Das Leben auf dem Strich (2)

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Das Leben auf dem Strich

Wer über einen Friedhof geht, der entdeckt auf manchen Grabsteinen unter dem Namen lediglich zwei Jahreszahlen mit einem kleinen Strich dazwischen, z. B. 1953 – 2012.
Der Strich zwischen den zwei Zahlen – das war ein ganzes Menschenleben.
Nur ein Strich! Mehr ist unser Leben nicht! Ein kleines Strichlein zwischen zwei Zahlen – so wenig!
Ist das wirklich so?
Auch unser Predigttext bringt uns heute die Vergänglichkeit unseres Lebens vor Augen.
Wir lesen aus Hiob 14,1-6
1 Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
2 geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
3 Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
4 Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!
5 Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
6 so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Liebe Gemeinde,
ist es nicht ein recht unchristlicher Text, den wir hier gehört haben. Ein Text der voller Verzweiflung ist, voller Resignation.
Resigniert und nachdenklich in seiner Mitte bis bitter und vorwurfsvoll am Schluss.
Was will uns Hiob mit diesen Worten sagen?
Dazu ist erst einmal die Lebensgeschichte von Hiob sehr wichtig.
Hiob war ein frommer Mann.
Er hatte viele Kinder und jede Menge Besitz.
Er hatte Freunde, war gesellschaftlich anerkannt.
Wir würden heute sagen: Er war richtig reich und hatte ein gutes Leben.
Doch dann eines Tages kommt der Ankläger der Menschen vor Gottes Thron und sagt zu Gott: „Die Menschen halten nichts von Dir, niemand dient dir oder ehrt dich. Sie richten sich nicht nach deinen Geboten“.
Da sagt Gott: Das stimmt nicht, siehe meinen Knecht Hiob.“
Darauf antwortet der Ankläger: Schön und gut, dass er dich verehrt, den hast Du ja auch mit Gutem überschüttet, er hält nur aus Eigennutz zu dir. Lass mich ihm alles wegnehmen und er wird sich genauso wenig um dich kümmern wie die anderen.“
So erlaubt es Gott dem Ankläger. Hiob verliert allen Besitz und seine Kinder werden getötet.
Und doch hält er weiter zu Gott mit seinen berühmten Worten: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, gelobt sei der Name des Herrn!“
Dann geht der Ankläger mit Gottes Einverständnis weiter.
Hiob wird mit Krankheit geschlagen, mit einer sehr lästigen Krankheit.
Er wird bis auf die Knochen ruiniert und blamiert.
Seine Frau wendet sich von ihm ab.
Er erfährt die tiefsten Tiefen des menschlichen Schicksals.
Dann kommen seine Freunde um ihn zu trösten und ihm zu erklären, wieso dieses Unglück ihn getroffen hat, weist er sie zurück.
Sie sind ihm mehr Belastung als Hilfe und Trost. Jetzt ist er total verzweifelt.
Vielleicht ist es wirklich so, dass wenn einem Menschen in einem Schicksalsschlag begegnen, die alles dann noch besser wissen, dass einem viel mehr zur Verzweiflung bringt, als der Schicksalsschlag selber.
Jetzt kann Hiob nicht mehr und er klagt Gott an.
Einen Teil dieser Klage haben wir als Predigttext gehört.
Da wird das erste Wichtige für uns deutlich, was Hiob tat.
Die Bibel zeigt uns, dass wir in den Schicksalsschlägen unseres Lebens Gott gegenüber klagen können und dürfen.
Wir dürfen ihm gegenüber die Last unseres Lebens und unseres Schicksals abladen.
Hiobs Verzweiflung lässt ihn das Leben und Gottes Handeln darin nur noch schwarz sehen.
Vielleicht geht es uns manchmal auch so in den Schicksalsschlägen unseres Lebens sehen wir nur noch das Leid, welches wir erfahren haben.
Doch ist es nicht so, dass dieser Text genau das benennt, was viele unserer Mitmenschen und mancher von uns im Leben und im Sterben empfindet?
Der Mensch vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
In ganz kurzer und knapper und doch recht bildhafter Weise wird hier die Vergänglichkeit des Menschen dargestellt.
Im Verhältnis zu Gottes Ewigkeit ist es nur eine recht kurze Zeit, die wir Menschen leben. Und doch ist es eine Zeit in der wir mitten im Leben den Tod verdrängen.
Heute wird im Krankenhaus gestorben und da im Einzelzimmer. Das Sterben eines Menschen, und damit der Tod, wird verdrängt, solange es nur geht.
Hiob hat nun nicht nur den Tod im Allgemeinen vor Augen, sondern seinen eigenen Tod.
Der Tod im Allgemeinen würde ihn nicht beunruhigen, das Nichtsein, so meint er, wäre besser als das Sein.
Doch jetzt ist er im ganzen Körper mit diesen bösen Geschwüren bedeckt. Es ist ein Sterben auf Raten.
Jedem von uns wird es so gehen, dass er das Sterben Müssen als eine von ihm zu bewältigende Aufgabe erkennen und annehmen muss.
Mancher hat vielleicht schon - in schwerer Krankheit oder in Todesgefahr anderer Art – seine „Generalprobe“ hinter sich gebracht.
Doch es wird uns deutlich: das Sterben gehört zu den großen Aufgaben unseres Lebens, vielleicht ist es sogar die größte: Gott darin zu ehren, dass wir anerkennen: er hat unsere Zeit in seinen Händen, und dass wir ihm unser letztes Vertrauen schenken, in dem wir in seine Hand fallen lassen.
Hiob jedenfalls konnte es hier noch nicht.
Überhaupt ist es mit dem Leben nicht so, wie es Hiob hier ausdrückt.
Das Leben ist wie eine Blume, die erblüht, und doch ist sie schon mit dem Sterben gekennzeichnet.
Der Ostwind aus der jüdischen Wüste brachte Trockenheit und Dürre mit, so dass die Blume vergehen muss.
Alles ist vergänglich in der Schnelle des Lebens. So schnell. Dass man nicht einmal richtig durchatmen kann.
Haben Sie als Kind einmal Schattenfangen gespielt?
Haben Sie einmal versucht den eigenen Schatten zu fangen oder auch den Schatten des anderen?
Das war natürlich unmöglich.
So ist es mit dem Leben, wir können es nicht festhalten. Es flüchtet vor uns.
Obwohl unser Leben so schnell vergeht, so flüchtig ist, steht es in der Verantwortung vor Gott.
Ein Leben in der Verantwortung vor Gott zu führen. Da wird uns schnell deutlich, der Mensch ist gar nicht fähig, Gott gerecht zu werden.
Er ist nicht in der Lage ein vor Gott gerechtes Leben zu führen. Er ist in Sünde geboren und muss darum in Sünde leben.
Es ist eben so, wie es Hiob ausdrückt: „Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer!“
Darum hatte Hiob hier die Empfindung, dass Gott ihm gegenüber zu einem schrecklichen Verfolger wurde. Zu jemanden, der ihm nach dem Leben trachtet.
Er empfindet das Handeln Gottes für total ungerecht.
So kommt Hiob zu dem Schluss:
Das Schicksal des Menschen sollte einigermaßen erträglich sein. Darum kann man sich nur wünschen, dass Gott wegen der Schnelle der Vergänglichkeit des Lebens wegschaut. Wir, Menschen könnten dann ein bisschen leben, so wie wir es wollen.
Gott soll uns doch in Ruhe leben lassen und sich nicht in die paar Jahre, die er uns zum Leben bestimmt hat, einmischen.
Ein Leben mit ein bisschen Wohlstand und Glück, mit einer liebevollen Familie, mit einer guten Arbeit, mit Freunden.
Vielmehr wünschen sich doch die meisten von uns nicht?
Glück kann es halt nur geben, wenn Gott möglichst weit weg ist und gerade einmal weg sieht und den Menschen in Ruhe lässt. Empfinden wir das nicht auch manchmal so oder?
Doch es ist ein Leben in der Verantwortung vor Gott gefordert, das vor Gottes Gericht bestehen kann. Und dies zu tun, überfordert uns als Menschen.
Das Leben ist kurz, und es ist ungerecht.
Wer möchte bestreiten, dass unser Leid manchmal einfach nicht zu ertragen ist?
Das uns die Schicksalsschläge unseres Lebens uns manchmal zur Verzweiflung bringt?
