Nur die Liebe zählt
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Ihr Lieben,
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ (1Kor 16,14, EÜ) – Ein toller Satz! Das klingt so romantisch, es bringt uns zum Träumen. Hach, Liebe ist doch einfach etwas Schönes! Das fühlt sich so gut an. Jeder wird doch gern geliebt! Toll, oder?
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ – Blöd nur, dass es nicht ums Geliebtwerden, sondern ums Lieben geht … Jeder wird gern geliebt! – Aber nicht jeder liebt gern. Andere zu lieben ist anstrengend. Nicht jeder ist meiner Liebe wert. Nicht jeder macht es mir leicht, ihn zu lieben. Nicht jeden will ich lieben.
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ — Es klingt wie ein Neujahrsvorsatz. – Kurze Zwischenfrage: Wer hat alles Neujahrsvorsätze? (Sind die noch aktuell, immerhin ist ja schon eine Woche vergangen…) – Es klingt wie ein Neujahrsvorsatz, den ich spätestens nach dem ersten bösen Streit wieder fallen lasse. Völlig utopisch! „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ — Und dazu ist uns dieser Vorsatz ja auch noch von außen aufgedrückt, ein Befehl sozusagen.
Was macht uns diesen Satz so schwer? Wohl nicht das Lieben, zumindest nicht zuerst, sondern gleich das erste Wort: Alles. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Alles gewährt keine Ausnahme. Es gibt nichts, was in Alles nicht drinsteckt.
Ich habe mal ein paar Beispiele zusammengetragen, was Alles so sein kann, das wir in Liebe tun sollen: Arbeiten – in die Schule gehen – Hausaufgaben machen – Autofahren – Abwaschen, Aufwaschen, Spülen – beim Spieleabend gewinnen – beim Spieleabend verlieren – Musik machen – Fußball spielen – Joggen – Sport machen – Computer/Videospiele spielen – nähen, stricken, sticken, klöppeln – Urlaub machen – im Urlaub die Sonnenliege mit dem Handtuch „reservieren“ – zum Amt gehen – beim Arzt warten – beim Einkaufen an der ewig langen Warteschlange an der Kasse stehen, die schon bis ins Gemüseregal reicht – den Tisch decken, den Tisch abdecken, den Tisch abwischen – zum Gottesdienst gehen – mit dem Nachbarn reden, mit jemand anderem über den Nachbarn reden – … all das geschehe in Liebe!
Das Herausfordernde an dem Wort alles ist seine Bedeutung: alles! „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ — Wie so ein völlig übermotivierter Neujahrsvorsatz, den man nach 3 Tagen wieder über Board wirft.
Und doch ist genau das der Anspruch, den Paulus an uns richtet: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Wie kommt Paulus überhaupt dazu, diesen Satz zu schreiben?
Dieser Satz steht im Schlussteil des 1. Briefes, den Paulus an die Gemeinde in Korinth schreibt. Korinth war eine florierende Hafenstadt. Das Leben war bunt und schrill. Und ebenso war auch die Gemeinde bunt – und man könnte sagen: auch schrill.
Die Gemeinde in Korinth war gesegnet mit übernatürlichen geistlichen Gaben. Da gab es Leute, denen hatte der Heilige Geist die Gabe geschenkt, in einer ihnen selbst völlig unbekannten Sprache zu beten. Wieder andere hatten die Gabe, diese Sprache zu deuten, sie in ihre eigene Sprache zu übersetzen. Anderen hatte der Heilige Geist die Gabe geschenkt, Menschen im Namen von Jesus heilen zu können. Wieder andere bekamen vom Heiligen Geist prophetische Worte, andere Worte voller Einsicht in eigentlich undurchsichtige Situationen. Manche hatten die Gabe bekommen, Geister zu unterscheiden; anderen war ein übernatürlich starker Glaube geschenkt worden; und manche konnten durch den Heiligen Geist sogar Wunder wirken.
