Predigt - Philemon

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Video - Bibelprojekt Philemon

Einleitung

Der Brief des Paulus an Philemon - ich weiß nicht, wer von euch schon einmal eine Predigt darüber gehört hat. Das liegt vielleicht daran, dass dieser Brief sehr kurz und außerdem sehr persönlich ist. Paulus diskutiert keine großen theologischen Themen. Nicht einmal Kreuz und Auferstehung werden thematisiert, obwohl sie - wie wir gerade in dem Video gesehen haben - den eigentlichen Hintergrund dieses Briefes bilden.
Wie liest man diesen Brief? Was machen wir heute damit? Schließlich geht es hier um einen entlaufenen Sklaven - und ich vermute mal, das kommt in der Lebenswirklichkeit von keinem von euch vor :-). Und wie predigt man darüber?
Nun, zunächst einmal ist es gerade bei diesem Brief enorm wichtig, dass wir ihn als Ganzes lesen. Er hat eine Botschaft. Und die gilt es herauszufinden. Es geht in diesem Brief darum, welche Bedeutung und welche Folgen das Evangelium, also die gute Nachricht von der Versöhnung mit Gott, die durch Tod und Auferstehung von Jesus möglich geworden ist, - welche Bedeutung und welche Folgen dies für uns als Einzelne, unser Miteinander als Christen und unsere Gesellschaft hat.
Ich werde heute einmal etwas Ungewöhnliches wagen. Ich möchte uns diesen Brief auf zwei Ebenen nahebringen. Einmal auf der Ebene des Briefes selbst. Welche Gedanken haben Paulus bewegt? Warum hat er es gerade so geschrieben und nicht anders? Wie bringt Paulus die Botschaft von der Versöhnung so zur Sprache, dass sie in die Situation von Philemon, Onesiums und ihm hinein spricht?
Und die zweite Ebene ist die Frage, was das jetzt heute für uns bedeuten kann. Wie können wir das, was da gesagt wird, in unserer Situation verstehen und umsetzen. Was will Gott uns dadurch sagen?
Um diese beiden Ebenen auseinanderzuhalten, habe ich hier vorne zwei unterschiedliche Bereiche. Da ist einmal das Pult, vor dem ich jetzt gerade stehe. Hier werde ich mit euch darüber nachdenken, was die Aussagen von Paulus in dem Brief an Philemon für uns heute bedeuten.
Und dann ist da dieser Tisch. An dem werde ich sitzen und als Paulus den Brief formulieren. Ich möchte euch so mit hineinnehmen in die Entwicklung der Gedanken in dem Brief und was das für Paulus, Philemon und letztlich Onesimus bedeutet hat. Ich appeliere also heute Morgen an eure Fantasie. Stellt euch einmal vor, wie Paulus damals im Gefängnis an dem Brief überlegt und ihn sorgsam formuliert. Übrigens, noch ein kleiner Nachtrag: Wenn hier vom Gefängnis die Rede ist, dann darf man sich das nicht im modernen Sinn vorstellen. Das war damals eine Form von Untersuchungsgefängnis, also immer eine Zeit der Aufbewahrung vor der eigentlichen Verhandlung. Eine Gefängnisstrafe im eigentlichen Sinn gab es damals nicht. Man wurde entweder zu körperlichen Strafen verurteilt - also Stockschläge, Sklavenarbeit oder dergleichen oder letztlich der Tod, wobei als eine der schlimmsten Strafen der Tod am Kreuz galt - oder freigesprochen. Während dieser Untersuchungshaft hatte der Häftling oft relativ große Freiheiten. Er musste im Regelfall für seine eigene Versorgung sorgen, wobei er natürlich - wenn er nicht besonders wohlhabend war - auf Hilfe angewiesen war. Manchmal war der Gefangene auch in einem privaten Haus untergebracht und wurde von einem oder mehreren römischen Soldaten bewacht, wie das später Paulus in seiner Gefangenschaft in Rom erlebte.
In so einer Situation ist Paulus also jetzt. Er wartet auf seinen Prozess mit unsicherem Ausgang. Und wann der kommt, weiß er ebenfalls nicht.

