Ein Gott zum Selbstbauen

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Ein Gott zum Selbstbauen

Liebe Gemeinde,
die Wüste lebt. Das ist der Titel eines Filmes aus dem Jahr 1953 von James Algar. Hier berichtet er aus den Wüstengebieten des Kaskadengebirges/USA und in der Sierra Nevada/USA. Es ist der erste lange Dokumentarfilm der Walt Disney-Studios und wurde ein Welterfolg. Der Film zeigt die Lebewesen der Wüstenregion zu Beginn der Regenzeit, wobei eine wirkungsvolle Inszenierung der Geschehnisse im Vordergrund steht.
Die Wüste lebt.
Doch es ist eine andere Wüste und auch schon vor 3200 Jahren. Am Fuß des Berges Sinai herrscht ein wildes Treiben. Schon von weitem hören wir seltsame Geräusche. Es ist das Geschrei einer großen Menge. Tobt hier etwa eine Schlacht? Oder steigt da eine Party? Ist das Kriegsgeschrei oder ein Festgesang? Je näher wir kommen, desto eindeutiger wird es für uns: Hier feiert eine große Menge ein rauschendes Fest. Die Sonne sticht vom Himmel herab, aber da unten am Fuße des Berges wird gegessen und getrunken, wird getanzt, gelacht und gefeiert. Und wie betrunken taumelt eine große Menge im Kreis um ein goldenes Stierbild herum. Es glänzt in der Sonne und spiegelt ihre Strahlen. Um genau dieses Tier dreht sich buchstäblich alles. Vor ihm fallen sie nieder. Sie tanzen ihm; sie singen ihm ihre Lieder. Ihm bringen sie ihre Opfer dar. Das steigt Rauch auf. Und es ist ein bestialischer Gestank ist schon von weitem zu riechen. Der Gestank von verbranntem Fleisch. Der Lärm, den die Menschen machen, ist ohrenbetäubend. Was ist das für ein barbarisches Volk? Das kann doch nur ein heidnisches Volk sein; gegossene Stierbilder wie dieses werden doch nur in Ägypten verehrt.
Doch dann hören wir genauer hin. Die Sprache ist eine andere. Man spricht hier hebräisch.
Und dann entdecken wir, das sind ja Israeliten, Hebräer, die vor kurzem noch als Sklaven in Ägypten waren. Und dann erkennen wir etwas abseitsstehend Aaron, den Bruder des berühmten Moses. Er schaut sich das Treiben an, nur widerwillig macht er mit, aber schließlich lässt sich doch mitreißen. Und von Mose, dem großem Führer selbst ist nichts zu sehen keine Spur.
Kein Wunder, denn Mose ist ja nicht da unten. Er ist noch auf dem Berg, um Gottes Gebote zu empfangen. Aber – das werden wir gleich hören –Mose erfährt dennoch, was da unten in der Wüste abgeht. Denn der lebendige Gott sieht es selbst, was da und los ist und was Israel treibt, und er selbst sagt es dem Mose:
7 Der HERR sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt.
8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat.
9 Und der HERR sprach zu Mose: Ich sehe, dass es ein halsstarriges Volk ist.
10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie vertilge; dafür will ich dich zum großen Volk machen.
11 Mose aber flehte vor dem HERRN, seinem Gott, und sprach: Ach HERR, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast?
12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem grimmigen Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst.
13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig.
14 Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte.
2. Mose 32, 7-14
Es schreit im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel das Geschrei des Volkes Israel am Fuße des Berges. Was hier geschieht, ist verhängnisvoll. Es ist eine der großen Schicksals- und Schlüsselgeschichten des Alten Testaments. Es geht um Gott und sein Volk, und damit auch um geht es auch letztlich um uns heute. Es geht um eine Beziehung, die zerbrochen ist und doch erhalten bleibt.
Schauen wir uns darum dieses Geschehen einmal genauer an, dann entdecken wir zuerst:
1. Ein unheilvoller Tausch
Das Volk Israel will ein Bild seines Gottes haben. Der Mose ist weg, seit Wochen schon auf dem Berg. Das Volk fühlt sich führerlos und allein gelassen. Aaron und Mirjam sind nicht so richtig dafür geeignet. Dass Gott das Volk aus Ägypten geführt hat, durch das Schilfmeer, befreit aus der Sklaverei – das ist ja nun schon längst alles vorbei. Schnee von gestern würden wir heute sagen.
Doch jetzt kommen Fragen und Zweifel auf: War das wirklich Gott? Und überhaupt: Welcher Gott war es?
