1. Korinther 5,1–13 SLTÜberhaupt hört man von Unzucht unter euch, und zwar von einer solchen Unzucht, die selbst unter den Heiden unerhört ist, daß nämlich einer die Frau seines Vaters hat! Und ihr seid aufgebläht und hättet doch eher Leid tragen sollen, damit der, welcher diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte hinweggetan wird! Denn ich als dem Leib nach abwesend, dem Geist nach aber anwesend, habe schon, als wäre ich anwesend, über den, der dies auf solche Weise begangen hat, beschlossen, den Betreffenden im Namen unseres Herrn Jesus Christus und nachdem euer und mein Geist sich mit der Kraft unseres Herrn Jesus Christus vereinigt hat, dem Satan zu übergeben zum Verderben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde am Tag des Herrn Jesus. Euer Rühmen ist nicht gut! Wißt ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig durchsäuert? Darum fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, da ihr ja ungesäuert seid! Denn unser Passahlamm ist ja für uns geschlachtet worden: Christus. So wollen wir denn nicht mit altem Sauerteig Fest feiern, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit ungesäuerten Broten der Lauterkeit und Wahrheit. Ich habe euch in dem Brief geschrieben, daß ihr keinen Umgang mit Unzüchtigen haben sollt; und zwar nicht mit den Unzüchtigen dieser Welt überhaupt, oder den Habsüchtigen oder Räubern oder Götzendienern; sonst müßtet ihr ja aus der Welt hinausgehen. Jetzt aber habe ich euch geschrieben, daß ihr keinen Umgang haben sollt mit jemand, der sich Bruder nennen läßt und dabei ein Unzüchtiger oder Habsüchtiger oder Götzendiener oder Lästerer oder Trunkenbold oder Räuber ist; mit einem solchen sollt ihr nicht einmal essen. Denn was gehen mich auch die an, die außerhalb der Gemeinde sind, daß ich sie richten sollte? Habt ihr nicht die zu richten, welche drinnen sind? Die aber außerhalb sind, richtet Gott. So tut den Bösen aus eurer Mitte hinweg! Das erste Problem, das Paulus hervorhebt, ist der Fall eines Mannes in der korinthischen Gemeinde, der in einer sexuellen Beziehung mit "der Frau seines Vaters" lebt – nicht seine eigene Mutter, sondern eine spätere Frau seines Vaters. (Aus Pauls spärlicher Beschreibung kann man nicht wissen, ob der Vater diese zweite Frau gestorben oder geschieden hatte; die Korinther wußten natürlich die Einzelheiten der Sache.) Wie die Kommentatoren allgemein anmerken, war die Frau sicherlich kein Mitglied der Gemeinschaft von Gläubige; Sonst wäre auch sie der Disziplinarmaßnahme unterworfen gewesen, die Paulus in den Versen und angeordnet hat. Entsetzt über diese Beziehung bezeichnet Paulus es als "porneia (sexuelles Fehlverhalten)", wie es selbst unter den Heiden nicht zu finden ist (). Das Wort ethnē, übersetzt von NRSV und die meisten englischen Versionen als "Heiden", ist Pauls normales Wort für "Heiden" (d. h. Nichtjuden). Seine Verwendung dieses Begriffs hier bietet einen faszinierenden Hinweis darauf, dass er die nichtjüdischen Konvertiten in Korinth als Heiden nicht mehr betrachtet (vgl. , ; ). Nun, da sie in Christus sind, gehören sie dem Bundesvolk Gottes, und ihr Verhalten sollte diesen neuen Status widerspiegeln. In diesem Fall versagt das beleidigende Mitglied der Gemeinde jedoch nicht nur dem Standard der Heiligkeit, zu dem das Volk Christi berufen ist; er tut etwas, was "sogar Nichtjuden" verwerflich finden würde.Hays, R. B. (1997). First Corinthians (S. 80–81). Louisville, KY: John Knox Press.Erneut (vgl. V.) wird das bisherige Verhalten der Gemeinde kritisch angesprochen: Sie ist stolz auf ihr pneumatisches Niveau, das sie die Bedeutungslosigkeit des leiblichen Lebens erkennen und demonstrieren läßt, und empfindet daher nicht die Schwere des Vergehens des Unzüchtigen und ihres eigenen Versagens. Paulus verweist dagegen auf die zersetzende Kraft des Bösen, mag es zunächst - als Einzelfall - auch noch so unscheinbar sein, indem er an die Wirkung, die von einer geringen Menge Sauerteig ausgeht, erinnert (“wißt ihr nicht”). Vermutlich greift der Apostel ein Sprichwort auf (vgl. wörtlich ). Auf alle Fälle war der Hinweis auf den Sauerteig als Veranschaulichung für die große Wirkung kleiner Ursachen verbreitet, wie par. zeigen. Dort begegnet der Sauerteig in positivem Zusammenhang, während Paulus ihn negativ (vgl. auch par. .) verwendet und damit der alttestamentlich-jüdischen Tradition von der Beseitigung des Gesäuerten vor dem Passafest folgt. In der allegorischen Gesetzesinterpretation Philons wird das Gesäuerte auf den Hochmut und die sündige Lust bezogen. Im negativen Zusammenhang des Fäulnisprozesses wird das Bild vom Sauerteig auch von Plutarch gebraucht.54 Paulus steht freilich in der alttestamentlich-jüdischen Tradition, wie V. zeigt. Als Konsequenz gibt Paulus die auf den Fall des