PAULUS

Das wird ein schwieriger Brief. Wie fange ich den nur an. Wie kann ich Philemon gewinnen, ihn überzeugen und Onesimus helfen? Klar. Am Anfang eines Briefes muss man sich vorstellen. Also schreibe ich wie sonst meistens “Paulus, ein Apostel Jesu Christi”? Nein, ich glaube, das klingt zu unpersönlich. Und es könnte so rüberkommen, als wollte ich Philemon mit meiner Autorität drohen.
Also einfach nur Paulus? Nein, ich glaube ich nehme Philemon mit hinein in die Situation, in der ich mich gerade befinde. Das ist schließlich wichtig für mein Anliegen. Also schreibe ich:
“Paulus, ein Gefangener der Römer”. Aber eigentlich stimmt das ja nicht wirklich. Denn die Römer haben mich zwar gefangen genommen, aber ein Gefangener bin ich ja weil ich Jesus verkündige und an ihn glaube. In Wirklichkeit bin ich “ein Gefangener von Christus Jesus”. Ja, das schreibe ich! Und Timotheus sollte ich erwähnen, denn man soll ja immer zwei oder drei Zeugen haben, wie das Gesetz es sagt. Also beginne ich mit: “Paulus, ein Gefangener Christi Jesu, und Timotheus, der Bruder, an Philemon.”
Und dann sollte ich auch Philemon noch etwas wertschätzender anreden. Philemon, den Bruder? Philemon, den Gemeindeleiter? Ich denke, das Entscheidende ist doch etwas anderes. Es ist die Liebe Christi, die uns verbindet und das sollte gleich am Anfang deutlich werden. Also: “an Philemon, den Geliebten, unseren Mitarbeiter”. Und damit das nicht nur ein privater Brief bleibt, ergänze ich noch: “und an Aphia, die Schwester, und Archippus, unseren Mitstreiter, und an die Gemeinde in deinem Haus.”
Dann muss natürlich der einleitende Gruß folgen: “Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!”.
Und schließlich noch ein paar wertschätzende Worte über Philemon, denn es ist ja wichtig, dass wir einander die Achtung entgegenbringen, die dem Evangelium entspricht. Und Philemon ist ja wirklich ein Mensch, dessen Liebe und Glaube an Jesus und dessen Verhalten gegen die anderen Christen vorbildhaft ist. Also schreibe ich:
“Ich danke meinem Gott allezeit, wenn ich an dich denke in meinen Gebeten, denn ich höre von der Liebe und dem Glauben, die du hast an den Herrn Jesus und gegenüber allen Heiligen”. Also: ich danke Gott allezeit, “dass der Glaube, den wir miteinander haben, in dir kräftig werde in Erkenntnis all des Guten, das wir haben in Christus.”
Ich denke, es ist ganz wichtig, dass Philemon versteht, was Gemeinschaft bedeutet - der Glaube, den wir gemeinsam - miteinander - haben. Denn es ist doch genau diese Gemeinschaft, zu der uns Jesus befähigt und befreit hat. Und die uns vor ihm wirklich alle eins werden lässt - bei aller Unterschiedlichkeit!
Aber jetzt sollte ich zu meinem eigentlichen Anliegen kommen. Wie soll ich es angehen? Ich könnte Philemon mehr oder weniger deutlich mit meiner Autorität als Apostel kommen. Oder damit, dass auch er selbst ja nur durch meinen Dienst zum Glauben gekommen ist und dass er mir daher etwas schuldet? Aber gewinne ich ihn dadurch? Auf der anderen Seite ist es ja so, dass ich von Jesus selbst als sein Apostel beauftragt worden bin. Ich glaube, ich formuliere es vorsichtig:
“Darum, obwohl ich in Christus volle Freiheit habe, dir zu gebieten, was sich gebührt, will ich um der Liebe willen doch nur bitten, so wie ich bin: Paulus, ein alter Mann, nun aber auch ein Gefangener Christi Jesu.” Ich denke, das trifft es wirklich ganz gut. Es macht beides deutlich: meine Autorität und mein herzliches Anliegen. Denn Philemon ist ja wirklich ein geliebter Mitarbeiter, den ich gewinnen will!
Aber nun muss mein Anliegen selbst kommen. Wie kann ich Philemon dazu bringen, Onesimus nicht zu bestrafen, sondern ihn wieder aufzunehmen. Das ist ganz und gar gegen alle gesellschaftlichen Normen. Das macht man eigentlich nicht. Philemon hätte sogar das Recht, Onesimus mit dem Tod zu bestrafen, ob er ihm nun wirklich etwas gestohlen hat oder nicht. Das ist nicht richtig. Dass ein Mensch für einen anderen arbeitet und dafür von ihm versorgt wird, ist das eine. Aber dass er alle menschlichen Rechte verliert und wie eine Sache behandelt werden kann, das entspricht nicht dem Evangelium. Und das muss ich Philemon irgendwie klar machen. Vielleicht verändert das Evangelium auf diesem Weg letztlich sogar die starren gesellschaftlichen Normen, die so ganz und gar gegen Gott und seine Botschaft der Versöhnung gehen?
Vielleicht sollte ich erst damit anfangen zu sagen, welche Bedeutung Onesimus für mich bekommen hat. Dass ich ihn zu Jesus führen durfte und dass er mir jetzt so gute Dienste tut, mich in meiner Zeit im Gefängnis versorgt und mir hilft? Das macht ja einerseits den Wert deutlich, den Onesimus für mich hat und zeigt auch auf der anderen Seite, wie sehr Onesimus sich durch sein Christwerden verändert hat. Ich schreibe einfach:
“So bitte ich dich für meinen Sohn Onesimus, den ich gezeugt habe in der Gefangenschaft, der dir früher unnütz war” - ich glaube, das muss ich fairerweise sagen - “jetzt aber dir und mir sehr nützlich ist”. Wahrscheinlich wird Philemon sich fragen, wieso Onesimus ihm jetzt nützlich sein kann. Das muss ich jetzt also als nächstes erklären:
“Den sende ich dir wieder zurück” - Onesimus kommt also zurück und kann wieder für dich arbeiten. Ich muss schon sagen, dass es mir schwer fällt, ihn zurückzuschicken. Er ist mir so ans Herz gewachsen. Das schreibe ich: “und damit mein eigenes Herz. Ich wollte ihn gern bei mir behalten.” Das klingt natürlich sehr egoistisch. Aber auf der anderen Seite könnte man ja auch argumentieren, dass er mir im Auftrag von Philemon hilft. Vielleicht bringe ich Philemon dadurch auf den Gedanken, Onesimus wieder zurück zu schicken? Ich versuche es mal so: “damit er mir an deiner Stelle dient in der Gefangenschaft um des Evangeliums willen”.
Aber das muss Philemon natürlich selbst entscheiden. Ich schreibe “Aber ohne deinen Willen wollte ich nichts tun, damit das Gute dir nicht abgenötigt wäre, sondern freiwillig geschehe.”
Und selbst wenn Philemon Onesimus nicht wieder zu mir zurückschickt, muss sich doch an dem Verhältnis der beiden etwas ganz grundsätzlich ändern. Es ist nicht in Ordnung, wenn ein Mensch von einem anderen als Besitz angesehen wird, wenn er ohne menschliche Rechte ist. Und noch schlimmer ist das, wenn beide von Gott ein neues Leben bekommen haben, beide Kinder Gottes geworden sind durch das Evangelium. Das muss Philemon erkennen. Es ist noch viel wichtiger als dass ich Onesimus wieder zurückgeschickt bekomme. Wie kann ich Philemon klar machen, dass das für ihn selbst letztlich kein Verlust ist, sondern ein Gewinn? Ich habe eine Idee:
“Denn vielleicht war er darum eine Zeit lang von dir getrennt, damit du ihn auf ewig wiederhättest, nun nicht mehr als einen Sklaven, sondern als einen, der mehr ist als ein Sklave: ein geliebter Bruder, besonders für mich, wie viel mehr aber für dich, sowohl im leiblichen Leben wie auch in dem Herrn.” Mit anderen Worten: Philemon, du verlierst einen Sklaven in diesem Leben und bekommst einen Bruder für die Ewigkeit. Das ist doch ein großartiger Tausch, oder?
Aber es wird Philemon trotzdem schwerfallen. Denn da ist ja einiges zwischen den beiden vorgefallen. Ich habe es bis zuletzt nicht wirklich verstanden, um was es ging. Hat Onesimus ihm jetzt einen Schaden zugefügt, absichtlich? Unabsichtlich? Hat er bei seiner Flucht nur mitgenommen, was ihm ohnehin zustand, oder hat er sich an dem Eigentum von Philemon vergriffen? Vermutlich werden die beiden über diese Frage nicht zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Ich muss das hier ansprechen und klären.
Ich glaube, ich fange noch einmal mit meinem Verhältnis zu Philemon an: “Wenn du mich nun für einen Freund hältst, so nimm ihn auf wie mich selbst.” Das sollte schon einmal ein guter Start sein. Aber das Problem selbst ist damit ja noch nicht gelöst. Ich denke, ich muss es auf mich nehmen: “Wenn er dir aber Schaden angetan hat oder etwas schuldig ist, das rechne mir an.” Das hat ja Jesus mit uns auch getan. Er hat unsere Schuld auf sich genommen und sie getragen. Und als sein Nachfolger will ich das auch tun. Ich will für Frieden sorgen, auch wenn es mich etwas kostet. Jesus hat es ja viel, viel mehr gekostet!
“Ich, Paulus, schreibe es mit eigener Hand: Ich will’s bezahlten.” Ich denke, das ist jetzt absolut wasserdicht. Auf der anderen Seite könnte man natürlich auch argumentieren, dass Philemon mir auch so einiges schuldet. Wenn wir da mal anfangen zu rechnen? Wenn ich daran denke, wie Philemon vor seiner Bekehrung war. Was sich in seinem Leben alles geändert hat. Ist es zu dick aufgetragen, wenn ich schreibe: “dass du dich selbst mir schuldig bist”? Vielleicht kann ich es etwas entschärfen und schreiben: “ich schweige davon, dass du dich selbst mir schuldig bist.” Das klingt besser. Nicht so direkt fordernd. Denn eigentlich geht es mir ja darum, dass wir alle drei, Philemon, Onesimus und ich uns aneinander und an unserer neuen Gemeinschaft in Jesus freuen. Das schreibe ich noch:
“Ja lieber Bruder, gönne mir, dass ich mich an dir erfreue in dem Herrn; erquicke mein Herz in Christus.”
Ich glaube, jetzt ist alles gesagt. Ich sollte noch zum Schluss kommen und Philemon andeuten, dass ich vorhabe, nach meiner Gefangenschaft ihn wieder einmal zu besuchen. Vielleicht schickt er mir dann Onesimus für die Zwischenzeit zurück und ich kann ihn wieder mitbringen. Ich schreibe:
“Im Vertrauen auf deinen Gehorsam schreibe ich dir; denn ich weiß, du wirst mehr tun, als ich sage. Zugleich bereite mir die Herberge; denn ich hoffe, dass ich durch eure Gebete euch geschenkt werde.”
Und dann müssen natürlich noch ein paar Grüße und ein Segenswunsch zum Schluss folgen:
“Es grüßt dich Epaphras, mein Mitgefangener in Christus Jesus, Markus, Aristarch, Demas, Lukas, meine Mitarbeiter. Die Gnade des Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist!”

