Der Freie Wille
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Predigt der Freie Wille
Predigt der Freie Wille
Max Bredemeier 18.05.25
Max Bredemeier 18.05.25
Einleitung:
Stellt euch vor, ihr steht auf einem offenen Feld. Kein Zaun, kein Schild, kein Hinweis darauf, wo ihr langgehen sollt. Nur Weite. Ihr könnt nach links, nach rechts, geradeaus – wohin ihr wollt. Für viele Menschen fühlt sich genau so der freie Wille an: Eine offene Welt, in der jeder selbst entscheidet, was richtig ist.
Aber ist das wirklich Freiheit?
Wir leben in einer Welt, in der der Begriff „freier Wille“ fast schon selbstverständlich gebraucht wird. Jeder Mensch – so scheint es – ist seines eigenen Glückes Schmied. Jeder entscheidet selbst, welchen Weg er geht, was er glaubt, wie er lebt. Freiheit wird dabei oft verstanden als völlige Unabhängigkeit – von Gesellschaft, von Moral, und auch von Gott.
Doch woher kommt dieses Denken eigentlich?
Warum sehen so viele Menschen den freien Willen als etwas an, das absolut und uneingeschränkt ist?
Und: Was bedeutet das für unser Bild vom Menschen – und unser Bild von Gott?
Vielleicht habt ihr euch auch schon einmal gefragt:
Haben wir wirklich einen freien Willen?
Und wenn ja – was heißt das dann genau?
Ist unser Wille tatsächlich grenzenlos?
Oder gibt es – bewusst oder unbewusst – doch Grenzen, Rahmen, Einfluss?
Und vor allem:
Was sagt eigentlich die Bibel dazu?
Spricht sie von einem völlig freien, losgelösten Willen – oder zeichnet sie ein anderes Bild?
Ein Bild, das uns als freie Wesen sieht, aber eingebettet in eine größere Realität, in Gottes Geschichte?
Heute Abend wollen wir uns auf eine gemeinsame Reise begeben. Eine Reise durch Weltbilder, durch Denkweisen, durch Philosophie, Theologie und Schrift. Wir wollen das weltliche Denken betrachten – das Denken, das unsere westliche Welt prägt. Dann das kirchliche Denken, das stark von der griechischen Philosophie beeinflusst ist. Und schließlich den Blick wenden auf das biblische und jüdische Verständnis von freiem Willen. Auf das, was die Sprache selbst in der Bibel über den Willen des Menschen offenbart. Und auf die Frage: Wie frei ist der Mensch wirklich – vor dem Angesicht eines allmächtigen Gottes?
Lasst uns gemeinsam schauen:
Was bedeutet „freier Wille“ wirklich?
Und stimmt unser modernes Denken darüber überein mit dem, was Gott in seinem Wort zeigt?
Hauptteil:
1. Weltliches Denken – freier Wille im westlichen Verständnis
In unserer westlichen Welt ist das Denken vom freien Willen tief verwurzelt. Es gehört zu den Grundüberzeugungen moderner Gesellschaften: Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, was er glaubt, wie er lebt und was er für richtig hält. Freiheit bedeutet Unabhängigkeit. Unabhängigkeit von Zwängen, von Vorgaben, von Beeinflussung – und oft auch: Unabhängigkeit von Gott.
Dieses Denken ist kein Zufall. Es hat seine Wurzeln in der griechischen Philosophie, besonders bei Denkern wie Platon, Aristoteles oder später Epikur und den Stoikern. Der Mensch wurde darin zunehmend als autonomes Wesen gesehen – als jemand, der durch Vernunft zur Erkenntnis gelangt und damit selbstbestimmt handeln kann. Diese Sichtweise wurde im Lauf der Jahrhunderte weiterentwickelt und schließlich durch die Aufklärung und den Humanismus noch verstärkt.
Der Mensch wurde zum Maßstab aller Dinge.
Was zählt, ist der eigene Wille, das eigene Urteil, die persönliche Freiheit.