Die meisten von uns kennen solche Gedanken und auch die tiefe Verzweiflung, die sie begleitet. Verzweiflung, die uns bis an den Rand des Todes führt.
Keiner von uns ist von solcher Verzweiflung frei. Tiefe Verzweiflung kann einen in allen Zeiten des Lebens erwischen.
Wir entdecken heute, dass wir mit Hiob in einer guten Gemeinschaft sind.
Aber dann entdecken wir an Hiob etwas besonderes. In aller Verzweiflung, in aller Klage und Anklage, in allen seinen Schicksalsschlägen, auch wenn er mit Gott richtig derb ins Gericht geht.
Er sagt sich nicht los von Gott, sondern sucht ihn als das Gegenüber.
Er tat das nicht was seine Frau von ihm forderte:
„Hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sage Gott ab und stirb!“ (Hiob 2,9)
Sicher hält er nicht mehr fest in der Gelassenheit des Glaubens, wie er es am Anfang seines Schicksals tat.
Mittlerweile enthält diese Beziehung viele Misstöne, aber er sucht dennoch Gott als das Gegenüber.
Natürlich stehen hier auch solche Fragen im Raum, wie wir sie schon selber gestellt haben:
Ist das das Leben für das Gott uns geschaffen hat?
Freut er sich an unserer Verzweiflung?
Um eine Antwort zu finden, hilft uns der Predigttext selber nicht weiter.
Aber der Blick auf unser eigenes Leben kann uns helfen. Da können wir sehen, dass die Zeit der Verzweiflung auch wieder vorbei geht.
Wenn wir unser Leben betrachten, dann sehen wir, dass es noch anderes gibt.
Wir können uns der Momente und Augenblicke in unserem Leben erinnern, wo wir ganz deutlich die Hilfe Gottes erfahren haben.
Darum gilt beides: Wenn wir Gott manchmal anklagen müssen, weil er uns so Schweres zumutet, so dürfen wir ihm eben auch manchmal danken, weil er uns so Schönes schenkt.
Doch reicht das um mit der Schwere des Lebens leben zu können?
Welche Antwort gibt Gott dem Hiob?
Gott antwortet dem Hiob auf seine Anklage.
Er erklärt ihm, dass er ihn nicht versteht, dass er keine Ahnung davon hat, was er weshalb wie geschaffen hat, dass Hiob nicht die Kraft und die Macht hat, die Gott hat und er deshalb auch nicht Gottes Handeln beurteilen kann.
Hiob erkennt, dass Gott recht hat und er nimmt die Klage mit den Worten zurück: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“ Hiob 42,5
Hiob erfährt die überwältigende Gegenwart Gottes. So kann er jetzt mit dem, was er an Leid erfahren hat umgehen.
Das Leben ist nicht jeden Tag Sonnenschein auch für uns Christen nicht. Wir wissen die Erfahrung des Leides gehört mit zum Leben.
Es kann uns zur Verzweiflung bringen. Und doch wird auch sie aufhören. Dinge des Lebens ändern sich.
Und manchmal im Rückblick auf das Geschehene, möchte man auf keinen Fall darauf verzichten, weil das Geschehene mich verändert hat, in so einer Art und Weise, dass ich das nicht mehr missen möchte.
Wenn es passiert, dass wir in einer schwierigen Situation Gottes Nähe spüren dürfen, wenn es geschieht, dass wir getröstet werden ohne zu wissen wie und warum, wenn aus der belasteten Situation etwas erwächst, was ohne sie so nicht möglich gewesen wäre, dann ist aus dem Bösen noch etwas Gutes geworden.
Es geht mir heute nicht darum eine Leidenssehnsucht zu wecken und auch nicht Gott zu verteidigen.
Wir dürfen bei Schicksalsschlägen Gott unsere Fragen und Klagen hinhalten, wir dürfen ihm unsere Zweifel vorlegen und ihm sagen, dass uns der Glaube schwer fällt und unser Vertrauen schwindet.
Bitten wir Gott, dass, was immer in unseren Leben geschieht, er bei uns bleibt; und dass wir uns darauf verlassen können, dass was immer geschieht, dass die schlimmen Dinge nicht so bleiben wie sie sind.
Dass wir mit der Hoffnung auf die Ewigkeit Gottes leben können:
Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. (Offb. 21,4)
Amen.
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