Wovon sollen wir träumen?
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Wovon sollen wir träumen?
Wovon sollen wir träumen?
Liebe Gemeinde,
die Musikgruppe Frida Gold brachte vor etwa 2 Jahren einen erfolgreichen Hit heraus: „Wovon sollen wir träumen?“ Im Refrain des Hits heißt es: Wovon sollen wir träumen? Woran können wir glauben? Wo führt das hin? Was kommt und bleibt? So wie wir sind?“
Interessant ist, dass sich hier eine Generation zu Wort meldet, die sich beklagt, dass ihnen Träume, Ziele Werte und Ideale fehlen. Das sagen uns unsere Kinder und unsere Enkelkinder.
Damit werden wir aber gefragt und herausgefordert: „Was ist denn aus unseren Träumen geworden?“
Ist das nicht gerade eine passende Frage für den letzten Tag des Jahres, wo man zusammen sitzt und doch ein wenig Rückblick hält über das, was gewesen ist, an Guten wie an Schlechtem, an Schönem, wie an Schwerem, bevor wir dann morgen wieder die neue Seite eines Jahres aufblättern.
Ein leidenschaftlicher Träumer war Martin Luther King, dessen berühmte Rede „I have a dream“ im nächsten Jahr im August 50 Jahre alt wird.
Ich habe einen Traum.
Im Mittelpunkt seiner Vision stand „Freiheit“. Freiheit, die ein gleichberechtigtes Miteinander von Weißen und Farbigen ermöglicht. Sein leidenschaftlicher Kampf kam aus den schmerzlichen Erfahrungen der Rassentrennungen.
An anderer für den „Freiheit“ Lebensthema ist und damit Lebenstraum ist unser Bundespräsident Joachim Gauck. Für ihn ist es so sehr Thema, dass man ihm sogar vorwarf, er würde sein Demokratieverständnis nur auf das Thema „Freiheit“ begrenzen.
Selbst für die Werbung ist der Begriff Freiheit gut: Mit ihrem Slogan „Wir machen den Weg frei“ versprechen uns sogar Banken das nötige Kleingeld.
In wessen Träumen spielt also Freiheit keine Rolle?
Auch Jesus spricht in seinen Worten von Freiheit und er zeigt uns wo wir, die wirkliche Freiheit für unser Leben finden können.
Wir lesen im Johannesevangelium Kapitel 8 die Verse 31-38:
Johannes 8,31-36
31 Zu den Juden, die nun an ihn glaubten, sagte Jesus: »Wenn ihr in meinem Wort bleibt, seid ihr wirklich meine Jünger,
32 und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.«
33 »Wir sind Nachkommen Abrahams«, entgegneten sie, »wir haben nie jemand als Sklaven gedient. Wie kannst du da sagen: ›Ihr müsst frei werden‹?«
34 Jesus antwortete: »Ich sage euch: Jeder, der sündigt, ist ein Sklave der Sünde.
35 Ein Sklave gehört nur vorübergehend zur Familie, ein Sohn dagegen für immer.
36 Nur wenn der Sohn euch frei macht, seid ihr wirklich frei.«
Liebe Gemeinde,
von Freiheit haben immer wieder viele Menschen geträumt und es gibt unzählige Bericht darüber.
Israel träumte in Ägypten davon und brach unter der Führung des Mose auf.
Afrikanisch-stämmige Sklaven auf den Baumwollfeldern der Südstaaten von Amerika haben uns ihre Lieder über die Freiheit hinterlassen. Die singen wir auch heute noch.
Freiheitskämpfer wie Thomas Müntzer im Bauernkrieg oder der Südtiroler Andreas Hofer sind aus unserer Geschichte nicht wegzudenken.
Und wovon träumen Menschen heute, wenn sie von Freiheit träumen?
Wenn wir bei Google „Freiheit“ und „Jahreswende“ eingeben, erscheint als erstes der Link zur vielleicht etwa 18 bis 20 jährigen Sarah, die von ihrem Freiheitsgefühl berichtet , das sie gerade bei der letzten Jahreswende empfunden hat, weil sie weit weg von zu Hause, als Au-Pair in San Francisco war. Das war für sie Freiheit.