Heute erleben wir das in vielen gesellschaftlichen Bereichen:
In der Moral: „Was für dich richtig ist, entscheidest du.“
In der Religion: „Jeder glaubt, was er will – und alles ist gleich gültig.“
In der Lebensplanung: „Mach, was dich glücklich macht. Leb deinen Traum.“
Diese Vorstellung klingt attraktiv. Wer möchte nicht frei sein? Wer möchte nicht selbst über sein Leben bestimmen? Doch genau hier beginnt auch das Problem:
Denn wenn jeder Mensch selbst entscheidet, was richtig und falsch ist –
wer oder was setzt dann noch Maßstäbe?
Diese Denkweise führt oft zu einem Individualismus, in dem der eigene Wille über allem steht. Der Mensch wird zu seinem eigenen Gott, sein eigener Richter, sein eigener Retter. Und genau hier berührt das Thema freien Willens nicht nur philosophische, sondern tief geistliche Fragen.
Denn Was geschieht, wenn mein Wille gegen Gottes Willen steht?
Und was bedeutet Freiheit, wenn sie ohne Wahrheit auskommen will?
In dieser Weltanschauung ist Gott – wenn überhaupt – höchstens noch ein Zuschauer. Ein ferner, toleranter Gott, der sich nicht einmischt. Der dem Menschen freie Hand lässt. Oder ganz verschwunden ist.
Aber ist das das biblische Bild?
Ist das der freie Wille, von dem Gott spricht?
Bevor wir dazu kommen, schauen wir im nächsten Abschnitt darauf, wie dieses weltliche Denken ins kirchliche Denken übergegangen ist – und wie stark selbst in christlichen Kreisen das griechisch-philosophische Freiheitsverständnis unsere Sicht auf Gott und den Menschen prägt.
2. Kirchliches Denken – philosophischer Einfluss auf das christliche Freiheitsverständnis
Das griechische Denken hat nicht nur unsere westliche Welt geprägt, sondern ist auch tief in das kirchliche Denken eingedrungen. Besonders in der Zeit der Kirchenväter – etwa bei Augustinus – wurde viel griechische Philosophie in die Theologie aufgenommen. Begriffe wie „Vernunft“, „Seele“, „Natur“, aber auch das Verständnis vom „freien Willen“ wurden mit philosophischem Gedankengut vermischt – oft ohne klare Unterscheidung zwischen biblischer Offenbarung und menschlicher Überlegung.
So wurde das Bild vom Menschen als autonomes, freies Wesen auch in kirchlichen Kontexten verbreitet. Viele Predigten, Bücher und theologische Lehren übernahmen mehr das Ideal der Selbstbestimmung als das der Gehorsamkeit gegenüber Gott. Freiheit wurde zur Unabhängigkeit erklärt – sogar gegenüber dem Schöpfer selbst.
Ein Beispiel dafür ist die Lehre, dass der Mensch aus eigenem Willen zu Gott kommen kann – aus sich selbst heraus, ohne dass Gott zuvor an ihm handelt. Das aber widerspricht der Bibel an vielen Stellen.
Biblische Impulse gegen ein autonomes Menschenbild:
Johannes 6,44 (HFA):
„Niemand kann von sich aus zu mir kommen. Der Vater muss ihn zu mir ziehen, und nur ihn werde ich am letzten Tag vom Tod auferwecken.“
→ Jesus macht hier klar: Es ist nicht die autonome Entscheidung des Menschen, die ihn rettet, sondern das Ziehen Gottes.
Sprüche 16,9 (HFA):
„Der Mensch kann seinen Weg planen, aber der Herr lenkt seine Schritte.“
→ Der Mensch hat Ideen, Vorstellungen, Wünsche – aber es ist letztlich Gott, der die Richtung vorgibt.
Jeremia 10,23 (HFA):
„Herr, ich weiß: Der Mensch kann sein Leben nicht selbst bestimmen. Keiner kann aus eigener Kraft seinen Weg wählen.“
→ Ein direkter Widerspruch zum modernen wie auch philosophisch-kirchlichen Freiheitsbegriff.
Auch innerhalb der Kirche hat sich also ein Denken breitgemacht, das dem Menschen mehr Freiheit zuschreibt, als es der Bibel entspricht. Freiheit wurde zur Loslösung von göttlicher Ordnung, statt zur Einladung, in Gottes Rahmen zu leben.