Unzüchtigen bezogene Anweisung56, den Sauerteig zu beseitigen. Der Apostel knüpft an die Sitte an, vor dem Passafest alles Gesäuerte aus den Häusern zu entfernen (.; ). “Alt” ist der Sauerteig, weil er ein Rest vom Teig des Vortages ist, in übertragenem Sinne: ein Überbleibsel der Vergangenheit. Die Vorstellung vom “alten Menschen”, der Existenz vor der Taufe (; auch ), spielt hier hinein. Zur Gemeinde passen keine Verhaltensweisen, die für den “alten Menschen” charakteristisch sind. Durch die Ausstoßung des Unzüchtigen wird sie wieder rein, wird sie ein “neuer Teig”, dem der Sauerteig, d. h. die zersetzende Kraft des Bösen, nicht beigemengt ist. Diese Reinheit eignet der Gemeinde bereits prinzipiell, “in Christus” gehört sie schon zur “neuen Schöpfung”, das Alte gehört der Vergangenheit an (). Dieses neue Sein ist die Grundlage, auf der die Gemeinde zum reinigenden Handeln ermächtigt und verpflichtet ist. Es geht also nicht darum, aus eigener Kraft Neues zu erlangen, sondern das Geschenkte im Glauben zu realisieren (vgl. ). - Zuteil geworden ist das Geschenk des neuen Seins durch das Passalamm Christus. Das mit der Aussage von der Beseitigung des Sauerteigs verbundene Passamotiv ist also weiterhin bedeutsam. Vermutlich knüpft Paulus an eine bereits traditionelle urchristliche Passalammtypologie an; jedenfalls sieht er sich zu keiner näheren Erklärung veranlaßt, sondern setzt ein Vertrautsein der Korinther mit dieser Vorstellung, die sich auch in späteren neutestamentlichen Schriften findet (; .; u. ö.), voraus. Mit dieser Typologie soll die befreiende, das neue Gottesvolk konstituierende Bedeutung des gewaltsamen Todes Jesu ausgesagt werden. Der Gebrauch des Christus-Titels unterstreicht die Heilswirkung seines Sterbens.60 Die Wendung θύειν τὸ πάσχα begegnet in der Septuaginta wiederholt für die Schlachtung des Passalammes (; .; ; vgl. auch par. ); diese wurde im Jerusalemer Tempel vollzogen (vgl. .), das Blut wurde an den Brandopferaltar gesprengt (Pes. V,), die Opferteile wurden als Rauchopfer dargebracht (Pes. V,). Die Schlachtung wurde somit auch als Opfer verstanden. Der Gedanke an eine bestimmte Wirkung des Opfers dominierte jedoch nicht. Für Paulus begründet aber der Tod Christi das neue Leben der Glaubenden, wie der Zusammenhang von V. mit V.. zeigt. Daher ist in der Aussage von Christus als Passaopfer der Aspekt der Sündenvergebung impliziert, der typologische Bezug auf das befreiende und bewahrende Urpassa beim Auszug aus Ägypten () ist also prägend.Die Passalammtypologie läßt sich kaum als ein Zeugnis zugunsten der Datierung des Todestages Jesu auf den Passarüsttag (14. Nisan, so nach der johanneischen Chronologie) auswerten; denn auch eine Hinrichtung Jesu am Passafesttag selbst (so die Chronologie der Synoptiker) konnte solche Typologie entstehen lassen63, zumal Jesus seinen Tod im Rahmen eines Passamahles angesagt und gedeutet hatte.Zu seinen Passabezügen wird Paulus durch die Nähe des Festes veranlaßt sein (vgl. ), wobei aber offenbleiben muß, ob das Passa bevorsteht, gerade begangen wird oder aber zurückliegt. Paulus will jedenfalls keine Anweisungen zur christlichen Passafeier geben, sondern zur grundsätzlichen Verwirklichung des christlichen Lebens aufrufen: ‘Seit dem Tode Christi leben wir stets im Passafest als das befreite Gottesvolk, das seine Erlösung feiert; daher darf es keinen “Sauerteig” mehr bei uns geben!’ In der abschließenden Konsequenz geht Paulus über die Angelegenheit des Unzüchtigen hinaus, indem er prinzipiell zur Aufgabe des Schlechten und zur Realisierung des Guten aufruft, und zwar kohortativ. Zur ersten Person Plural war Paulus bereits in V. übergegangen, um die allgemeine Gültigkeit des Todes Christi auszudrücken. Ebenso geht es ihm nun um den für alle Christen grundsätzlichen Bruch mit der sündigen Vergangenheit, um das Leben aus dem Heilstod Christi, um die Existenz in einem ständigen (Präsens) Passafest der Erlösten. ἐν drückt die Ausrüstung beim Feiern aus: “mit” (; ). Der Sauerteig ist wiederum (V.) Metapher für die zersetzende Kraft des Negativen, wie die appositionellen Genitive zeigen. κακία und πονηρία sind synonym68 und beschreiben plerophor das verwerfliche Fehlverhalten. τά ἄζυμα ist in der Septuaginta (z. B. ), bei Philon und bei Josephus69 Terminus für die ungesäuerten Brotfladen; Paulus spricht also von den Mazzen des Passafestes als Bild für das neue Leben (V.). εἰλικρίνεια bezeichnet die sittliche Reinheit, die jeder Prüfung standhält (; ); ἀλήθεια meint die Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit (; ; ), das Gegenteil vom trügerischen Schein.Wolff, C. (2011). Der erste Brief des Paulus an die Korinther. (J. Herzer & U. Schnelle, Hrsg.) (3., korrigierte Auflage, Bd. 7, S. 105–108). Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt.