Fluch und Schutz

Bibelwoche 2023 / 2024   •  Sermon  •  Submitted   •  Presented
0 ratings
· 5 views
Notes
Transcript

Fluch und Schutz

Begrüßung

Losung

Psalm

Gebet

Lied EG 405 Halt im Gedächtnis Jesus Christ

Essen

Lied: Wer ist ein Gott wie du (Du hast Erbarmen) - Feiert Jesus 1 – 107

Bibelarbeit

Der Mensch zwischen Fluch und Segen

Genesis 4,1–25 ZB 2007
1 Und der Mensch erkannte Eva, seine Frau, und sie wurde schwanger und gebar Kain, und sie sprach: Ich habe einen Sohn bekommen mit Hilfe des HERRN. 2 Und sie gebar wieder, Abel, seinen Bruder. Abel wurde Schafhirt, und Kain wurde Ackerbauer. 3 Nach geraumer Zeit aber brachte Kain dem HERRN von den Früchten des Ackers ein Opfer dar. 4 Und auch Abel brachte ein Opfer dar von den Erstlingen seiner Schafe und von ihrem Fett. Und der HERR sah auf Abel und sein Opfer, 5 aber auf Kain und sein Opfer sah er nicht. Da wurde Kain sehr zornig, und sein Blick senkte sich. 6 Der HERR aber sprach zu Kain: Warum bist du zornig, und warum ist dein Blick gesenkt? 7 Ist es nicht so: Wenn du gut handelst, kannst du frei aufblicken. Wenn du aber nicht gut handelst, lauert die Sünde an der Tür, und nach dir steht ihre Begier, du aber sollst Herr werden über sie. 8 Darauf redete Kain mit seinem Bruder Abel. Und als sie auf dem Feld waren, erhob sich Kain gegen seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiss es nicht. Bin ich denn der Hüter meines Bruders? 10 Er aber sprach: Was hast du getan! Horch, das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden. 11 Und nun – verflucht bist du, verbannt vom Ackerboden, der seinen Mund aufgesperrt hat, um aus deiner Hand das Blut deines Bruders aufzunehmen. 12 Wenn du den Ackerboden bebaust, soll er dir fortan keinen Ertrag mehr geben. Rastlos und heimatlos sollst du auf Erden sein. 13 Da sprach Kain zum HERRN: Meine Strafe ist zu gross, als dass ich sie tragen könnte. 14 Sieh, du hast mich heute vom Ackerboden vertrieben, und vor dir muss ich mich verbergen. Rastlos und heimatlos muss ich sein auf Erden, und jeder, der mich trifft, kann mich erschlagen. 15 Der HERR aber sprach zu ihm: Fürwahr, wer immer Kain erschlägt, soll siebenfach der Rache verfallen. Und der HERR versah Kain mit einem Zeichen, damit ihn nicht erschlage, wer auf ihn träfe. 16 So ging Kain weg vom HERRN, und er liess sich nieder im Lande Nod, östlich von Eden. 17 Und Kain erkannte seine Frau, und sie wurde schwanger und gebar Henoch. Und er wurde Erbauer einer Stadt, und er benannte die Stadt nach seinem Sohn Henoch. 18 Henoch wurde Irad geboren, und Irad zeugte Mechujael. Und Mechijael zeugte Metuschael, und Metuschael zeugte Lamech. 19 Und Lamech nahm sich zwei Frauen; die eine hiess Ada, die andere Zilla. 20 Und Ada gebar Jabal; der wurde der Stammvater von denen, die in Zelten und bei den Herden wohnen. 21 Sein Bruder hiess Jubal; der wurde der Stammvater aller Leier- und Flötenspieler. 22 Und Zilla, sie gebar Tubal-Kajin, den Stammvater aller Kupfer- und Eisenschmiede. Die Schwester Tubal-Kajins war Naama. 23 Und Lamech sprach zu seinen Frauen: Ada und Zilla, hört meine Rede, ihr Frauen Lamechs, vernehmt meinen Spruch. Einen Mann erschlage ich für meine Wunde, einen Knaben für meine Strieme. 24 Siebenfach wird Kain gerächt, Lamech aber siebenundsiebzigfach. 25 Und Adam erkannte seine Frau noch einmal, und sie gebar einen Sohn und nannte ihn Set. Denn, sprach sie, Gott hat mir einen anderen Nachkommen gegeben für Abel, da Kain ihn erschlagen hat.