PREDIGT

Was machen wir jetzt mit diesem Brief? Schließlich ist unsere Situation ja eine ganz andere, als das damals bei Paulus der Fall war. Und doch ist ja auch dieser Brief ein Teil der Bibel, ein Teil des Wortes Gottes an uns. Was können wir lernen von dem Brief? Zwei Dinge möchte ich herausgreifen:

1. Man darf ruhig schlau sein

Ich muss sagen, dass ich jedes Mal total fasziniert davon bin, wie schlau Paulus schreibt. Er will Philemon gewinnen, will sein Herz verändern, nicht nur Onesimus zurückhaben. Und so beginnt er damit, zunächst einmal deutlich zu machen, dass Philemon und er, Paulus, den gleichen Glauben teilen. Er verwendet dafür ein griechisches Wort, “koinonia”, Gemeinschaft. Das Wort bedeutet, dass man gemeinsam an etwas Anteil hat. Wir beide, so könnte man das umschreiben, was Paulus hier sagt, “Wir beide stehen gemeinsam vor Gott und gehören in gleicher Weise zu ihm. Und deshalb gehören wir auch zueinander.”
Und weil das so ist, nutzt Paulus auch ganz bewusst seine Autorität, die er als Apostel und als derjenige, dem Philemon letztlich seinen Glauben zu verdanken hat, nicht aus. Aber er erwähnt es. Ich hätte, sagt er, eigentlich in Christus volle Freiheit, dir zu befehlen, wie du dich zu verhalten hast. Stattdessen stellt sich Paulus ganz an die Seite von Philemon. Um der Liebe willen bittet er, ein alter Mann, der wegen Jesus im Gefängnis ist.
Ich finde das ungeheuer schlau. Paulus will Philemon gewinnen, und so begegnet er ihm auf Augenhöhe. Aber indem er auf seine Autorität, die er eigentlich hätte, hinweist, unterstreicht er sein Anliegen sehr deutlich.
Noch ein zweites Beispiel dafür: Wir wissen ja leider nicht, was zwischen Onesimus und Philemon vorgefallen war, das zur Flucht von Onesimus geführt hat. Und obwohl Onesiums sich bei Paulus bekehrt hat und sicher seine Version der Geschichte erzählt hat, scheint auch Paulus nicht genau zu wissen, wer von beiden in welcher Weise recht hatte. Und so spricht er dieses Thema an, ohne sich auf eine Seite zu stellen. Er sagt nicht: Onesimus hatte Recht oder Du, Philemon, hattest Recht.
Es könnte sein, dass Onesimus durch sein Verhalten Philemon Unrecht getan und Schaden zugefügt hat. Das kann und will Paulus auch gar nicht aufarbeiten. Stattdessen bietet er Philemon an, für einen eventuellen Schaden selbst aufzukommen. Ich will es dir bezahlen, schreibt er.
Und dann ist er wieder sehr schlau: “Ich schweige davon, dass du dich selbst mir schuldig bist.” Also mit anderen Worten: Du kannst mir die Schuld des Onesimus auf die Rechnung schreiben. Ich zahle es gerne. Aber vergiss nicht, wie viel du mir schuldest, weil ich dich zu Jesus geführt habe. Und das stelle ich dir ja auch nicht in Rechnung.
Was macht Paulus hier? Zunächst einmal nimmt er die Spannung heraus. “Wenn Onesimus dir wirklich etwas schuldig ist, dann zahle ich es dir.” Und dann macht er deutlich, dass auch Philemon ein Schuldner ist, und zwar Paulus gegenüber. Ich denke, Paulus will hier zeigen, dass wir umdenken müssen. Wir sollten nicht mehr fragen: “Was schuldest du mir”, sondern umgekehrt fragen: “Was schulden wir einander?” Denn wenn wir uns alle als Menschen verstehen, die von Gott abhängig sind, die von ihm beschenkt sind, dann werden wir nicht mehr anfangen, kleinlich abzurechnen, was der andere mir schuldet. Jesus hat das ja in dem Gleichnis von dem Knecht erzählt, der eine ungeheuer große Schuld erlassen bekommen hat und dann nicht bereit war, einem Mitknecht seine viel kleinere Schuld zu erlassen. Das zeigt Paulus hier auf ganz geschickte und schlaue Art und Weise und wendet es auf seine Situation an.
Man darf also ruhig schlau sein … ! Wir finden viele solche Beispiele in der Bibel. Menschen, die sich klug und weise verhalten und so ihre Ziele viel besser erreichen, als wenn sie mit Gewalt oder Zwang gekommen wären. Ich denke es ist das, was Jesus meint, wenn er sagt: “Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.”
Das ist das erste, was ich an diesem Brief lernen kann: Man darf ruhig schlau sein. Aber dabei muss man offen und ehrlich bleiben.

