Gottes Barmherzigkeit gilt allen
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Gottes Barmherzigkeit gilt allen
Gottes Barmherzigkeit gilt allen
Römer 11,25-31
Liebe Gemeinde,
einmal im Jahr werden wir aufgerufen, uns zu erinnern. Wir werden aufgefordert, nachzudenken über unser Verhältnis zu Gottes geliebten Volk Israel. Und in diesem Jahr, dem 60 Jahr der Gründung des Staates Israel. wollen wir uns in besonderer Weise erinnern.
Dabei denken wir auch an die Wurzeln unseres christlichen Glaubens? Wie ist er entstanden? Woher ist er gekommen? Wo liegen seine Wurzeln?
Einmal im Jahr, am sogenannten Israelsonntag, erinnern wir uns.
Da wird heute unsere Herkunft als Glaubende in den Mittelpunkt gerückt. Und deshalb richten wir den Scheinwerfer auf Israel, auf seinen Bund mit Gott, auf den ersten Bund.
Der uns heute dazu unseren Blick schärfen will ist der Apostel Paulus. So hören wir heute seine Worte aus dem Römerbrief, Kapitel 11:
25 Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist;
26 und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja 59,20; Jeremia 31,33): »Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob.
27 Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.«
28 Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.
29 Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen.
30 Denn wie ihr zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen ihres Ungehorsams,
31 so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit erlangen.
32 Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Die Wurzeln unseres christlichen Glaubens liegen im Bund Gottes mit seinem Volk Israel.
Ohne diesen ersten Bund gäbe es auch den zweiten Bund für uns Christen nicht. Ohne das Volk Israel und seine Hoffnung und seine Geschichte mit seinem Gott gäbe es keinen Messias, keinen Jesus Christus, der uns in die Nachfolge ruft. Ohne dieses Erste, gäbe es keine Christen, keine Kirche, keine Gemeinde, kein Neues Testament, keine Jesusgeschichten, kein Weihnachten, kein Ostern, keine Taufe.
So wird uns heute in besonderer Weise deutlich Wir sind Kinder des Judentums, herausgewachsen aus dem Glauben des Alten Testamentes, der der Glaube auch des Juden Jesus war.
Warum ist das für die Christen in Rom und auch für uns heute so wichtig? Warum sollen wir uns das immer wieder bewusst machen?
Schon deswegen, weil Christen schon gleich am Anfang – begonnenen haben, herablassend auf Israel und seinen Glauben zu blicken. Weil sie erfüllt von eigener Heilsgewissheit meinten, dass die Juden, die sich nicht zu Jesus bekennen, auf dem falschen Weg seien. Ja, sie meinten sogar, Gottes Zusage gelte den Israeliten nicht mehr und Gott habe sich von seinem Volk und von seinem Bund abgewandt.
Darum musste sich auch der Apostel Paulus mit dieser Frage auseinandersetzen: Sind nicht die Juden jetzt verworfen? Sind sie herausgefallen aus Gottes Erbarmen?
Im Predigttext ringt Paulus mit diesen Fragen. Als geborener Jude versteht er eben nicht, warum seine jüdischen Glaubensgeschwister nicht Christen werden, warum sie nicht an Jesus als den von Israel erwarteten Messias glauben können.
Für ihn ist dieser Zustand, des Nichtglaubenwollens, etwas Vorübergehendes, so, als schlösse jemand für einen Moment seine Augen und könne nur für diese kurze Zeit nicht sehen. bis Gott auch gehandelt hat an den Heiden-Völkern.
Nur so lange, und dann wird offenbar werden, dass alle gerettet sind, auch Israel, die Juden und die Christen. Gott lässt niemanden fallen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Das schreibt der Apostel Paulus;
Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Darum werden wir heute in besonderer Weise daran erinnert, das zu betrachten und diese Treue Gottes, von dem Paulus spricht, in uns aufzunehmen und uns von seiner Barmherzigkeit den Blick auf unsere jüdischen Brüder und Schwestern und das Herz für sie weiten zu lassen.
Dieses Erinnern, dieses Nachdenken, sollte nicht nur heute geschehen, sondern immer wieder. Denn wenn es nicht immer wieder geschieht, dann kann sich die Unbarmherzigkeit Bahn brechen, wie schon so oft in der Geschichte des Christentums. Dann kann aus der Enge des Denkens und des Herzens Ungerechtigkeit, ja Böses erwachsen. Dann kann Unmenschlichkeit herrschen und wir merken es nicht mal. Dann kann das Menschen sogar den Tod bringen und das Leben derer, die dabeistehen, für immer zeichnen.
Damit wir das verstehen, damit wir merken, welche unmenschlichen Folgen es haben kann, wenn wir als Christen engherzig meinen, „erwählt“ zu sein und die Juden herablassend für „verworfen" halten, möchte ich Euch eine Geschichte erzählen, die ich in der Vorbereitung der Predigt gefunden habe. Sie ist ein Gleichnis dazu aus unserer jüngsten Vergangenheit.
Sie spielt in Litauen 1941. Die Deutschen hatten damals beschlossen, dass in der kleinen Stadt Eisysky alle jüdischen Menschen sterben sollten. Man wollte sie dort nicht mehr. Man schrieb ihnen alles Schlechte zu, was Menschen hervorbringen können. Man legte allen Hass auf sie, den man empfinden kann. Man machte sie zum Sündenbock, allein deshalb, weil sie Juden waren.