Die Gemeinde in Korinth war in jeder Hinsicht geistlich gesegnet. Paulus zählt im 12. Kapitel des Briefes eben diese Gaben auf und versucht so etwas Ordnung in die Gemeinde zu bringen, denn genau das schien ihr Problem zu sein: Die Gemeinde, vor allem die Gottesdienste waren in Unordnung geraten. Jeder machte irgendwann grad das, was er wollte. Die Leute riefen durcheinander, sie plapperten durcheinander. Das war nicht mehr erbaulich. Das war auch nicht mehr einladend für Menschen von außen. Es entstand sogar ein Wettbewerb der Gaben: Welche Gabe ist toller? – Wer ist der bessere Christ?
Paulus weist die Gemeinde darauf hin, dass sie doch ein Leib sind, eine Einheit, in der jeder seine Aufgabe hat – und in der jede Aufgabe wichtig ist. Und auch dass nicht jeder jede Gabe hat, sondern dass sich alle als großes Ganzes ergänzen sollen; dass sie eine Gemeinde sind!
Und dann schließt er ein Kapitel an, das zu den größten und schönsten der Bibel zählt – wir haben es vorhin in Teilen in der Lesung gehört (hier: 1Kor 13,2f):
Stellt euch vor – schreibt Paulus: Ich könnte alle Sprachen sprechen, die es gibt – im Himmel und auf der Erde –, aber ich hätte keine Liebe: Ich wäre wie ein dröhnender Gong oder ein schepperndes Becken. Man könnte sagen: Ich wäre ein Musikinstrument, das die tollsten Möglichkeiten bietet, das allen anderen mit seiner Musik wunderbar dienen könnte, das Gott ganz fantastisch loben könnte – aber es klingt einfach nur furchtbar. So wäre ich mit all den Sprachen, aber ohne die Liebe.
Stellt euch vor – schreibt Paulus: Ich könnte reden wie ein Prophet, ich wüsste alles, selbst die tiefsten Geheimnisse der Welt; oder: ich hätte einen Glauben, mit dem ich Berge versetzen könnte. – „Wenn ich keine Liebe habe, bin ich nichts.“
Stellt euch vor – schreibt Paulus: Ich würde alles, was ich habe, alles, was ich besitze, an arme Menschen verteilen (damit ich gut dastehe), ja ich würde sogar mein Leben hingeben. „Wenn ich keine Liebe habe, nützt mir das gar nichts.“
Ohne die Liebe ist alles wertlos, ja es verkehrt sich sogar in sein Gegenteil. Die guten Dinge, die guten Gaben Gottes führen plötzlich zum bitteren Streit und zur Eifersucht, anstatt zum erbaulichen Miteinander. Ohne die Liebe nützen mir alle Gaben der Welt und alle Gaben des Heiligen Geistes nichts. Ohne die Liebe bin ich nichts. Ohne die Liebe sind wir als Gemeinde nichts.
Deswegen schlussfolgert Paulus: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“ Die Liebe soll unser oberstes Ziel sein. Sie soll die Grundeinstellung, der Grundrhythmus unserer Herzen sein. Sie ist das Höchste, was es auf dieser Welt gibt; höher noch als Glaube, höher noch als Hoffnung.
Liebe ist das Wundervollste, was es gibt. Da geht es um Vertrauen, um Nähe, um Akzeptanz, um Balsam für meine Seele.
Eine Sache ist dabei wichtig: Liebe ist im Kern kein Gefühl. Das Gefühl gehört sicher dazu, zumal bei der Liebe in einer Partnerschaft. Aber Gefühle kommen und gehen. Gefühle sind von Umständen abgängig, sie können mich auch mal runter ziehen.
Ich bin überzeugt: Im Kern ist Liebe ein Entscheidung. Nämlich die Entscheidung, den anderen höher zu achten, ihn und seine Bedürfnisse wichtiger zu nehmen als mich selbst; das Beste für ihn zu wollen. Dazu kann ich mich entscheiden.