2. Das Evangelium verändert von innen

Man wundert sich manchmal, warum das Neue Testament so wenig direkt auffordert, die Gesellschaft zu verändern. Wir finden keine Aufforderung, die Sklavenhaltung abzuschaffen. Es gibt auch keine Aufforderung, die unterschiedlichen Klassen der römischen Gesellschaft zu bekämpfen. Das Neue Testament fordert keine Revolte. Wohl aber eine Revolution der Herzen.
Wir waren ja als Gemeinde am letzten Sonntag im Kino. Das war eine der Kernaussagen aus dem Gespräch zwischen Jesus und Matthäus. Jesus sagte, dass er eine Revolution will und Matthäus fragte, wie das denn möglich ist, wenn man gleichzeitig seine Feinde lieben soll. Darauf erwiderte Jesus, dass es keine Revolte ist, die er will, sondern eine Revolution. Eine Veränderung, die von innen heraus anfängt.
Und genau das hat die gute Botschaft von Jesus gemacht. Sie hat die Kraft, Gesellschaft zu verändern. Aber nicht durch Umstürze und Revolten, sondern durch Veränderung der Herzen. Am Beispiel von Onesimus und Philemon:
Paulus weiß, dass es auf dieser Welt keine wirkliche Form von Gleichheit aller gibt. Dass alle dasselbe zu sagen haben und alle die gleichen Rechte, alle die gleiche Macht, alle die gleichen Finanzen - das ist eine Utopie. Es wird immer Menschen geben, die Entscheidungen treffen, Menschen, die führen und leiten. Und Menschen, die folgen und gehorchen. Auch als Christ kann ich nicht zu meinem Chef gehen und sagen, dass wir vor Gott doch alle gleich sind und ich deshalb mache, was ich will.
Alle Revolten der Weltgeschichte, die versucht haben, dies zu ändern, haben letztlich wieder nur zu noch mehr Ungerechtigkeit und Abhängigkeiten geführt. Das Evangelium, die gute Nachricht von der Erlösung durch Jesus Christus, ruft daher nicht zu Revolten und Umstürzen auf. Es verändert stattdessen die Gesellschaft von innen, durch eine Veränderung des Herzens.
Onesimus war ein “Kind” von Paulus geworden, d.h. er hatte sich durch die Botschaft von Paulus bekehrt, war Nachfolger von Jesus geworden. Dadurch war er ein Bruder von Paulus und letztlich auch Philemon. Aber Paulus nutzt das nicht, um dem Philemon zu sagen, dass er jetzt keinen Anspruch mehr hat, dass Onesimus zu ihm zurückkehrt. Er schickt ihn sogar zurück zu ihm. Aber er ermutigt Philemon, ihn nun nicht mehr als Sklaven anzusehen, sondern als einen geliebten Bruder. Onesimus ist immer noch ein Diener und Paulus bittet sogar darum, dass Philemon ihn wieder zu ihm zurückschickt, damit er nun Paulus helfen kann. Aber er ist kein rechtloser Sklave mehr, sondern ein geliebter Bruder.
Das verändert alles. Von innen heraus. Das hat irgendwann dazu geführt, dass Sklaverei als solches abgeschafft wurde. Es hat dazu geführt, dass in den Familien nicht mehr der Hausvater das Recht über Leben und Tod hatte, sondern man sich als gemeinsam von Gott abhängig verstand. Es hat die Gesellschaft tiefgreifend verändert.
Diese Kraft hat das Evangelium auch heute. Es verändert von innen. Und damit ist es tiefgreifender und zugleich heilsamer als alle Umsturzversuche der Weltgeschichte. Radikaler, weil es an die Wurzel geht - das menschliche Herz - und dieses Herz verändert.
Aber diese Veränderung geschieht nicht automatisch. Paulus musste Philemon auffordern, umzudenken. Nicht mehr zu fragen, was Onesimus ihm schuldet, so wie auch Paulus die Schuld des Philemon nicht einforderte. Gott verändert Herzen. Aber er wartet darauf, dass wir dies an und in uns geschehen lassen.
Wo möchte Gott dich heute verändern? Gibt es jemand, der dir etwas schuldig geworden ist? Jemand, der dich verletzt und dir weh getan hat? Vielleicht musst du von Paulus und Philemon lernen. Manchmal müssen Dinge geklärt und aufgearbeitet werden. Aber manchmal ist es auch besser, sich bewusst zu machen, wieviel man selbst oft schuldig bleibt. Wo man selbst Gott und Menschen gegenüber Schuldner ist. Und dann anzufangen, seinem Mitmenschen zu vergeben und ihn als geliebten Bruder oder geliebte Schwester anzunehmen. Denn Gott will auch heute noch das Gleiche: er will unsere Herzen verändern, damit wir uns und unsere Umgebung verändern.
Wir feiern nachher Abendmahl. Nutz doch heute diese Zeit einmal darüber nachzudenken, welche Schuld Gott dir erlassen hat. Und überlege, wo jemand in deinem Umfeld an dir schuldig geworden ist. Welche Schuld du erlassen solltest, weil ihr gemeinsam Kinder des lebendigen Gottes seid, der euch beiden die Lebensschuld vergeben hat. Denk an diesen Knecht, der so viel Schuld erlassen bekommen hat. Und dann schau den Menschen an, der an dir schuldig ist. Je mehr wir begreifen, wie viel uns vergeben wurde, umso eher können wir auch selbst Menschen sein, die vergeben. Und das ist dann diese Revolution der Herzen, die Jesus wollte und immer noch will.
Amen
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