Die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes

Sermon  •  Submitted   •  Presented
0 ratings
· 10 views
Notes
Transcript

Die Erfahrung der Barmherzigkeit Gottes

Meine Predigt möchte ich heute mit einem Zitat des russischen Schriftstellers und Systemkritikers Alexander Solschenizyn beginnen. Er ist zwar vor 15 Jahren gestorben, aber ich glaube, dass er dennoch schon damals das Gespür dafür hatte, was heute in unserer Welt geschieht. Ja, es geschieht letztlich aus der Gottvergessenheit der Menschen heraus, auch wenn sich mancher ein frommes Mäntelchen von Religion umtut.
Solschenziyn schrieb:
“Vor über einem halben Jahrhundert, als ich noch ein Kind war, hörte ich einmal, wie einige ältere Leute die folgende Erklärung für die Katastrophen, die über Russland hereingebrochen waren, parat hatten: ‘Die Menschen haben Gott vergessen; darum ist all das geschehen.’ Seitdem habe ich fast 50 Jahre die Geschichte unserer Revolution studiert, dabei Hunderte von Büchern gelesen, Hunderte von persönlichen Zeugenaussagen gesammelt und mit acht Bänden aus meiner eigenen Feder dazu beigetragen, den Schutt, der nach diesem Aufstand zurückblieb, beiseite zu räumen. Aber wenn man mich heute bitten würde, so knapp wie möglich den Hauptgrund für diese ruinöse Revolution anzugeben, die unter unserem Volk etwa 60 Millionen Todesopfer gefordert hat, dann wäre die genaueste Antwort, einfach zu wiederholen: ‘Die Menschen haben Gott vergessen; darum ist das alles geschehen.’ ” (Philip Yancey, Warum ich heute noch glaube, Brockhaus, 2002)
Im Prinzip gilt das auch heute und es gilt auch heute bei uns. Einer der Altbischöfe unserer Landeskirche Axel Noack hatte einmal auf die Frage: Warum so viele Menschen hier im Osten nicht an Gott glauben und aus der Kirche austreten? geantwortet: “Die Menschen haben vergessen, dass sie Gott vergessen haben!” Aber diese Antwort gilt mittlerweile nicht nur für den Osten in Deutschland, sondern eigentlich für ganz Deutschland. Die Kirchenaustrittszahlen sind ein Index dafür. Ob die Kirchen selbst daran mit schuld sind, steht noch auf einem anderen Blatt.
Nun, ihr Lieben, eigentlich ist das in der Geschichte unserer Welt nichts Neues. Irgendwie wiederholt sich das doch immer wieder.
Wenigstens war das beim Volk Israel vor 2586 Jahren auch so. Denn mit Gott wollte man nichts zu tun haben. Man hatte sich von ihm verabschiedet, obwohl die Väter des Volkes mit Gott viel erlebt hatten. Man vertraute doch lieber auf sein eigenes Können oder auf die Götter und Götzen der Nachbarvölker. Von dem Gott der Väter von Jahwe jedenfalls sagte man sich los. Das Ergebnis war eine vernichtende Niederlage und die Wegführung nach Babylon.
Aber Gott ist nicht Gott, wenn er doch nicht mit dem Volk einen Neuanfang wagt. Darum können wir auch jetzt seine Zusage lesen, die er dem Volk durch den Propheten Jesaja gibt. Wir lesen dazu aus Jesaja 54,7-10:
Jesaja 54,7–10 LU
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser. 9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Da stehen wir vor einer gewaltigen Bergkulisse, vielleicht die Alpen, aber auch schon der Harz ist herrlich anzusehen, wenn da nicht das furchtbare Baumsterben wäre. Man macht doch gern in den Bergen Urlaub: Südtirol, Österreich, Bayern oder auch im Harz. Tamara und ich waren im vorigen Jahr im Harz und wir sind mit der Brockenbahn auf den Brocken gefahren. An dem Tag hat es oben mächtig gestürmt und uns hat es ganz schön durch geblasen.
Von einer großen Bergkulisse sind wir begeistert. Aber dennoch fühlt man sich dann nicht mehr so groß und bedeutend, sondern eher klein . Wir sehen uns elementaren Mächten ausgesetzt. An dem Tag auf dem Brocken sind wir nicht lange geblieben. Der Wind war so stark. Ein paar Bilder, dass wir dort waren und durch geblasen wurden. Dann sind wir mit der nächsten Bahn zurück.