Selbst in vielen heutigen Gemeinden ist dieses Denken spürbar. Es heißt:
„Gott greift nicht ein, er zwingt niemanden.“
Oder:
„Gott wartet nur, dass du dich entscheidest – alles liegt an dir.“
Doch damit wird Gott oft zum passiven Zuschauer gemacht.
Der Mensch zum alleinigen Entscheider.
Und Gnade wird zur Option unter vielen, nicht zum Wunder Gottes.
Hier zeigt sich:
Das griechisch-philosophisch geprägte Denken hat nicht nur unsere Kultur, sondern auch unser Gottesbild und unser Menschenbild in der Kirche tief beeinflusst.
Aber ist das wirklich biblisch?
Lass uns im nächsten Schritt gemeinsam anschauen, wie die Bibel selbst den freien Willen beschreibt – und wie das jüdische Denken, in dem die Bibel eingebettet ist, das Thema versteht.
3. Biblisches und jüdisches Denken – der freie Wille im Licht der Schrift
Wenn wir von „freiem Willen“ sprechen, dann lohnt sich ein Blick in das Denken und die Welt der Bibel – und damit auch in das jüdische Denken, in dem sie eingebettet ist. Denn die Bibel spricht anders über Freiheit als unser westliches Denken. Sie sieht Freiheit nicht als völlige Unabhängigkeit, sondern als Bewegung innerhalb eines Rahmens, den Gott gesetzt hat. Und innerhalb dieses Rahmens gibt es Freiheit – aber auch Grenzen.
Ein zentrales Beispiel dafür ist Pharao in der Geschichte des Exodus. Immer wieder lesen wir, dass er sich weigert, das Volk Israel ziehen zu lassen. Doch die Bibel sagt nicht nur, dass Pharao sich selbst verhärtete, sondern auch, dass Gott selbst in sein Herz eingriff:
2. Mose 9,12 (HFA):
„Aber der Herr ließ den Pharao starrsinnig bleiben, sodass er nicht auf Mose und Aaron hörte – genau wie der Herr es angekündigt hatte.“
Dieses Eingreifen Gottes ist kein Kontrollverlust beim Menschen – Pharao handelt nicht gegen seinen Willen. Vielmehr wird sichtbar: Gott wirkt mitten im menschlichen Wollen und Handeln – manchmal stärkend, manchmal richtend.
Doch damit stellt sich eine große Frage:
Wenn Gott eingreifen kann – tut er es immer? Und wo bleibt da der freie Wille?
Die Bibel zeigt: Gott ist souverän, aber der Mensch ist verantwortlich.
Sprüche 21,1 (HFA):
„Das Herz eines Königs ist in der Hand des Herrn wie Wasser in einem Graben. Er lenkt es, wohin er will.“
→ Selbst die Entscheidungen eines Herrschers stehen unter Gottes Einfluss – doch der König bleibt verantwortlich für sein Tun.
5. Mose 30,19 (HFA):
„Heute stelle ich euch vor die Entscheidung zwischen Leben und Tod, zwischen Segen und Fluch. Ich fordere euch auf: Wählt das Leben!“
→ Der Mensch hat Wahlmöglichkeiten. Gott fordert auf zur Entscheidung – aber die Richtung ist klar: Wählt das Leben, folgt meinem Weg.
Im jüdischen Denken wird genau diese Spannung gehalten:
Der Mensch kann sich frei bewegen – innerhalb eines von Gott gesteckten Feldes.
Er kann sich für oder gegen Gott entscheiden – aber nie außerhalb seines Machtbereichs handeln.
Der Talmud bringt es so auf den Punkt:
„Alles liegt in Gottes Hand – außer der Gottesfurcht.“
Das bedeutet: Gott gibt Raum zur Entscheidung – aber er bleibt der Herr der Geschichte. Und er greift ein, wann und wie er es für richtig hält. Manchmal sichtbar wie bei Pharao, manchmal leise, aber wirkungsvoll – wie im Herzen eines Menschen.
Die Bibel widerspricht also dem modernen Verständnis völliger Selbstbestimmung.
Sie widerspricht aber auch einer mechanischen Vorherbestimmung.
Gott zwingt nicht – aber er wirkt.
