Wer macht weiter?
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Wer macht weiter?
Wer macht weiter?
Liebe Gemeinde,
es ist eine alte Geschichte, die uns begegnet. Und doch ist sie immer wieder neu. Es ist die Geschichte über das Verhältnis zwischen Thon und Altar und letztlich darüber, wer in unserer Welt das Sagen hat.
Um den heutigen Text der Berufung des Propheten Jesaja besser zu verstehen, muss man etwas über den geschichtlichen Kontext dieser Zeit wissen, in der Jesaja von Gott zu seinem Prophetenamt berufen wurde.
Israel war in dieser Zeit zweigeteilt, in das Nordreich Israel und in das Reich Juda. Das Nordreich Israel mit 10 Stämmen war kurz davor im Völkermeer der Assyrer unterzugehen.
Das Südreich Juda mit den Stämmen Juda und Benjamin hatte einige Jahre lang fromme Könige, die am Glauben an Jahwe festhielten und Gott vertrauten. Auch der letzte König Usija - 25 Jahre seiner Herrschaft bis zu dem Moment, an dem er sich anmaßte, einen Dienst vor Gott tun zu wollen, der ihm nicht zustand. Als von Gott eingesetzter König wollte er einen priesterlichen Dienst am Altar tun. Er masste sich sozusagen eine messianische Rolle an. Denn die gemeinsame Aufgabe des Königs und des Priesters steht nur dem Messias zu. Auch wenn es damals in dieser Zeit vielleicht den Messiasbegriff noch nicht gab. Letztlich steht diese Aufgabe nur Jesus Christus zu.
Der König Usija wurde sofort für diese Selbstanmaßung mit Aussatz bestraft. Aussatz führte damals zum Ausschluss aus der Gemeinschaft. Und bei Usija führte Aussatz dann auch zum schnellen Tod.
In dieser Situation wurde nun Jesaja zum Propheten für Israel berufen. Wir lesen aus Jesaja, Kapitel 6,1-13
1 In dem Jahr, als der König Usija starb, sah ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Thron und sein Saum füllte den Tempel. 2 Serafim standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel: Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit zweien flogen sie. 3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll! 4 Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens und das Haus ward voll Rauch. 5 Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. 6 Da flog einer der Serafim zu mir und hatte eine glühende Kohle in der Hand, die er mit der Zange vom Altar nahm, 7 und rührte meinen Mund an und sprach: Siehe, hiermit sind deine Lippen berührt, dass deine Schuld von dir genommen werde und deine Sünde gesühnt sei. 8 Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich! 9 Und er sprach: Geh hin und sprich zu diesem Volk: Höret und verstehet’s nicht; sehet und merket’s nicht! 10 Verfette das Herz dieses Volks und ihre Ohren verschließe und ihre Augen verklebe, dass sie nicht sehen mit ihren Augen noch hören mit ihren Ohren noch verstehen mit ihrem Herzen und sich nicht bekehren und genesen. 11 Ich aber sprach: Herr, wie lange? Er sprach: Bis die Städte wüst werden, ohne Einwohner, und die Häuser ohne Menschen und das Feld ganz wüst daliegt. 12 Denn der Herr wird die Menschen weit wegführen, sodass das Land sehr verlassen sein wird. 13 Auch wenn nur der zehnte Teil darin bleibt, so wird es abermals kahl gefressen werden, doch wie bei einer Terebinthe oder Eiche, von denen beim Fällen noch ein Stumpf bleibt. Ein heiliger Same wird solcher Stumpf sein.
Vielleicht noch folgendes zum geschichtlichen Hintergrund: Vom nächsten König Jotam, dem Sohn Usia, wird dann auch gesagt: “Er tat, was dem Herrn gefiel.” Und dennoch gibt es einen sehr interessanten Widerspruch: “Das Volk aber handelte noch immer böse.“ Der König handelte nach Gottes Gebot, aber das Volk nicht.
Ich brauche da gar nicht viel zu sagen, ihr merkt sicher, wie hochpolitisch doch die Bibel mit ihren Texten auch heute in unserer Zeit sein kann und will. Vergleichen wir diese Situation mit unserer Zeit.
Gott begegnet Jesaja als der heilige Gott
Wir werden heute mit hineingenommen in die Berufung von Jesaja zum Propheten durch Gott. Das geschieht nicht so einfach mit einer einfachen Berufung: So jetzt bist du Prophet.