Wir wissen auch wie das Wetter auf den Bergen sich radikal ändern kann. Wir sprechen dann vom Wetterschlag. Manchmal kann das so schnell sein, dass aus Schönheit eine bedrohliche Situation wird.
Auch in unserem Leben gibt es solche “bedrohlichen Berge”. Das sind Dinge und Situationen, die uns vor große Herausforderungen stellen. Dem möchten wir weichen. Damit wollen wir eigentlich nichts zu tun haben. Das können private und persönliche Dinge sein, auch in der Kirchgemeinde oder in der Gesellschaft. Es sind Berge in unserem Leben, an den gerüttelt wird und die zum Einsturz gebracht werden. Vielleicht sogar wie durch ein Erdbeben oder ein Wetterschlag. Es ist so als wenn Gott das Leben aus uns herausrüttelt. Vielleicht so gar so, dass wir uns von Gott verlassen fühlen und nun schreien: Gott, wo bist du?
Und dann hören wir dieses Wort, was Gott seinem Volk Israel hier sagt:
Jesaja 54,7–8 LU
7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser.
Gegenüber allem Klagen des Volkes, Gott liebt sein Volk Israel nicht mehr wie am Anfang, er habe es verstoßen, bleibt Gott bei seiner Zusage, dass er sein Volk nach wie vor liebt und es nie verlassen wird. Der Augenblick des Zorns war hervorgerufen durch Israels Undank, Untreue und Ungehorsam, die von den Propheten immer wieder angeprangert worden waren.
Und das gilt auch uns heute. Selbst wenn ich das Gefühl habe, Gott wäre in meinem Leben abwesend, und selbst dann, wenn er abwesend wäre, dann wäre diese Situation nur ein kleiner Augenblick gegenüber seiner Anwesenheit. Es wäre nur ein vorübergehender Moment. Gegenüber seiner großen Barmherzigkeit, mit der er sein Volk umgibt. Und diese Zusage der Barmherzigkeit gilt auch seit Jesus Christus uns heute.
Vielleicht hatte Gott einen Anlass sich etwas zurückzuziehen. Vielleicht hat Gott einen Grund sich auch heut von uns etwas zurückzuziehen. Die Geschichte unseres Landes gäbe dafür sicher unsäglich viele Gründe. Das Volk Israel damals spürte es als etwas Defizitäres, als etwas was ihre Situation dunkel machte. Aber dennoch war diese Dunkelheit nicht finster, denn sie blieb durchdrungen von Gottes ewiger Gnade.
Spüren wir denn heute es als etwas defizitäres, wenn Gott sich von uns zurückzöge?
Damit wird uns deutlich, dass die Sicht Gottes eine andere ist als unsere. Denn eigentlich wissen wir Menschen es ja, dass unsere Sichtweise immer eingeschränkt ist. Wir sehen die Dinge immer nur mit unserem begrenzten menschlichen Horizont.
Es ist so, wie das Licht bei einem Prisma: Vom breiten Spektrum dieses Lichtes nehmen wir nur einen Teil wahr. Ein großer Teil ist für unser menschliches Auge unsichtbar.
Auch den runden, blauen Erdball nehmen wir von unserem Standpunkt aus nicht so wahr, wie er ist. Die Astronauten und Kosmonauten aus der ISS nehmen ihn ganz anders war. Und das Weltraum-Teleskop James Webb noch ganz anders.
Ja und in der Mikrologie und der Makrologie brauchen wir Hilfsmittel, um die kleinen und großen Dinge wahrzunehmen. Dann ist auch unsere Perspektive eingespannt: Eingespannt in das, was uns geprägt hat, mit denen wir aufwuchsen, und Anforderungen, die sich uns momentan stellen.
Kein Wunder, dass da manchmal die rechte Perspektive und Gewichtung verloren gehen kann!
Dann ist oft auch unsere menschliche Sichtweise Gott gegenüber ungläubig. Da fällt es uns schwer, die Dinge so anzunehmen, wie er sie sieht. Dabei ist doch Gottes Sicht sicher die umfassende und absolute.
Wie in diesen Worten will der Prophet das Volk Gottes wieder mit der Perspektive Gottes vertraut machen. Mit der Perspektive, die ja auch dem Volk für einige Jahrzehnte verloren gegangen war.