Der Mensch ist nicht unabhängig – aber er ist verantwortlich.
Diese doppelte Wahrheit ist schwer zu fassen, aber zentral:
Gott ist souverän – und der Mensch ist verantwortlich.
4. Sprachliches Verständnis von „freiem Willen“ – Hebräisch, Griechisch, Biblisch (und die Abgrenzung zur Lehre des Kalvinismus)
Wenn wir vom „freien Willen“ sprechen, ist es wichtig zu fragen:
Was bedeutet das eigentlich sprachlich? Denn Worte formen unser Denken – und sie prägen, wie wir die Bibel lesen.
Im Hebräischen, der Sprache des Alten Testaments, gibt es kein direktes Wort für das, was wir heute „freien Willen“ nennen. Stattdessen wird mit Begriffen gearbeitet, die Entscheidung, Wollen, Herz oder Richtung meinen.
Ein Schlüsselbegriff ist das Wort „lev“ (לֵב) – das Herz.
In der hebräischen Vorstellung ist das Herz Sitz des Willens, des Denkens und der Entscheidung – nicht nur der Gefühle. Wenn also in der Bibel steht:
Sprüche 16,9 (HFA):
„Der Mensch macht Pläne in seinem Herzen, doch der Herr lenkt seine Schritte.“
…dann meint das: Der Mensch denkt, plant, entscheidet – aber Gott bleibt der lenkende Herr. Es ist kein Widerspruch, sondern Spannung: Der Mensch will – und Gott wirkt.
Ein weiteres hebräisches Wort, das oft mit „wählen“ oder „entscheiden“ übersetzt wird, ist „bachar“ (בָּחַר). Dieses Verb wird oft in Bezug auf das Volk Israel verwendet:
5. Mose 7,6 (HFA):
„Denn du bist ein heiliges Volk, das dem Herrn, deinem Gott, gehört. Dich hat der Herr aus allen Völkern der Erde ausgewählt, damit du ihm gehörst.“
→ Gott wählt, aber gleichzeitig ruft er den Menschen auf zu einer Gegenwahl, nämlich zur Treue und zum Gehorsam. Es ist also ein Wechselspiel: Gott ruft – der Mensch antwortet.
Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testaments, wird für „Wille“ oft das Wort „theléma“ (θέλημα) verwendet. Es beschreibt sowohl den Willen Gottes als auch den menschlichen Willen – aber in einem ganz anderen Rahmen als im modernen Freiheitsverständnis. Der Wille ist nicht autonom, sondern steht in Beziehung. Besonders auffällig wird das im Gebet Jesu:
Lukas 22,42 (HFA):
„Vater, wenn du willst, dann lass diesen bitteren Kelch an mir vorübergehen. Aber nicht mein Wille soll geschehen, sondern deiner.“
→ Jesu Wille ist da – aber er unterordnet sich. Hier sehen wir das ideale Bild von Freiheit in der Bibel: Freiheit ist nicht Unabhängigkeit, sondern bewusste Hingabe.
Ein weiteres griechisches Wort ist „eklogé“ (ἐκλογή) – die Wahl, die Erwählung. Es begegnet uns z. B. in Römer 9, wo Paulus über die Auserwählung Israels spricht. Aber auch hier ist entscheidend: Gottes Wahl hebt nicht die Verantwortung des Menschen auf. Die Sprache macht klar:
Gott wählt – aber nicht willkürlich.
Und genau an diesem Punkt müssen wir eine wichtige Klärung vornehmen:
Wir vertreten kein kalvinistisches Weltbild.
Der Kalvinismus lehrt, dass Gott von Anfang an unwiderruflich bestimmt hat, wer gerettet wird und wer verloren geht – unabhängig von menschlicher Entscheidung.
Das ist nicht das biblische Bild, das wir heute betrachten wollen.
Es geht nicht um eine harte Vorherbestimmung, wie sie im Kalvinismus vertreten wird.
Gott bestimmt nicht einfach über den Kopf des Menschen hinweg, wer in den Himmel und wer in die Hölle kommt.
Gottes Souveränität bedeutet nicht, dass wir Marionetten sind.
Die Bibel macht deutlich:
Der menschliche Wille ist real und verantwortlich.
