Predigt (unbenannt)
Notes
Transcript
Was ist dein Maß?
Was ist dein Maß?
Gebt, und es wird euch gegeben werden: ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.
Liebe Gemeinde,
ich bin erleichtert. Keiner von uns hat so einen Balken im Auge.
Der wäre ja nicht zu übersehen. Zumindest aus der Entfernung sehe ich keine weiteren Balken, neben diesem hier vorne.
Aber schauen sie doch bitte mal kurz nach, sehen sie einen Balken in irgendwelchen Augen?
Das ist doch sehr erfreulich, für unsere Gemeinde?
Das lässt uns aufatmen.
Ein gutes Gefühl stellt sich ein. Wir sind wohl nicht gemeint.
Aber irgendwie fällt mir da auf: Ich habe bisher noch gar niemanden gesehen, der so einen Balken im Auge hatte. Jesus übertreibt offensichtlich.
Er will uns provozieren, ins Nachdenken bringen. Uns alle. Dazu kommt noch das andere: Mit einer Lupe wurde in der kleine Szene, ganz genau das Auge abgesucht. Ob da nicht ein kleiner Splitter drin steckt?
Ob da nicht irgendwas zu entdecken ist, was da nicht rein gehört. Was dringend rausgeholt werden muss, was wieder in Ordnung gebracht werden muss.
Beim Balken und bei der Lupe geht’s um unsere Augen, um unsere Sicht.
Was sehen wir?
Wie sehen wir uns selbst?
Und wie sehen wir andere. Und wie gehen wir miteinander um?
Ich mochte drei Gedanken aus diesem Text herausgreifen:
1 Wer andere richtet, sieht sich selbst nicht mehr richtig
2. Wer andere richtet, der kann Schaden anrichten
3 Der neue Richtwert Gottes Barmherzigkeit
1. Wer andere richtet, sieht sich selbst nicht mehr richtig.
Wenn es um die anderen geht, dann wissen wir immer sehr genau, was richtig und was falsch ist.
Aber bei uns selbst?
Wie oft wird da mit zweierlei Maß gemessen!
Ein Pfarrer berichtet ein eindrückliches Beispiel.
Bei der Abfahrt zu einer Jugendfreizeit kam ein Vater auf ihn zu, in der Hand hielt er eine brennende Zigarette, in der Hemdtasche steckte das Feuerzeug. »Herr Pfarrer«, sagte er, »ich kann mich doch hoffentlich auf Sie verlassen!« »Was meinen sie denn?« fragte der Pfarrer zurück. »Na, dass Sie meinem Sohn auf der Freizeit ganz streng das Rauchen verbieten! « Was soll man da sagen, bei diesem Vorbild.
Aber so sind wir Menschen: Die strengsten Maßstäbe sind die, die wir bei anderen anlegen. Für uns selbst dagegen finden wir immer eine Entschuldigung.
Wenn ich im Wohngebiet spazieren gehe und ein Autofahrer hält sich nicht an Tempo 30, dann rege ich mich auf. »So ein Raser! Rücksicht ist für den ein Fremdwort!«
Doch am Tag darauf drücke ich selbst aufs Gaspedal, weil ich es eilig habe — schließlich darf ich nicht zu spät zu einem wichtigen Termin kommen.
Irgendwie scheint uns das gut zu tun, die anderen nieder zu machen.
Weil wir uns dann einreden können: „Ich bin ein besserer Mensch“.
Und diese Denkweise funktioniert auch in der Öffentlichkeit.
Millionen reagieren mit Empörung, wenn ein Politiker seine Frau verlassen hat, oder ein Wirtschaftsboss nachweislich gelogen hat.
So üben wir uns fröhlich im Richten und Verurteilen — und mit jedem Mal wächst unsere Selbstgerechtigkeit ein Stückchen mehr.
Wie gut wir doch sind im Vergleich mit diesem oder jenem. Indem wir andere kritisieren, können wir so herrlich von uns selbst ablenken. Doch so sehen wir nicht mehr, was in unserem Leben zu richten wäre.
4 Wir werden blind, weil wir über den Splittern der anderen den Balken im eigenen Auge vergessen. Und Jesus sagt deutlich, was mit Blinden passiert, die andere führen wollen: sie werden beide in die Grube fallen. Der Balken im Auge kann zum Brett vor dem Kopf werden.
Wir werden blind, weil wir über den Splittern der anderen den Balken im eigenen Auge vergessen. Und Jesus sagt deutlich, was mit Blinden passiert, die andere führen wollen: sie werden beide in die Grube fallen. Der Balken im Auge kann zum Brett vor dem Kopf werden.
1. war: Wer andere richtet, sieht sich selbst nicht mehr richtig.
2. Wer andere richtet, kann Schaden anrichten
Manch ein Mitmensch trägt schwer an den Stempeln, die andere ihm aufgedrückt haben. Wie vielen Jugendlichen ist schon eingeredet worden: »Du bist nichts und kannst nichts und wirst nie etwas werden!« Und dann ist es tatsächlich so gekommen, weil diese Menschen alles Zutrauen zu sich verloren haben.