Wie jedes prophetische Wort wird diese Perspektive das Volk erbauen, ermahnen und trösten, wenn die Menschen das Wort hören.
Um auf Gottes Sichtweise eingehen zu können, um sich von ihm einen heilsamen Blick auf die eigene Lage schenken zu lassen, braucht es mehr Vertrauen zu Gott. Das gewinnen wir, wenn wir auf Gottes Art und sein Wesen schauen.
Darum sagt der Prophet jetzt im Namen Gottes dem Volk Israel zu:
Jesaja 54,10 LU
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Das Volk hatte jetzt eine Zeit hinter sich, in der es gespürt hatte, dass es ohne Gottes Barmherzigkeit nicht leben kann. Aber es erinnert sich auch an die Zeiten, wo Gottes Barmherzigkeit in seiner Geschichte auf verschiedene Weiser erfahren und erlebt hat. Wo Gott sie, trotz ihres Versagens geführt und bewahrt hat.
Auch für uns als Christen uns als Gemeinde ist es wichtig uns immer wieder einmal daran zu erinnern, wo und wie wir persönlich, als Gemeinde und als Volk Gottes in unserem Leben immer wieder Gottes Barmherzigkeit erfahren haben. Dass wir unseren Blick immer wieder auf Gott und seine Art richten und eben bekennen können, was das Gesangbuchlied zum Ausdruck bringt: "Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich nicht wert bin."
Gott wirkt nach seinem Erbarmen mit uns. Er verlangt keine Voraussetzungen unsererseits. Er kommt uns entgegen und macht uns zu seinen Bündnispartnern.
Damals mit seinem Volk Israel hat Gott den Bund geschlossen und mit uns heute schließt er ihn mit allen, die sich durch Jesus Christus einladen lassen.
Weil er Jesus für uns am Kreuz gestorben ist, ist der Weg zu Gott offen. Darum gilt auch Gottes Liebe und Barmherzigkeit uns allen. Es gilt Gottes Gnade. Sie ist der Grund, warum er sich unser erbarmt und uns sammelt. Das bedeutet, sie ist in jedem Augenblick unseres Lebens und Seins da.
Gibt es aber nicht doch Lebenssituationen, in denen wir von Gott verlassen sind? Was ist hier mit der schwierigen Aussage, dass Gott im Augenblick des Zorns sein Angesicht vor seinem Volk verborgen hat?
Gottes Zorn kam wie ein Platzregen über sein Volk. Er kam über das Volk Israel, weil es immer wieder den Götzen diente statt ihm. Weil es sich immer wieder von ihm abwendete. Schließlich wurde es sogar aus dem Land verstoßen. Der Grund dafür war das böse Treiben, die Sünde. Der Zorn Gottes richtet sich gegen die Untreue. Das Volk verspielte leichtfertig das Vertrauen auf die Güte Gottes und beruhigte sich: "Gott wird das schon übergehen.
Darum trat Gott dem entgegen. Er wollte immer schon sein Volk vom selbst gewählten Weg des Ungehorsams abbringen und es neu zu sich ziehen. Darum lässt Gottes Zorn sein Angesicht vor seinem Volk verbergen. Das ruft ein heilsames Erschrecken hervor, damit man ihn wieder sucht. Das ist in der Geschichte des Volkes Israel oft geschehen. Aber hier war es jetzt einschneidend.
Israel erkannte, dass es ihm ohne Gott schlechter ging und flehte von Neuem zu ihm. Manchmal wäre es vielleicht auch für uns heilsam, wenn Gott einmal für einen kurzen Augenblick sich zurückzöge. Wenn er seinen Blick ein wenig verbirgt, dann ist er nicht voll gegen uns gerichtet.
Ist das nicht auch Gnade, dass uns die Wucht seines zornigen Blicks nicht ganz trifft?
So erkenne ich selbst in diesem Moment des Wirkens Gottes seine ewige Gnade.
Der Blick auf Gottes Art und Wesen endet heute mit einem Schwur Gottes. Überhaupt ist es ja klar, dass Gott nicht lügt.
Damit unsere Einwände aber an eine starke Bekräftigung prallen, hat Gott eine eidliche Erklärung abgegeben. Er will uns damit versichern, dass sein Ratschluss nicht wankt.
Jesaja 54,9 LU
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
Wir dürfen wissen: Gottes Art und Wesen ist verlässlich und barmherzig. Und das gilt auch uns.
Amen.
Related Media
See more
Related Sermons
See more