Adam und Eva erhalten Nachwuchs, Kain, den Ackermann, und Abel, den Schäfer.
Außerhalb des Paradieses sind diese beiden geboren. Die Namen der Kinder von Eva und Adam stehen für die beiden Seiten, die wir Menschen an uns erleben können. In dem Namen Kain verbirgt sich das hebräische Wort für „formen, gestalten“. Kain ist der „Geformte“, der „Gestaltete“. Er ist der Inbegriff von „Geschöpf“. Die Übersetzung von Abel lautet „Hauch“ oder „Nichtigkeit“.
Das Buch Prediger beginnt mit der Erkenntnis, dass alles „Abel“ ist – alles ist nichtig und vergänglich.
Kain und Abel pflegen sie immerhin noch, die Erinnerung an Gott. Sie pflegen sie über das Hilfsmittel der Religion. Würden sie noch in Eden leben, bräuchten sie keinen Kult, denn dann lebten sie noch unmittelbar in Verbindung mit Gott. Doch außerhalb von Eden ist das anders.
Gott verbirgt sich jetzt sozusagen hinter einem Firewall. Wir kennen das mit dem Firewall vom Computer. So ein Firewall soll dort vor Viren und anderen technischen Schädlingen schützen. Hier ist es der Firewall der Cherubins mit ihren blitzenden Schwertern (Gen 3,24), der Gott im Paradies und den Menschen jenseits von Eden trennt. Seitdem kommunizieren wir nicht mehr unmittelbar, sondern nur vermittelt, in unserer Geschichte hier durch die Opfer. Ausgerechnet das religiöse Opfer aber führt hier nicht zurück in die Gottesnähe, sondern geradewegs in eine menschliche Entzweiung von Geschwister. Abels Opfer ist Gott wohlgefällig (V. 4), Kains Opfer nicht (V. 5). Die Bibel selbst nennt hier keinen direkten Grund, warum das so ist. Es ist einfach so.
Natürlich haben sich die Menschen dennoch immer gefragt, war um das so ist. Dazu gibt es die verschiedensten Erklärungen der Theologen und Kommentatoren. Die eine Deutung, die besonders im calvinistischen Bereich vertreten ist, führt als Grund die völlige Souveränität Gottes an. Er ist frei, anzunehmen wen und was er will oder abzulehnen, wen oder was er will - vgl. Ex 33,19.
Exodus 33,19 LU17
19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will ausrufen den Namen des Herrn vor dir: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Es ist Gottes Entscheidung und er ist den Menschen keinerlei Rechenschaft schuldig. Schließlich ist er Gott.
Eine andere Deutung bezieht sich auf den Wortlaut der Opferdarbringung: Kain brachte von den Früchten des Feldes (V. 3), Abel aber von den Erstlingen seiner Herde (V. 4). Man könnte sagen: Kain gab etwas von dem, was er übrighatte. Abel aber gab das Erste und das Beste, was er besaß. Eine ähnliche Deutung vertritt auch der Hebräerbrief:
Hebräer 11,4 LU17
4 Durch den Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer dargebracht als Kain; durch den Glauben wurde ihm bezeugt, dass er gerecht sei, da Gott selbst es über seinen Gaben bezeugte; und durch den Glauben redet er noch, obwohl er gestorben ist.
Ein vergleichbares Bild steckt auch im Jesu Wort vom Scherflein der Witwe (vgl. Lk 21,1-4).
Letztlich denke ich, geht es hier gar nicht um das Opfer selbst, sondern es geht um die Frage nach den Menschen, die das Opfer bringen. Der Akzent dieser Erzählung liegt auf den durch narzisstische Kränkung generierten Emotionen Neid, Eifersucht und Missgunst: Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick (V. 5). Warum mein Bruder? Warum nicht ich?
Genesis 4,5 LU17
5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick.