»Wir wollen ihn sehen, wie er vor uns herzieht«, sagen sie. Aaron, den Mose als Stellvertreter eingesetzt hat, weist ihren Wunsch nicht zurück. »Bringt das Gold, das eure Frauen und Kinder tragen«, sagt er und tut damit mit. Und das ganze Volk reißt sich den Schmuck vom Leib. Daraus gießt er ein Stierbild. Aaron will trotzdem ein Fest für Jahwe feiern, den einen lebendigen Gott. Aber das Bild verselbständigt sich. Der Götze entfaltet seine Macht und zieht das Volk in seinen Bann. Das auserwählte Volk wählt seinen bisherigen Gott ab. So wie ein Bundeskanzler oder Ministerpräsident bei uns heute abgewählt wird.
Es zieht dem lebendigen Gott ein Stierbild vor und betet es an.
Das ist ein verhängnisvoller Entschluss, ein buchstäblich unheilvoller Tausch.
Der lebendige Gott wird eingetauscht gegen ein Stierbild.
Sind wir doch ehrlich! Auch bei uns heute kann das schneller geschehen als wir ahnen. Davor sind auch wir nicht frei.
Stellen wir uns doch einmal selbst die Fragen: Worum dreht sich unser Leben? Worum kreisen unsere Gedanken? Was stellen wir in den Mittelpunkt unseres Alltags?
Wir merken nur zu schnell, dass wir gar nicht so weit weg sind vom Volk Israel. Es könnte sein, dass auch wir als Gemeinde einem heidnischen Volk zum Verwechseln ähnlich sehen. Dass man die gleichen Bilder bei uns sieht, die gleichen Gesänge hört wie bei allen anderen auch. Es könnte sein, dass sich unser Leben um ein Stierbild dreht – und wir merken es nicht einmal.
Vielleicht haben wir Gott schon längst eingetauscht gegen unser Auto. Vielleicht ist unser Häuschen längst zum Mittelpunkt unseres Lebens geworden. Vielleicht dreht sich alles bei uns nur ums Geschäft. Nein, es sollte kein Ersatz für Gott erden, aber es hat seine Macht entfaltet und uns dann so in den Bann gezogen, dass wir nicht mehr loskommen. Vielleicht sind wir nur noch auf unseren guten Ruf bedacht. Alles, was wir tun – selbst in der Gemeinde –, tun wir darum: um angesehen zu sein, um anerkannt zu werden. An sich und für sich nichts Schlechtes, sogar mehr als verständlich, aber eben nicht das Zentrum.
Was ist das Zentrum? Zentrum für uns Christen ist, dass wir Gott zur Ehre leben.
Ihm ganz vertrauen und uns auf ihn verlassen. »Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.« Die entscheidende Frage ist: Woran hängen wir unser Herz? Vor wem fallen wir nieder?
Martin Luther beschreibt es weiter: »Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.« Lassen wir uns von Israel warnen und setzen wir nichts an Gottes Stelle. Das wäre ein unheilvoller Tausch.
2. Ein heiliger Zorn
Ja, da wird Gott nun zornig – und mit Recht. Dass sein Volk sich von ihm abwendet, dass er abserviert wird wie eine kalt gewordene Suppe – das schmerzt ihn zutiefst.
Er ist nicht beleidigt, aber enttäuscht, verletzt. Denn er liebt sein Volk Israel. Aber dieses Volk hat seine Liebe verraten. Die Beziehung ist gestört, zerbrochen. Das lässt Gott nicht kalt. So heiß und innig er liebt, so heiß entbrennt auch sein Zorn. Deshalb kann er Israel nicht mehr als »sein« Volk ansehen.
Gott ist also kein cooler Typ, den so schnell nichts erschüttern könnte. Gott lässt nicht gelassen alles an sich abtropfen und drückt dann ein Auge zu.
Nein, im Gegenteil: Er sieht genau hin. Er sieht sich genau an, was da am Sinai passiert. Und was dort in seinem Volk geschieht, berührt sein Innerstes. Es dreht ihm sprichwörtlich das Herz um.
Weil Israel einen Platz im Herzen Gottes hat, trifft ihn die Sünde des Volkes ins Herz. Deshalb ergreift ihn ein heiliger Zorn.
Ihr Lieben, ob wir manchmal nicht doch etwas zu harmlos von Gott denken? Ob wir ihn nicht zum guten Onkel degradiert haben, der unsere Wünsche erfüllen soll? Ob wir ihn nicht zum Großvater erklärt haben, der etwas verdattert und nicht ganz zeitgemäß auf seiner Bank im Himmel sitzt und liebevoll lächelt?
Aber seht genau hin, Gott lässt sich nicht abschieben. Er ist unser Vater. Er hat uns geschaffen. Er hat uns in seine Gemeinde gerufen. Er hat uns sogar Glauben geschenkt.
Und weil er uns auf dem Herzen trägt, weil er uns liebt, sind wir ihm nie gleichgültig. Deshalb straft er uns auch. Deshalb hält er Gericht. Deshalb will er Israel sogar vernichten, einen Schlussstrich ziehen und mit Mose allein noch einmal ganz neu anfangen. Deshalb ergreift ihn immer wieder ein heiliger Zorn.