Richten und Urteilen bleibt nicht ohne Folgen. Eine nebenbei geäußerte Kritik wird vielleicht ernster genommen, als uns nachher lieb ist. Auch deshalb sagt Jesus: Richtet nicht! Verurteilt nicht! Jesus warnt uns vor liebloser Nörgelei und Kritisiersucht.
Vor Gerede hinter dem Rücken – wenn man andere schlecht macht, um ihren Ruf zu schädigen. Natürlich ist es viel einfacher zu schimpfen, als sich einem Problem zu stellen und darüber zu reden. „Nicht richten“ heißt, zu versuchen, sich in den andern hinein zu versetzen, um die Hintergründe zu erkennen.
„Nicht richten“ heißt, dass wir lieber zweimal nachfragen, ob wir eventuell etwas falsch verstanden haben.
„Nicht richten“ heißt, dass man sich bei jeder Meinungsverschiedenheit in christlicher Nächstenliebe zusammensetzen kann, um eine Lösung zu finden.
„Nicht richten“ heißt, dass man sich bei jeder Aussage über andere Menschen überlegt – habe ich dieser Person geschadet oder geholfen.
Doch wenn das alles wäre, liebe Mitchristen, dann bräuchten wir keine Bibel.
Dann kämen wir auch mit unseren guten alten Sprichwörtern aus. »Ein jeder kehr vor seinem Tor, da hat er Dreck genug davor!«
Fass dich an deine eigene Nase, anstatt andere zu richten!“
Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg‘ auch keinem anderen zu!«
Doch solche Sprichwörter sind Jesus zu wenig. Das ist nicht das, was er uns sagen will. Sondern es kommt noch etwas Neues dazu, der dritte und wichtigste Gedanke: »Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.«
3. Der neue Richtwert: Gottes Barmherzigkeit
Gott lässt Gnade vor Recht ergehen, er gibt uns mehr als wir verdienen. In einem Bild beschreibt Jesus, wie Gott handelt (Vers 38):
»Man wird euch ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß in euren Schoß geben.«
Das war damals ein alltäglicher Vorgang. Ich habe hier einen Messbecher mitgebracht. Den brauchte man damals immer. Jemand kaufte ein bestimmtes Maß Getreide. Das war noch nicht in kleinen Tüten verpackt, sondern wurde extra abgemessen. Normalerweise wird dann der Messbecher gefüllt und mit einem Stab eben abgestrichen.
Doch bei Gott wird das Maß nicht nur gefüllt, sondern das Korn wird richtig hineingepresst. Anschließend wird der Messbecher gerüttelt und auf den Boden aufgestoßen, damit ja kein Hohlraum übrigbleibt. Zum guten Schluss wird noch Getreide oben aufgehäuft und dann das Ganze in ein aufgehaltenes Tuch geschüttet.
So handelt Gott — nicht sparsam, nicht geizig, sondern liebend, barmherzig.
Da wird nicht peinlich genau abgezählt und abgewogen, da wird nicht aufgerechnet und abgeurteilt. Sondern Gott lässt sein Herz sprechen. Er will uns beschenken, nicht bestrafen. Jesus selbst hat es uns vorgelebt.
Damals als Moralapostel und Ordnungshüter seiner Zeit voller Empörung eine Ehebrecherin vor Jesus zerrten. Das Urteil über diese Frau war bereits gefällt: Sie muss gesteinigt werden. Doch Jesus sagt nur: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.«
Mit einem einzigen Satz zeigt Jesus ihnen den Balken im Auge und das Brett vor dem Kopf. Und wortlos und beschämt machen sich alle davon, einer nach dem anderen. Ihr eigenes Urteil hat sie gerichtet. Doch zu der Ehebrecherin sagt Jesus: »So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.« Er, dem das Urteil zustehen würde, spricht es aus Barmherzigkeit nicht aus. Jesus beschönigt nichts, er kehrt nichts unter den Teppich. Sünde bleibt Sünde und wird beim Namen genannt. Und doch öffnet die Barmherzigkeit eine Tür zum Leben. Gegen das Richten und Verurteilen setzt Jesus das liebende Vergeben und Zurechtbringen.
Der tödliche Kreislauf aus Schuld und Urteil wird durchbrochen. Und diese Barmherzigkeit Gottes, ihr Lieben, soll nun zum neuen Richtwert unseres Lebens werden. Danach sollen wir uns richten im Umgang untereinander.
Wo Gott uns die Augen öffnet, wo er uns von dem Balken der Selbstgerechtigkeit befreit, da sehen wir unsere Mitmenschen in einem anderen Licht: Der schwierige Kollege, der unausstehliche Nachbar, der nervige Mitschüler — sie bekommen ein anderes Gesicht.
Ich muss sie nicht mehr zwanghaft kritisieren, um mich dadurch selbst in ein besseres Licht zu stellen. Sondern ich kann sie annehmen weil Gott mich angenommen hat. Barmherzigkeit verändert: Sie verändert meinen Blick. Und durch meine neue Sichtweise verändert sich die Welt.
Dann geschieht eine Revolution: dass einer dem anderen zum Nächsten wird und wir miteinander verbunden sind durch das Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit.
Die Lupe braucht der Augenarzt, den Balken der Zimmermann. Aber wir brauchen eine neue Sicht, auf uns selbst und aufeinander. Dass wir barmherzig sein können, wie unser Vater im Himmel. Das wünsche ich uns.
Amen.