DIE SÜNDE

Es wird uns hier ganz narrativ die destruktive Macht der Versuchung vor Augen geführt. Zum ersten Mal wird im Vers 7 der Begriff Sünde verwendet. Sie wird fast personifiziert. Die Sünde lauert vor der Tür und hat Verlangen nach dir; du aber herrsche über sie, so ermahnt Gott den Kain. Die Angriffswelle der Versuchung rollt an, Kain gerät in innere Wallung, Adrenalin wird in Mengen ausgeschüttet.
Im deutschen Wort Sünde kommt treffend zum Ausdruck, was im Alten und Neuen Testament in vielfältiger Variation ausgedrückt wird: Sünde ist, was ‹absondert›, einen ‹Sund› schafft zwischen Gott und Mensch, den Menschen auf eine ‹sonderbare› Insel versetzt. Sünde ist existentielle Entfremdung von Gott, von den anderen Menschen, von sich selbst. – Das meistverwendete hebräische Wort, das dieses Phänomen beschreibt (chet), bedeutet ‹Verfehlung›: Ein Schütze kann treffen oder er kann das Ziel verfehlen, und ähnlich ist Sünde ein Verhalten, das am Gemeinten vorbeigeht und mit dem der Täter sich selbst disqualifiziert. Das ‹Gemeinte› ist das, was Leben ermöglicht sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft, und das ist in den Geboten gesagt. Wer sündigt, verfehlt die Weisung und mit ihr seinen Lebenskontext.
Zürcher Bibel (2007) (Sünde)
Noch hat Kain nicht gesündigt, noch könnte er die Sünde beherrschen und nicht sie ihn. Noch hat er die Chance zu Umkehr. Er könnte, aber er kann nicht. Er ergibt sich in den Rausch seiner Gefühle und schlägt seinen Bruder tot.
Anstatt die Erde zu bebauen und zu bewahren, schlägt und schießt sich die Menschheit gegenseitig tot, im wahrsten Sinne eine Per-Version, eine Umkehrung von Gottes Schöpfungsplan. Und leider hat sich das bis heute nicht geändert. Die Geschichte von Kain und Abel ist immer noch auch die Geschichte des modernen Menschen, des Menschen des Jahres 2024.
Mit Kain erst hebt die Geschichte an, die Geschichte des Todes. Der auf den Tod hin erhaltene und am Durst nach dem Leben sich verzehrende Adam zeugt Kain, den Mörder. Das ist das Neue in Kain, dem Sohn Adams, dass er selbst als sicut deus sich am Leben des Menschen vergreift. Der Mensch, der nicht vom Baum des Lebens essen darf, greift um so gieriger nach der Frucht des Todes, der Vernichtung des Lebens. Nur der Schöpfer kann Leben vernichten, Kain maßt sich dies letzte Schöpferrecht an und wird zum Mörder.
Bonhoeffer, Schöpfung und Fall (Kap. 4. V. 1. Kain)
Wem gilt aber die Wut des Kain? Sie gilt bei genauem Hinsehen Gott, denn Er hatte ja sein Opfer verschmäht, nicht sein Bruder. Doch dieser gerät stellvertretend ins Visier. Er wird das Mittel zum Zweck, der wir jetzt zum Sündenbock gemacht. Einer muss ja schließlich am eigenen Unglücklichsein schuld sein. Die Sündenbock-Metaphorik wird seitdem die Religion und die ganze Menschheit durchziehen.