Für andere Jugendliche gehört zum Traum von Freiheit befreit zu sein von der Aufsicht durch die Eltern, die Klamotten anziehen zu, die einem gefallen, und in Facebook zu chatten, wann man das Bedürfnis hat, und natürlich samstags so lange fortzubleiben, wie man es möchte.
So ähnlich ist und war, immer der Traum von Freiheit von Jugendlichen gegenüber ihren Eltern, und es war auch so, als die heute 50, 60 oder 70 Jährigen waren.
"Diese Freiheit möchte ich auch haben", denkt sich da vielleicht die 15-jährige Kathrin. Ihre eigenen Mutter findet sie spießig und viel zu streng.
Da hatte es einen Riesen-Streit gegeben, weil Kathrin sich ein Piercing stechen lassen wollte.
"Das geht nur mit Unterschrift der Eltern" hatte sie erfahren. Und deshalb war sie ganz diplomatisch an die Sache herangegangen, hatte einen ruhigen Moment nach dem Essen gewählt, die Mutter für das leckere Essen gelobt, und dann ganz vorsichtig die für sie wichtigste Frage des Tages gestellt...
Warum für sie das so wichtig ist, wie sie es sich vorstellt, usw., darüber hatte sie gar nichts sagen können, weil ihre Mutter sofort ausgetickt ist.
Einen ganz anderen Traum von Freiheit träumen die Völker der arabischen Staaten in den letzten zwei Jahren sehr aktiv.
Mit Revolutionen, Aufständen, Demonstrationen gehen sie gegen die autoritären Regimes und die politischen und sozialen Strukturen an.
Sie wünschen sich Mitbestimmung, Demokratie, soziale Hilfen gegen Arbeitslosigkeit und Verarmung. Doch wie schnell sich so ein Traum auch wieder ausgeträumt hat, erleben wir gerade wieder in Ägypten.
Noch viele andere Träume von Freiheit sind mir begegnet in diesem Jahr: der Traum, die Schulden könnten abbezahlt sein, endlich frei von dieser jahrzehntelangen Lasten, endlich frei, sich auch mal, was gönnen zu können.
Der Traum vom Ruhestand: 40 Jahre in der Firma, auch am Wochenende . Jetzt Freizeit selbst gestalten können, jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind, in den Tag hinein leben. Die Pläne von der Mittelmeerkreuzfahrt liegen schon lange bereit.
Es gibt noch mehr Beispiele von Träume und ganz unterschiedliche Konzepte liegen diesen Träumen zugrunde. Nicht alle Träume sind realisierbar, das ist vielleicht auch gut so. Aber alle diese Träume haben ihr Recht.
In diesen Stunden der Jahreswende werden manche Träume von Freiheit wach, und wir bewegen sie in unseren Herzen und Gedanken als Pläne und Vorsätze für das neue Jahr. Vielleicht auch wieder neue.
Manche Träume nach Freiheit werden aber auch wehmütig oder bitter zur Seite gelegt. Weil sie zu oft gescheitert sind, oder weil uns die Möglichkeiten fehlen, sie umzusetzen.
In diese Stimmung hinein erreicht uns das Freiheitsangebot Jesu: „Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei."
Es geht um das "Recht frei", Ihr Lieben, damit wird klar: es gibt auch eine Schein-Freiheit.
Die 15jährige Kathrin wird es vielleicht feststellen, spätestens wenn sie 18 ist, dass die ersehnten Freiheiten nur bedingt befriedigend sind. Weil sie ja doch die Beziehung zu ihren Eltern nicht aufs Spiel setzen will, bloß wegen eines Piercings. Und weil die Klamotten teuer sind, und eigentlich will sie auf ein Auto sparen.
Und in den arabischen Staaten wird klar: es ist höchste Sorgfalt nötig, dass Diktatur und Korruption von oben nicht Platz machen für Anarchie, Gesetzlosigkeit, Plünderei von unten.