Es ist eine richtig heilige Handlung, in der Jesaja die Heiligkeit Gottes uns seine eigene Vergänglichkeit erkennt. Es geschieht in einer einmaligen Gottesschau. Uns begegnet Gott hier in seiner Allmacht und Heiligkeit in einer ganz unfassbaren Weise.
Der Prophet erlebt hier etwas Einzigartiges, ein Geschehen, das man mit Worten nur unzureichend beschreiben kann. Dieses Erlebnis hat sein Leben total verändert. Er hat hier wie kaum ein anderer Prophet Gott als den Herrn der Welt und der Geschichte erfahren. Mit der Berufung des Propheten Jesaja wird die Heiligkeit Gottes beschrieben. Jesaja erlebt in einzigartiger Weise die Nähe und Gegenwart Gottes. Er konnte etwas vom unmenschlichen Glanz und der Herrlichkeit Gottes sehen. Er erlebte etwas, was normalerweise für das menschliche Auge und Ohr nicht erfahrbar ist. Er merkt bereits beim Anblick des Saumes von Gottes Gewand, wie viel größer und höher Gott sein muss, als wir Menschen es sind. Mindestens so wichtig wie all das, was Jesaja gesehen hat, ist das, was er von Gott gehört hat.
Schon die Beschreibung der Engel - Seraphinen macht es uns deutlich, dass sie sich mit ihren Flügeln bedecken. Die Beschreibung erinnert uns daran, dass sich im Mittelalter, die Menschen vor ihren Königen und Herrschern verbeugten und erst dann wieder aufblickten, nachdem diese vorbeigezogen sind. Auch heute gibt es das ja noch in autoritären Staaten.
Und der Ausspruch der Engel: Jesaja 6,3
3 Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!
Jesaja darf dieses himmlische Lob der Engel hören, die Gottes Herrlichkeit rühmen. Hier kommt die Vollkommenheit Gottes, die sein ganzes Wesen bestimmt, sich in seinem Handeln zeigt und ihn einzigartig macht. Gottes Wesen ist heilig.
Jesaja merkt aber auch: Dieser Gott ist anders, ganz anders als wir Menschen. Er ist nicht einfach eine abstrakte Idee, eine Wunschvorstellung. Seine Wirklichkeit stellt all unser Denken und unsere Vorstellungen von ihm weit in den Schatten. Er ist der heilige, mächtige Gott, der sich dennoch nicht zu schade ist, uns Menschen zu begegnen.
Heute sind es vielleicht die ganz kleinen Dinge im Alltag, durch die wir Gottes Nähe erfahren und spüren, in der Familie, im Beruf oder jetzt im Gottesdienst. Gott hat viele Möglichkeiten, uns anzusprechen. Er kann und will uns auch heute noch begegnen. Weichen wir dieser Gottesbegegnung nicht aus, so wie auch Jesaja der Gottesbegegnung standhielt.
Jesaja wird entsühnt
Gerade auch diese Heiligkeit Gottes spürt der Prophet Jesaja als er von Gott zum Propheten berufen wird. Was sagt er?
5 Da sprach ich: »Wehe mir, ich bin verloren! Denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen und lebe in einem Volk mit unreinen Lippen. Und doch habe ich den König, den Herrn Zebaot, mit eigenen Augen gesehen.«
Er spürt so wie er ist, kann er nicht vor Gott bestehen! Er erkennt seine Unheiligkeit. Seine Aussage ist eine Aussage völliger Selbstverurteilung. Es bedeutet wörtlich: „Ich bin sprachlos … ich bin tot!“ Er erkennt seine menschliche Unzulänglichkeit, seine Vergänglichkeit und seine Schuld vor Gott. Die entscheidende Wende in der Begegnung mit Gott wird nun von Gott selbst eingeleitet. Gott lässt den Propheten nicht untergehen. Er will nicht dessen Tod, sondern sein Leben. Die Lippen stehen hier stellvertretend für den ganzen Menschen, vermutlich weil sich der Mensch durch seine Worte, durch das, was er redet, am stärksten von Gott entfremdet. Deshalb werden die Lippen in einer heiligen Handlung gereinigt. Darum wird er jetzt durch den Brennprozess entsühnt. Die Sünde wird praktisch weggebrannt. Sie kennen das ja auch, da hat man ein altes Blechfass, in dem bis her Öl oder irgendwelche Chemikalien waren, aber das jetzt im Garten als Regentonne genutzt werden soll. Dann wird es vorher ordentlich ausgebrannt, damit die alten Rückstände entfernt sind.