DER NEID

Mord aus Neid - bezeichnenderweise wird das Motiv des Mordes aus Neid dann im Kontext der Kreuzigung Jesu Christi wieder auftauchen. Ausgerechnet von Pilatus heißt es: Er erkannte, dass ihn die Hohepriester aus Neid(!) überantwortet haben (Mk 15,10).
Markus 15,10 LU17
10 Denn er erkannte, dass ihn die Hohenpriester aus Neid überantwortet hatten.
Der Neid stellt also eine unglaublich destruktive Ur-Macht des Bösen dar. Oder sagen wir besser: Neid, der für die lauernde Sünde anfällig macht. Neid selbst kann sich ja auch in der Entfesselung positiver Motivation auswirken.
Bei Kain aber provoziert die Macht der Sünde statt positiver Motivation destruktive Missgunst. Neid und Begehrlichkeit bekommen daher in den Top-Ten der Gebote Gottes direkt zwei Plätze: Du sollst nicht begehren, was des anderen ist (vgl. Ex 20,17 und Dtn 5,21). Auch Josef bekommt den Neid seiner Geschwister wegen der Liebe seines Vaters zu spüren und landet in der Zisterne (vgl. Gen 37,20). Wenn wir die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Probleme unserer Gegenwart analysieren, dann stoßen wir dabei in weiten Teilen immer wieder auf die Phänomene Neid, Eifersucht und Missgunst.
Damit wird auch Werbung gemacht, der Verkauf angeheizt, und was wir auch ganz massiv in der Gegenwart erleben, politisch aufgehetzt. Die Sünde ist eine reale Macht, die auch heute wirksam und spürbar ist. Sie lauert vor der Tür und verführt uns zum Bösen. Paulus kann sie daher gleichsam als transzendente Macht beschreiben, die über uns herrscht, uns manipuliert und uns verführt (vgl. Röm 7,17-20). Diese Anfälligkeit des Menschen für die Sünde und deren Überwindung stellen das Hauptthema biblischen Glaubens dar.
Dies ist unser Thema, und zwar im Blick auf uns selbst. Uns für diese Zusammenhänge die Augen zu öffnen – darin besteht der didaktische Zweck der Urgeschichte.

DER MORD

Dann schlägt Kain zu.
Und dann cool bleiben! „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“, raunzt er nun Gott an (V. 9). Die Frage zu stellen, heißt sie zu bejahen. Bebauen und bewahren, lautete der Auftrag. Aber Gott steht uns damit im Wege in unserer Lust am Bösen. Der Adrenalinrausch betört, Gott stört. Deshalb wird Er ja auch dann gekreuzigt.
Kain vergräbt die Leiche, will sie verbergen, aber das Blut, nach hebräischer Auffassung Sitz des Lebens und alleiniges Eigentum Gottes, schreit zum Himmel. Schuld lässt sich vor Gott nicht verbergen.
Die Lust des Menschen am Töten gehört zu den abstrusesten, perversesten und bestialischsten Deformationen unseres Wesens. Würde nur ein einziges Gebot Gottes gehalten, „Du sollst nicht töten!“, es gäbe keine Kriege mehr. Nur ein einziges Gebot! Ist das wirklich zu viel verlangt? Nein, der Mensch ist nicht die Krone der Schöpfung.
Am realen Zustand der Menschheit kann der Sanftmütige nur verzweifeln. Allein der virtuelle Blick in Gottes Hintergrundregie, wie ihn uns die Urgeschichte poetisch eröffnet, vermag trotz allem die Hoffnung zu erhalten und den Fall in die Sinnlosigkeit abzubremsen. Wie schreibt der Psalmbeter? Dennoch bleibe ich stets an Dir (Ps 73,23:
Psalm 73,23 LU17
23 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