Wie sieht sie aus, diese Freiheit, zu der Jesus einlädt?
„Wenn ihr bei dem bleibt, was ich euch gesagt habe, seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei."
Frei durch das Bleiben bei ihm, frei durch die Wahrheit, frei durch den Sohn Gottes.
Üblicherweise erwarten wir normalerweise Freiheit durch das Fortgehen:
Man befreit sich, in dem man fortgeht aus dem, was einem so fesselnd und beengend erscheint, so wie der "verlorene Sohn" es versucht, weg aus dem Vaterhaus, weg aus der Bindung, weg aus den Pflichten.
"Bleibt bei dem, was ich euch gesagt habe - diese Wahrheit wird euch frei machen."
Das „Bleiben", von dem Jesus spricht, ist nicht ein Verharren in alten Mauern. Sondern es geht darum, den Worten Jesu auf der Spur zu bleiben, die Wahrheit zu suchen.
Das ist kein Stillstehen oder Stillhalten, sondern es ist eine Bewegung, weil dieser Jesus selbst in Bewegung ist und uns bewegen will zum Aufbruch.
Ein Aufbruch heraus aus unseren schummerigen Ecken, in denen wir uns eingerichtet haben, heraus ans Licht: Denn erkennen kann man nur im Licht.
Dieses Licht, diese Wahrheit, schließt auch ein, dass wir uns selbst erkennen, unsere Fehler, die falschen Wege, die Sackgassen, die wir eingeschlagen haben, bei Licht besehen.
„Die Wahrheit wird euch frei machen."
Erinnert euch, wie befreiend es sein kann, wenn endlich die Wahrheit ausgesprochen ist?
Wenn man nicht mehr mit der Lüge leben muss?
An den Kindern merkt man es immer wieder, wie sie aufatmen, wenn so eine Last von ihnen genommen ist, auch wenn es manchmal weh tut, die zu Bruch gegangene Vase oder die gestohlenen Geldstücke zu beichten.
Wahrheit macht frei. Die Wahrheit über uns. Über unsere Fehler. Über unsere Träume. Über unsere Schmerzen. Aber auch die Wahrheit über ihn.
Wie sie aussieht, die Wahrheit dieses Jesus Christus, das will ich an drei Szenen aus den Evangelien deutlich machen.
Da ist der zwölfjährige Jesus im Tempel. Ein pubertierender Jugendlicher. Der sich von seinen Eltern distanziert. Der zum ersten Mal eigene Wege geht. Als ihn nach drei Tagen Suche die Eltern endlich finden, beim Schriftstudium im Tempel, weist er sie zurecht: „ Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?" Sein Ausbruch aus Konvention und Familie ist also nicht eine Aktion der Befreiung von... sondern „für": für einen Wert, den er höher einstuft, als die Familienbindung.
Daran könnten sich viele Diskussionen zwischen Jugendlichen und Eltern orientieren: Was sind das für Werte, die die Sehnsucht nach Freiheit so groß machen? Worin liegt ihr Gewinn?
Um das zu ermitteln braucht es Geduld, und Bereitschaft zum Gespräch auf beiden Seiten. Dann wird sich immer wieder zeigen, dass das Bedürfnis nach Freiheit oft gekoppelt ist mit dem Versuch der Sinnfindung, der Umsetzung selbst entdeckter Ziele und Werte.
Eine zweite Szene: es ist Feiertag, Jesus lehrt in der Synagoge. Sein Blick fällt auf eine Frau, verhärmt, gebeugt, gekrümmt. „Frau, sei frei..." so spricht er sie an und sie richtet sich auf. Das Wort für „frei", das der griechische Text der Bibel hier gebraucht, enthält den Vorgang des Lösens, die bindende Kraft der Krankheit soll sich lösen. So begegnet Jesus uns immer wieder in den Heilungsgeschichten: der, der das erlösende Wort sagt, die erlösende Geste weiß, Menschen aus ihren Beeinträchtigungen und Bindungen herauslöst.