Auf dem alten jüdischen Friedhof der Stadt mussten sie eine Grube ausheben. Als die fertig war, stellte man sie nackt an den Rand dieses großen Grabes und erschoss sie. Zweitausend, dreitausend Menschen. Unter diesen Juden auf dem alten jüdischen Friedhof von Eisysky befand sich auch einer der Lehrer des Stetl, der Reb Michalowsky, mit seinem jüngsten Sohn Zwi, sechzehn Jahre alt.
Nackt am Rand des offenen Grabes stehend, hielten sie sich bei den Händen und versuchten, sich während ihrer letzten Minuten gegenseitig Trost zu spenden. Der junge Zwi zählte die Kugeln und den Abstand zwischen den einzelnen Salven. Als das Erschießungskommando seine Gewehre anlegte, stürzte Zwi einen Sekundenbruchteil, bevor die Salve ihn traf, ins Grab. Er fühlte die Körper sich über ihm auftürmen und ihn bedecken. Er fühlte Ströme von Blut um sich herum und die sterbenden Körper unter sich.
Es wurde dunkel und kalt. Das Schießen ließ nach. Zwi arbeitete sich unter den Körpern aus dem Massengrab hervor in die kalte, tote Nacht. In der Ferne konnte Zwi die Leute hören, die singend und saufend ihre große Tat feierten. Am 26. September 1941, nach 800 Jahren, war Eisysky „judenfrei':
Am anderen Ende des Friedhofs in Richtung große Kirche gab es ein paar christliche Familien. Zwi kannte sie alle. Nackt und blutbesudelt klopfte er an die erste Tür. Sie öffnete sich. Ein Bauer stand da mit einer Lampe in der Hand. „Bitte, lassen Sie mich ein", flehte Zwi. Der Bauer hielt die Lampe empor und musterte den Jungen eingehend. „Jude, geh zurück ins Grab, wo du hingehörst!", schleuderte er Zwi ins Gesicht und knallte ihm die Tür vor der Nase zu. Zwi klopfte an andere Türen, die Antwort war die gleiche.
Am Waldrand lebte eine Witwe, die Zwi kannte. Er entschloss sich, an ihre Tür zu klopfen. Die alte Witwe öffnete. In ihrer Hand hielt sie ein brennendes Stück Holz. „Lass mich ein!", bettelte Zwi. „Jude, geh zurück ins Grab auf dem alten Friedhof!" Sie drohte Zwi mit dem brennenden Holzscheit, als ob sie einen bösen Geist austreiben wollte. Da sagte er in seiner Verzweiflung zu ihr: „Ich bin euer Herr Jesus Christus, ich bin vom Kreuz herabgestiegen. Seht mich an - das Blut, die Schmerzen, das Leiden der Unschuldigen. Lasst mich ein!" Da bekreuzigte sich die Witwe und fiel zu seinen blutigen Füßen. „Mein Gott, mein Gott", stammelte sie, immer wieder sich bekreuzigend. Die Tür wurde geöffnet. Zwi trat ein. Er versprach, ihre Kinder zu segnen, ihren Hof und sie selbst, doch nur unter der Bedingung, dass sie seinen Besuch drei Tage und drei Nächte lang geheim halten würde und es keiner Menschenseele enthüllte, nicht einmal dem Pfarrer.
Die Witwe gab ihm Kleider, Essen und warmes Wasser, um sich zu waschen. Bevor er das Haus verließ, erinnerte er sie noch einmal daran, dass der Besuch des Herrn ein Geheimnis bleiben muss, und zwar seiner besonderen Mission auf Erden wegen.
In Bauernkleider gehüllt und mit Nahrungsvorräten für mehrere Tage versorgt, gelang es Zwi zu entkommen. Es war hart, aber er überlebte. Später wanderte er nach Israel aus. Er ist gerettet worden, doch sein Leben bleibt gezeichnet. (nach Yaffa Eliac, Träume vom Überleben)
Das ist eine harte Geschichte. Bitter und abgründig. Wer ist darin auf dem falschen und wer auf dem richtigen Weg? Wer ist erwählt, wer verworfen? Wer ist blind und wer sehend? Wem ist Gott nahe?
Der Gott unseres jüdisch christlichen Glaubens ist seit jeher bei den Schwachen gewesen, bei den Leidenden und Entrechteten. Im ersten Bund und dann ganz menschlich greifbar in Jesus Christus.
Wann immer Christen diesen Weg des Christus und seines Gottes verlassen haben und sich für solche hielten, die größer, angesehener, erwählter sind als Gottes Volk Israel, und wann immer sie sich für die hielten, die verurteilen, abwerten und strafen dürfen, immer dann ist die Unrechtsgeschichte zwischen Christen und Juden fortgeschrieben worden - und die Liste ist lang.
Die Geschichte von Zwi zeigt uns den leidenden Christus, der bei den Leidenden ist und durch sie zu uns spricht.
Der da ist uns begegnet im Gesicht unseres Nächsten. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst ... ist ein alttestamentliches Gebot, ein jüdisches Gebot aus dem dritten Buch Mose (19,18). Es ist auch ein Gebot des Neuen Testamentes, welches Jesus noch einmal in besonderer Weise betonte.
Im Alten Testament liegen unsere Wurzeln als Christen und von dorther kommt Jesus zu uns.
So wie der Apostel Paulus damals schon, das menschlich Schwache erkennend, mit einem weiten Horizont schrieb: Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. (...) Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich aller erbarme.
Er erinnert uns daran aus der Barmherzigkeit Gottes heraus, miteinander zu leben, so wie Gott es will.
Amen.