Und ein ist klar Gott ist mit seinem Zorn im Recht. Wenn wir das wissen – wie reagieren wir dann darauf? Nehmen wir das einfach hin: »So ist das halt eben.« »Daran kann ich auch nichts ändern.« Mal ehrlich: Erschrecken wir noch vor Gottes Zorn?
Und wenn wir sehen, wie Menschen um uns herum gegen seinen Willen leben, wenn wir sehen, wie in unserer Kirche manches geschieht, was Gottes Willen widerspricht – was tun wir dann?
Sagen wir: Gott wird sie schon irgendwie richten. Werden wir womöglich schadenfroh und denken: Das geschieht ihnen schon recht?
Mose weist uns hier einen anderen Weg. Er betet. Er fleht. Er lässt sich Gottes Zorn zu Herzen gehen und tritt leidenschaftlich für das Volk ein. Er verteidigt Israel nicht. Aber er ringt um Gottes Gnade. Und er weiß, dass Gott mit sich reden lässt.
Ganz genau hört er, was Gott ihm sagte. Feinfühlig nimmt er wahr, wie Gott sagt: »Nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne...« Aber Mose lässt Gott nicht.
Ihr Lieben, nur wer ganz Ohr ist für Gottes Wort, der kann auch von ganzem Herzen beten. Mose wagt es, Gott zu widersprechen, dem zürnenden Gott! Selbst in seinem Zorn ist Gott auf seine Verheißung hin ansprechbar. Denn genau die hält Mose ihm vor: »Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Jakob! Gedenke doch an deine Geschichte mit Israel! Es ist und bleibt doch dein Volk, denn du hast es erwählt. Ich denke doch, was du versprochen hast. Ich denke doch, worauf du dich selbst festgelegt hast. Denke doch an deine Gnade!«
Ist das nicht ein gewagtes Gebet! Ein Widerspruch gegen den Urteilsspruch des höchsten und allmächtigen Gotts. Das ist nur möglich, weil Mose Gott dessen eigenes Wort vorhält.
Ihr lieben, so wie Mose sollen wir beten. Dieses Gebet hat eine große Verheißung.
Ich weiß nicht, was Euch auf dem Herzen liegt. Vielleicht sind es auch andere Menschen, die ihr auf falschen Wegen seht: Eure Kinder, Eure Eltern, Freunde, Menschen, die ihr liebt. Betet ihr für sie! Betet ihr und erinnert Gott an seine Verheißungen. Versucht es einmal: Haltet Gott vor, dass er versprochen hat, alle Tage bei uns zu sein, dass er vor allem Übel behüten will, dass er helfen und stärken und halten will. Behaften Sie Gott bei seinem Wort. Wagt es, mit Gott, um seine Verheißung zu ringen. Darauf ist er ansprechbar – auch in seinem Zorn.
Wenn wir so beten, dann erleben wir schließlich auch:
3. Ein Heil bringendes Erbarmen
Moses inniges Gebet erreicht das Herz Gottes. Noch bevor er »Amen« sagt, heißt es in schlichten Worten: Da gereute den HERRN das Unheil, das er seinem Volk zugedacht hatte. Gott lässt sich umstimmen. Es reut ihn. Obwohl das Volk noch nicht umgekehrt ist, geschieht die Wende im Herzen Gottes. So ist Gott. Er lässt sich vom Flehen Moses berühren. Er wendet sich dem Volk zu, er selbst vollzieht die heilsame Wende, die ihm das Volk in seiner halsstarrigen Abwendung verweigert. So heiß eben sein Zorn war, so tief und so innig ist sein Erbarmen.
Seht aber auch, Gott sieht nicht über die Schuld des Volkes hinweg, er sieht vielmehr den Fürsprecher an, der in den Riss tritt und sein Herz erreicht. Er sieht Mose an, der ihm sein eigenes Wort vorhält.
Gott sieht auch nicht einfach über unsere Schuld hinweg. Er sieht aber den Fürsprecher an, der in den Riss tritt und sein Herz erbricht. Wenn Gott unsere Schuld, deine und meine, sieht, wenn sein Zorn über uns entbrennt, dann dürfen wir wissen: Er sieht Jesus Christus an, seinen Sohn. Er tritt in den Riss. Er tritt für uns ein. Er nimmt die Folgen unserer Schuld auf sich – und stirbt am Kreuz.
Und so blicken wir vom Sinai nach Golgatha: Dieses Kreuz macht Versöhnung möglich. So wird uns Mose nicht nur zum Vorbild für unser Beten, sondern zum Abbild für Jesus Christus. Er tritt als Fürsprecher bleibend für uns ein und bewegt das Herz des Vaters.
Und wenn wir beten im Namen von Jesus Christus, dann trägt Jesus unser Gebet mit.
Lasst uns beten:
Amen
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