Wenn eine Frau und ein Mann vor den Traualtar treten, dann werden sie nicht gefragt: „Seid ihr gerade bis über beide Ohren ineinander verliebt!? Und wollt ihr euch versprechen, dass das immer so bleibt?“ Nein, sie werden gefragt: „Versprecht ihr, euch zu lieben, ganz egal, was für Zeiten kommen, ganz egal, wie die Umstände sind? Versprecht ihr, euch immer wieder neu zu entscheiden, einander zu lieben?“
Liebe ist im Kern eine Entscheidung. Und nur so ist es auch möglich, sogar Menschen zu lieben, die alles daran setzen, dass das schwer für mich ist! Die es mir schwer machen, sie zu lieben. Trotzdem kann ich mich dazu entscheiden, sie zu lieben.
Natürlich geht das auch mal schief, natürlich gelingt es mir nicht immer; wir sind Menschen. Das ist auch nicht das Entscheidende. Es geht darum, dass es die Grundeinstellung meines Herzens ist, dass ich die Entscheidung treffe, den anderen zu lieben, das Beste für ihn zu wollen, ihm liebevoll zu begegnen.
Und da merken wir auch: Es geht bei Liebe nicht um Gefühlsduselei. Es geht nicht darum, alles schön zu reden – im Gegenteil: Liebe bedeutet, das Beste für den anderen zu wollen; und dazu kann auch ein Wort der Zurechtweisung gehören – aber es soll in Liebe geschehen. Es kann auch bedeuten, den anderen auf einen Missstand in seinem Leben hinzuweisen – aber es soll in Liebe geschehen, in der Absicht, dass es ihm – auch in der Art und Weise, wie ich es sage – zum Besten dient. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Ihr Lieben, die Liebe ist das größte Pfund, dass wir Christen untereinander haben! Gute Musik – das können auch andere. Gute Reden halten – das können auch andere. Aber einander zu lieben, wie es uns aufgetragen ist, ohne eine Vorbedingung: Das können nur wir!
Jesus sagt einmal: „Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Genauso wie ich euch geliebt habe, sollt ihr einander lieb haben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,34f)
Die Liebe ist der Grund, warum Menschen auf uns aufmerksam werden und sich bei uns wohlfühlen. Die Liebe ist der Grund, warum sie wiederkommen. Hier in unserer Gemeinde – so hoffe ich – erleben sie, dass sie angenommen sind, dass sie wertvoll sind – dass sie geliebt sind. An der Liebe merken sie, dass wir anders sind, dass wir zu Jesus gehören. Und bestenfalls bekommen sie eine Ahnung davon, dass es bei Jesus noch so viel mehr von dieser Liebe gibt, dass Gott voller Liebe für uns ist.
Er ist der Grund unserer Liebe. Der Grund unserer Liebe ist nicht, dass Paulus uns am Ende seines Briefes dazu auffordert; nein, das ist doch nur eine Erinnerung. Der Grund unserer Liebe ist, dass Gott uns liebt! – Ja, dass Er uns zuerst geliebt hat!
Deshalb lieben wir: weil Gott uns liebt. Es funktioniert nur so, dass wir uns von Gott lieben lassen, uns immer wieder neu von Seiner überfließenden Liebe erfüllen lassen und diese Liebe dann an andere weitergeben. Unsere Liebe ist begrenzt und endlich; Seine Liebe ist vollkommen und erfüllend und ohne Ende. Wenn wir uns von Gott lieben lassen, dann kann alles, was wir tun, in Liebe geschehen, dann haben wir selbst genug Liebe, um uns dazu zu entscheiden, unsere Mitmenschen zu lieben.
Dann bleibt es nicht bei einem guten Vorsatz, sondern dann wird die Liebe zur Grundeinstellung unseres Herzens, zur Grundentscheidung. Dann können wir uns voller Freude darauf einlassen, was Paulus schreibt: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe!“
Amen.