DIE GNADE

Ja, die Hintergrundregie! Gott sitzt im Backstage-Office dieser Welt, darin besteht unser Glaube. „Es wird regiert“, hat Karl Barth, der große reformierte Theologe, einst geschrieben. Er sagte es kurz vor seinem Tod 1968 seinem Freund und Mitstreiter Eduard Thurneysen:
Ja, die Welt ist dunkel. Nur ja die Ohren nicht hängen lassen! Nie! Denn es wird regiert, nicht nur in Moskau oder in Washington oder in Peking, aber ganz von oben, vom Himmel her. Gott sitzt im Regimente. Darum fürchte ich mich nicht. Bleiben wir doch zuversichtlich auch in dunkelsten Augenblicken! Lassen wir die Hoffnung nicht sinken, die Hoffnung für alle Menschen, für die ganze Völkerwelt! Gott lässt uns nicht fallen, keinen einzigen von uns und uns alle miteinander nicht! Es wird regiert!‘
Das ist auch gut, dass wir das heute wissen können. Gott ist in unserer Erzählung jetzt auch am Zuge. Worauf wird er setzen? Sein nächster Spielzug ist erstaunlich. Er bestraft zwar Kain, indem er ihn verflucht (V. 11), aber er lässt ihn leben, vergilt also nicht Gleiches mit Gleichem. Der Ackerbau wird erschwert und der Acker widerspenstig, was wohl die realen Strapazen der Landwirtschaft zur damaligen Zeit widerspiegeln dürfte, und die Lebensqualität des Menschen wird weiter eingeschränkt.
Kain zieht weg von Gottes Angesicht (V. 14) ins Land Nod, welches historisch unbekannt ist. Der Name erinnert an hebr. nad = flüchtig. Der schuldige Bluttäter wird also ab sofort ruhelos leben. Nod bezeichnet wohl die aufgewühlte Existenzweise nach schwerer Schuld in quälendem Gewissen. Doch Kain muss nicht sterben. Im Gegenteil, fern von Gottes Angesicht erhält er dennoch eine persönliche Sicherheits - und Schutzgarantie Gottes, die ihn vor Blutrache (V. 15) schützt. Der Richter stellt das gerichtete Leben unter seinen persönlichen Schutz. Mordlust darf sich eben nicht multiplizieren und Blutrausch soll nicht durch wahnhafte Ansteckung, wie sie sich im Krieg realisiert, eskalieren. Gewalt wird allein dadurch verhindert, dass niemand sie anwendet.
Philip Melanchton beschreibt das für seine Zeit so:

Es gibt aber keinen Zweifel daran, dass diese Gebräuche, durch welche die Beklagten dem Volk als Kenntlichgemachte präsentiert wurden, von den ersten Vätern her ihren Ursprung genommen haben. Denn immer, von Kain an bis zum heutigen Tage, hat es irgendeine Zeremonie des Ausschlusses gegeben, und es sind Spuren davon auch bei den Heiden geblieben, so wie von Kain gesagt wird, dass ihm ein Mal aufgedrückt worden sei. So haben später auch die als Mörder Angeklagten Zeichen der Schuld an der Kleidung getragen, bis sie wieder aufgenommen wurden, damit die anderen Menschen wussten, dass diese besudelt und deshalb zu meiden waren. Denn die Ausgeschlossenen waren von der Gemeinschaft der heiligen Dinge, des Tisches des Herrn und der vieler Ämter ausgeschlossen. Niemand aß mit ihnen zusammen, solange jener Mörder oder Blutschänder die Zeichen seiner Schuld trug, und es gab bestimmte Worte des Ausschlusses, die „Rachegöttinnen“ genannt wurden, auf Griechisch aber „Verfluchungen“. So ist Orest in Griechenland umhergezogen, wobei er sich jeden Umgangs mit anderen Menschen enthielt. Und er hat Zeichen der Schuld getragen, die ihm später wieder fortgenommen wurden, als man ihn vor Gericht freisprach. Viele derartige Beispiele werden angeführt, wie etwa bei Herodot dasjenige des Adrastes, der mit einem angehefteten Zeichen der Schuld zu Krösus kam.

Weil es aber bis dahin Spuren dieser alten Sitte beim jüdischen Volk gab und ebenso bei den nicht völlig barbarischen Völkern, ist dieser Brauch auch von der Kirche übernommen worden. Zu Beginn war er lediglich ein Bestandteil der Zeremonien. Später aber hat der Aberglaube hinzugedichtet, dass um dieser Züchtigungen willen die Vergebung der Sünden geschenkt werde. Diese Auffassung hat die Strafen so sehr vermehrt, dass sie schließlich unerträglich geworden sind. Daher sind sie auch wieder gemildert worden. Dies nannten die Bischöfe dann „Ablässe“, d. h. das Erlassen jener Schauspiele, welche die Kanones vorgeschrieben hatten. So sind allmählich jene alten Schauspiele verschwunden, geblieben aber ist das vom Volk nicht verstandene Wort „Genugtuung“.