Dabei ist es ihm auch egal, dass der Synagogenvorsteher ihn der Störung der Feiertagsruhe bezichtigt, denn für ihn steht der Mensch im Mittelpunkt, ihn aufzurichten, ihn zu befreien, darauf kommt es an. Dafür macht er sich auch frei von Gesetzlichkeit und Konvention.
Das dritte Jesus-Bild: Er steht im Kreis seiner Jünger und sendet sie aus. Gibt ihnen eine Packanweisung auf die Reise mit: nichts sollen sie mitnehmen auf den Weg „ als allein einen Stab, kein Brot, keine Tasche, kein Geld im Gürtel, wohl aber Schuhe, und nicht zwei Hemden anzuziehen.": „Wo man euch nicht aufnimmt, und nicht hört, da geht hinaus und schüttelt den Staub von euren Füßen..." (Mk 6, 7-11). Jesus will dass seine Jünger nicht belastet und gebunden sind durch materielle Güter. Das schöne Haus mit Garten, das neue Auto, der Wohlstand, den auch mein Speisezettel ausdrückt, das genieße ich und möchte es nicht missen. Und doch weiß ich: es engt mich auch ein, macht mich abhängig. Es bindet Mittel und Kräfte.
Was ich von Jesus lernen will im Blick auf die Freiheit:
Ich will das Freiheitsbedürfnis des Anderen, auch von Kindern und jungen Menschen ernst nehmen, mit ihnen aber auch die Inhalte und Ziele diskutieren. Für mich selbst will ich immer wieder fragen, wo mich traditionelle Bindungen davon abhalten, mir selbst sinnvolle Ziele zu setzen.
Zweitens: ich will achthaben auf Menschen, die in Bindungen und Verstrickungen leben. Wo und wie kann ich an einer Lösung für sie mitarbeiten? Ich will aufmerksamer mit meinen Mitmenschen sein. Sie ansprechen und aufrichten.
Und drittens: ich möchte zufriedener sein mit dem was ich habe, weniger Kräfte investieren, um es zu vermehren, unabhängiger vom Materiellen werden. Dafür freier werden, etwas wegzugeben, großzügiger werden.
Freiheit, wie ich sie von Jesus Christus lerne, ist auch großzügig, großzügig mit dem umzugehen, was ich habe, andere daran teilhaben zu lassen, Leben auszuteilen. Mich zu öffnen für andere. Ihnen schenken, was mir zugewachsen ist: Zeit und Geld, Gaben und Begabungen.
„Wenn euch der Sohn frei macht, dann seid ihr recht frei."
Ihr Lieben,
das ist kein Appell, das ist die Verheißung eines Freispruchs. Und ein Freispruch ist von völlig anderer Qualität als alle unsere Träume und Bemühungen. Er hat die Macht, Freiheit zu schaffen, frei zu machen von einem Moment auf den anderen.
Wir erfahren heute, noch unter dem Glanz der weihnachtlichen Botschaft: „Jesus ist kommen — der starke Erlöser — er der Sohn Gottes, er machet recht frei" (EG 66).
Sein Freispruch gilt uns Was uns anklagt vor Gott, was uns bindet in Schuld und Versäumnissen, das soll gelöst sein.
Am Ende dieses Jahres tut es mir gut, bei dem Rückblick auf Vieles, was nicht so war wie es hätte sein sollen, diesen Freispruch zu hören.
Und so möchte ich ihn annehmen, diesen Freispruch, für mich, und ihn in Jesu Namen Ihnen zusprechen: dass er die Türen öffnet, die ich nicht aufbringe, die Wege zeigt, die ich nicht finde, dass er mich frei macht von dem, was ich an Bedrückendem und Belastendem mitbringe aus diesen zwölf Monaten - frei von der Sorge um das, was nun kommen wird,
frei für dieses neue Jahr,
frei, ich selbst zu sein,
ein befreites Kind Gottes,
begabt, beschenkt mit 365 Tagen, so Gott will.
Frei sie zu gestalten,
frei zu verteilen und weiterzugeben, was mir gelingt und zuwächst in dieser Zeit.
Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes neues Jahr in solcher Freiheit.
Amen.