nicht im Tempel statt, sondern außerhalb, nicht in der Einhaltung der Gebote und Verbote, sondern in der Person des Menschensohnes.
Anbetung
Jesus will jeden von uns anrühren, berühren, will das Verwundete und Kranke mit seinen gnädigen Händen bedecken. Er will unser Innerstes heil machen. In diese Realität stellt er uns hinein: »Du hast ihn gesehen.«
Amen.