Das verzehrende Feuer Gottes brennt, ohne dass von Schmerzen Jesajas berichtet wird. Jedenfalls sind Sünde und Schuld des Propheten weg, zeichenhaft dargestellt durch die glühende Kohle, die vom Altar Gottes kommt. »Deine Schuld ist von dir genommen und deine Sünde ist gesühnt« (V. 7). Jesaja ist nun ganz gereinigt und ganz geheiligt, darum kann er in der Nähe Gottes bleiben, am himmlischen Gottesdienst teilnehmen und hören, was Gott sagt.
Deshalb hat es seinen guten Grund, wenn in der Mitte unserer Kirchen (im Altarraum) das Kreuz von Jesus steht. Denn in ihm erfahren wir die Gegenwart Gottes nicht mehr in Form eines Räucheraltars, sondern im Opfer des Menschen- und Gottessohnes. An die Stelle der feurigen Kohlen tritt der Mittler zwischen Gott und Menschen. Alle unsere Schuld ist durch sein Blut hinweggetan. Das bekennen wir in jeder Abendmahlsfeier, aber es wird uns auch in der Predigt immer wieder vor Augen gesellt.
Die Begegnung mit dem heiligen Gott, die bei uns Menschen Furcht auslöst, wird so zur Stunde des Neuanfangs. Gott eröffnet uns Leben und Zukunft in seiner Gegenwart.
Wie treten wir eigentlich vor Gott? Ist uns unser Sündersein bewusst? Haben wir Sündenerkenntnis und Sündenbekenntnis oder treten wir vor Gott und wollen ihn auf die Schulter klopfen wie einen Kumpel und sagen: “Hey Alter, wie geht es?”
Jesaja wird zum Propheten berufen
Abschließend wird Jesaja durch Gott zum Propheten berufen. Ein Prophet hat im Auftrag Gottes eine Botschaft zu verkünden. Meistens sind es keine guten Nachrichten. So hat Jesaja auch hier im Auftrag Gottes eine Unheilsbotschaft zu verkünden.
Gott braucht Boten für seinen Dienst. »Wen soll ich senden?«, fragt Gott, und der Prophet versteckt sich nicht. »Hier bin ich, sende mich!« Ein unglaubliches Bekenntnis, angesichts dessen, was er gerade erlebt hat. Nicht Angst, nicht Furcht und Lethargie stehen am Ende der Gottesbegegnung, sondern die Bereitschaft, sich senden zu lassen. Eine unglaubliche Geschichte, ein unglaublich großer Gott.
Gott ruft einzelne Menschen und sein Volk zu sich, damit es ihm gehört und ihm in dieser Welt dient. Der Ruf eines Gläubigen kann einen besonderen Ort betreffen und eine spezielle Aufgabe und Lebensberufung bedeuten.
Gott beruft einzelne Menschen, zu ihm zu gehören und ihm zu dienen
Gott beruft und sendet auch heute Menschen in die Welt. Alle Gläubigen sind dazu berufen, die gute Nachricht des Evangeliums mit anderen zu teilen. Einige sind in besonderer Weise zu einem missionarischen Dienst von Gott beauftragt, von der Kirche bestätigt und durch das Evangelium genötigt.
Nach der Versöhnung folgte bei Jesaja der Auftrag. »Wen soll ich senden?« Sicher, wir sind alle keine Propheten wie Jesaja und doch sind wir alle Mitarbeiter in unseren Gemeinden und ehrenamtliche Mitarbeiter im Reich Gottes. Die Verstockung, die Jesaja bei seinen Zeitgenossen erleben musste, kann auch in unserer Zeit geschehen, aber durch Jesus haben wir eine andere Verheißung. »Selig sind eure Augen, dass sie sehen und eure Ohren, dass sie hören« (Mt 13,16). Gott selbst öffnet Herzen und Lippen für seinen Dienst und dass wir einstimmen können in den Lobgesang der Engel. Wir sollen seh- und hörfähig werden für seine Botschaft.
Ganz neu zu hören und zu sehen ist uns im Gottesdienst verheißen. Gott ist da. Er lässt mich erkennen, wer ich bin, und er kann mich zu dem machen, was ihm gefällt. Er macht mich zu einem, der auf seine Weise voller Dankbarkeit und Freude singen kann. »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll.« Dies dürfen wir singen, aber auch leben und anderen weitersagen. Amen.