Jesus wird diese Haltung bis zum Gebot der Feindesliebe potenzieren (vgl. Mt 5,43-48) und dafür sogar das Martyrium auf sich nehmen. Das steht zwar völlig quer zu jeder sogenannten realpolitischen Logik, entspricht aber absolut der Ethik des Reiches Gottes.
Schließlich beten wir ja auch im Vaterunser darum, dass nicht mein, sondern Dein Wille geschehe, wie im Himmel (!) so auf Erden (Mt 6,10). Ja, die Perspektive des Glaubens ist nicht von dieser Welt (vgl. Joh 18,36), sie stammt aus unserer zweiten Staatsbürgerschaft, aus der Bürgerschaft im Himmel (vgl. Phil 3,20).
Schöpfung und Fall, (Kap. 4. V. 1. Kain)
Christus am Kreuz, der gemordete Sohn Gottes, das ist das Ende der Geschichte Kains, und damit das Ende der Geschichte überhaupt. Das ist der letzte verzweifelte Ansturm | auf das Tor des Paradieses. Und unter dem hauenden Schwert, unter dem Kreuz stirbt das Menschengeschlecht. Aber Christus lebt. Der Stamm des Kreuzes wird zum Holze des Lebens, und mitten in der Welt ist nun aufs neue auf dem verfluchten Acker das Leben aufgerichtet; in der Mitte der Welt, am Holz des Kreuzes quillt der Quell des Lebens auf, und zu diesem Wasser sind die nach Leben Durstenden alle berufen, und wer vom Holz dieses Lebens gegessen hat, den wird nimmermehr hungern und dürsten.2 Seltsames Paradies, dieser Hügel von Golgatha, dieses Kreuz, dieses Blut, dieser gebrochene Leib, seltsamer Lebensbaum, dieser Stamm, an dem Gott selbst leiden und sterben musste, – aber eben von Gott in Gnade wiedergeschenktes Reich des Lebens, der Auferstehung, aufgetane Tür der unvergänglichen Hoffnung, des Wartens und der Geduld. Baum des Lebens, Kreuz Christi, Mitte der gefallenen und erhaltenen Welt Gottes, das ist das Ende der Paradiesgeschichte für uns.
Heut schließt er wieder auf die Tür
Zum schönen Paradeis.
Der Engel steht nicht mehr dafür.
Gott sei Lob, Ehr und Preis.

Schluss

»Bin ich meines Bruders Hüter?«
Kain vergoss das Blut seines Bruders, weil er neidisch auf ihn war und Gott hasste, der ihm den Vorzug gab. Als Kain von Gott mit der Frage konfrontiert wurde, wo Abel sei, antwortete er: "Bin ich der Hüter meines Bruders?", ein Satz, den die Menschen auch heute noch verwenden, um sich kaltblütig von der Verantwortung für andere zu distanzieren, selbst für jemanden, der so nahe steht wie ein Bruder.
Welch ein Kontrast zu Jesus. Während Kain das Blut seines Bruders vergoss, vergoss Jesus sein Blut für die, die "noch Sünder waren" und "Feinde Gottes" (Röm 5,8.10; vgl. V. 6-11).

Fragen

Gott hat Kain gewarnt. Welche Alternative hätte Kain gehabt? Was hätte Kain Gott antworten sollen? Ein Gebet? Welches? Formulieren Sie ein Antwortgebet Kains!
Gott schützt Kain. Die Folgen der Tat bleiben trotzdem bestehen. Kain wird zum Städtebauer. Mit seinen Nachkommen entwickelt sich die Zivilisation. Wie empfinden wir das Verhältnis von Fluch und Schutz, wenn wir an den Zustand der Schöpfung denken?
Wo erleben wir heute Neid? Worauf bin ich persönlich neidisch?
Wir gehen wir mit destruktiven Impulsen um, die auch „vor unserer Tür“ immer wieder „lauern“?
Welche Rolle könnten derartige Impulse in unserem Gebetsleben spielen oder in der Beichte?
Wem vertrauen wir mehr in Zeiten des zerknirschten Gewissens: der Dämmerung oder Gottes Licht?

Lied EG 657 Damit aus Fremden Freunde werden

Gebet

Segen

Lied Vater dein Liebe ist unbegreiflich groß – Feiert Jesus 1 108

weitere Lieder:
EG 410 Christus, das Licht der Welt
EG 412 So jemand spricht: »Ich liebe Gott«
Related Media
See more
Related Sermons
See more