Er bewegt sich innerhalb eines von Gott gesetzten Rahmens, ja – aber er ist wirklich und frei. Gott kann diesen Willen begrenzen, legieren oder zeitweise beeinflussen – aber er nimmt ihn nicht weg.
Die Bibel kennt kein Konzept, in dem der Mensch bloß fremdgesteuert ist.
Aber sie kennt auch kein Konzept von Freiheit, das den Menschen völlig unabhängig von Gott sieht.
Die biblische Sprache hält die Spannung:
Der Mensch wählt – Gott lenkt. Der Mensch entscheidet – Gott wirkt.
5. Römer 9 – Spannungsfeld zwischen Gottes Erwählung und menschlicher Verantwortung
Römer 9 ist einer der herausforderndsten Texte, wenn es um das Verhältnis von Gottes Souveränität und dem freien Willen des Menschen geht. Paulus spricht dort sehr klar über Gottes Erwählung – und benutzt dabei das Beispiel von Esau und Jakob sowie von Pharao:
„Denn Gott sagte schon zu Rebekka: ‚Der Ältere wird dem Jüngeren dienen.‘ […] Noch bevor die Kinder geboren waren und noch nichts Gutes oder Böses getan hatten, wurde zu ihr gesagt: ‚Ich habe Jakob erwählt und Esau abgelehnt.‘“
(Römer 9,12–13; Hoffnung für alle)
Und etwas später:
„Denn die Heilige Schrift sagt zu dem Pharao: ‚Gerade deshalb habe ich dich zum Pharao gemacht, um an dir meine Macht zu zeigen und damit alle Welt erfährt, wie groß und mächtig ich bin.‘ Gott schenkt also dem sein Erbarmen, dem er es schenken will, und macht starrsinnig, wen er will.“
(Römer 9,17–18; Hoffnung für alle)
Diese Verse scheinen zunächst zu sagen: Der Mensch hat keinen freien Willen – Gott entscheidet alles. Doch das ist zu kurz gegriffen. Denn Paulus erklärt in Römer 9 nicht, dass Gott willkürlich Menschen erschafft, um sie zu verdammen – sondern dass Gott souverän ist in seinem Handeln und mit seiner Barmherzigkeit. Er ist nicht dem menschlichen Maßstab unterworfen.
Aber wichtig: Auch der Pharao hatte einen eigenen Willen. Er war kein Roboter. Immer wieder lesen wir, dass er selbst sein Herz verhärtete (z. B. 2. Mose 8,28) – und auch, dass Gott sein Herz verhärtete (z. B. 2. Mose 9,12). Beides steht nebeneinander. Das bedeutet: Gottes Eingreifen hebt den Willen des Menschen nicht auf – sondern setzt ihn in Beziehung zu seinem göttlichen Plan.
Römer 9 ist deshalb kein Beweis für eine harte Vorherbestimmung im Sinne des Kalvinismus, also dass Gott vorher festlegt, wer gerettet wird und wer verloren geht – und der Mensch keinerlei Einfluss hätte. Diese Vorstellung wäre ein fataler Missbrauch von Paulus’ Argumentation. Der Text zeigt vielmehr: Gott handelt souverän – aber nicht willkürlich. Er verfolgt einen Plan der Gnade und Barmherzigkeit, und der Mensch bleibt verantwortlich in seinem Handeln.
Paulus ruft seine Leser nicht zur Passivität auf, sondern beschreibt ein Spannungsfeld: Gott ist souverän – und doch bleibt der Mensch angesprochen und verantwortlich.
Damit spitzt sich unsere Frage weiter zu: Was heißt das für unseren freien Willen? Wo ist unsere Grenze – und wo Gottes Raum zu handeln?
Schlussteil:
6. Das Bild vom Spielfeld – Eingrenzungen, Eingreifen, echter Raum zur Entscheidung
Stellen wir uns unser Leben wie ein Fußballfeld vor.
Ein Fußballfeld hat klare Linien. Es gibt eine Seitenbegrenzung, es gibt Strafräume, es gibt Regeln. Und dennoch: Innerhalb dieses Feldes können sich die Spieler frei bewegen. Sie können entscheiden, ob sie nach links passen, aufs Tor schießen oder sich zurückfallen lassen. Es gibt Taktiken, Spielzüge – doch jeder einzelne Spieler ist in seinem Handeln frei. Er entscheidet in Echtzeit, in Verantwortung und im Zusammenspiel mit anderen.
Aber: Über dem Spiel steht ein Schiedsrichter. Jemand, der die Autorität hat, einzugreifen. Er kann pfeifen, kann ein Spiel unterbrechen, kann Verwarnungen aussprechen oder sogar Spieler vom Feld nehmen. Auch Linienrichter beobachten das Spiel und weisen auf Grenzüberschreitungen hin.
So ist es auch mit Gott.
Gott ist wie der souveräne Spielleiter. Er hat die Linien gesetzt, er hat das Spielfeld geschaffen, er kennt den gesamten Spielverlauf – und er kann eingreifen. Aber: Nur weil er es kann, heißt es nicht, dass er es immer tut.
Gott lässt Raum für unsere Entscheidungen. Er lässt uns spielen. Er lässt uns auch Fehler machen. Und doch bleibt er souverän über dem Spiel.
Das heißt: Unser Wille ist echt. Wir sind keine Marionetten.
Aber unser Wille bewegt sich in einem Feld, das Gott setzt. Er kann eingreifen, er kann eingrenzen – aber er tut es nicht willkürlich. Und er nimmt uns nie unsere Verantwortung ab.
Diese Sicht unterscheidet sich grundlegend von einer Vorstellung harter Vorherbestimmung oder kalvinistischer Prägung, die sagt: Gott entscheidet im Voraus, wer gerettet wird – der Mensch hat keine Wahl.
Diese Sicht widerspricht der biblischen Einladung zur Umkehr, zur Entscheidung, zum Glauben. Denn der Ruf Gottes zur Umkehr ist echt. Die Einladung gilt jedem.
Fazit und Schlussfolgerung der Predigt
Fazit und Schlussfolgerung der Predigt
Was bedeutet das alles für uns?
Unser westliches Freiheitsdenken ist stark geprägt von griechischer Philosophie. Es stellt den Menschen in den Mittelpunkt und sagt: „Du kannst alles entscheiden – unabhängig von jedem Gott.“
Aber das ist eine Illusion. Denn völlige Unabhängigkeit gibt es nicht. Wir sind eingebunden – in Beziehungen, in Umstände, in geistliche Realitäten.
Das kirchlich-philosophische Denken hat diese Sicht oft übernommen – und dabei vergessen, dass Freiheit in der Bibel nicht Beliebigkeit bedeutet, sondern Verantwortung vor Gott.
Die Bibel zeigt uns ein anderes Bild: Der Mensch hat einen freien Willen, aber Gott bleibt souverän. Es gibt keinen fatalistischen Determinismus, keine willkürliche Vorherbestimmung. Sondern eine echte Spannung zwischen menschlicher Entscheidung und göttlichem Eingreifen.
Beispiele wie der Pharao zeigen: Gott kann einen Willen beeinflussen, ihn sogar verhärten – aber niemals ohne den Willen des Menschen selbst. Es ist nie Zwang. Es ist niemals Willkür. Es bleibt ein geheimnisvolles Zusammenspiel.
Das Bild vom Spielfeld hilft uns zu verstehen: Wir haben Raum zur Entscheidung, wir sind gerufen zur Verantwortung – aber Gott ist der Herr über das Spielfeld. Und er greift ein, wenn es notwendig ist. Immer mit Gnade. Immer mit einem Ziel.
Schlusswort
Schlusswort
Vielleicht ist es gerade diese Spannung, die uns Demut lehrt.
Dass wir nicht alles verstehen müssen – aber dennoch eingeladen sind, zu glauben.
Dass wir nicht alles kontrollieren – aber dennoch gerufen sind, verantwortlich zu handeln.
Dass Gott größer ist als unser Denken – und dennoch nicht fern, sondern nah.
Du hast einen freien Willen. Nimm ihn ernst.
Gott hat einen souveränen Plan. Vertrau ihm.
Und das Leben ist kein Spiel – aber du spielst darin eine Rolle.
Amen.