Advent 2018

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EKG 10 “Mit Ernst, o Menschenkinder”
Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich. Amen.

Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, daß die Stunde schon da ist, daß wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben:

12 Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen.

11 Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, daß die Stunde schon da ist, daß wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben:

12 Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Laßt uns nun die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen.

1

In ungefähr fünf Jahren steht uns ein kirchengeschichtliches Ereignis bevor, das im Unterschied zum zurückliegenden Reformationsjubiläum nicht gefeiert werden wird. Dabei ist es historisch bedeutsamer und greift weiter in die Vergangenheit zurück. Zum ersten Mal seit dem Ende des weströmischen Reiches werden dann nämlich die Menschen christlicher Konfession in unserer Weltgegend wieder in der Minderheit sein.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Nachdem ich mich zum Ersten Examen angemeldet hatte - das ist schon eine Weile her - bekamen wir Kandidaten Besuch sozusagen vom Top-Management, vom Juristischen Oberkirchenrat aus Bielefeld. Der sagte uns sinngemäß: “Wir gehen davon aus, dass wir den Status quo noch bis ca. 2030 aufrecht erhalten können. Danach werden die Dinge sich grundlegend ändern.” Sieht so aus, als würde er da einen ziemlich punktgenauen Treffer landen. Die Wende kommt also nicht unerwartet, und wir sind so wenig überrascht wie ein SPD-Mitglied nach der Wahl, wenn die Prognose eingetroffen ist. Und auch die alte Tante SPD hat ja noch vor kurzem ihr 150-Jähriges groß gefeiert.
Das ändert nichts daran, dass das Christentum in Westeuropa und die protestantischen Kirchen weltweit kollabieren, wenn auch in Zeitlupe, sodass man sich daran gewöhnen und währenddessen ein ganzes Leben führen kann. Man hat Zeit, Kommissionen zu bilden und nach Lösungen zu suchen, neue Wege zu gehen, sich zu modernisieren, man hat sogar Zeit, sich neu zu erfinden. Aber sind wir aufgewacht?

2

Der Schlaf, von dem Paulus hier redet, ist nicht natürlichen, sondern dämonischen Ursprungs, ein hypnotischer Bann, der uns lähmt, betäubt, in Illusionen verstrickt; die Verfallenheit an den alten Äon, der schon hinter dem Nachthorizont verschwindet, also Verweltlichung. Die moderne, säkularisierte Kirche stellt soziale Dienstleistungen bereit, macht Bildungsangebote, engagiert sich politisch. Doch geraten wir dadurch in eine Paradoxie: Wozu brauchen wir für all das noch die Kirche als sakrale Gemeinschaft, die Bibel, die christliche Tradition? Beliebte Schülerfrage: Was hat das mit Religion zu tun? In einer religionssoziologischen Untersuchung wurde die vorherrschende Einstellung christlicher Jugendlicher in den USA als “therapeutisch-moralistischer Deismus” beschrieben, und das charakterisiert auch unsere Situation recht genau. Aber es ist dann nur ein Schritt, Gott als letzten Mythos auch noch zu dekonstruieren. Und werden die Begründungen nicht einfacher und logischer, wenn man direkt politisch, psychologisch, ökologisch argumentiert? Wozu der Umweg über eine antike Schrift, die in altgriechischer, althebräischer Sprache auf uns gekommen ist?
Jedoch: Von außen werden wir nicht so wahrgenommen. Ich selber fühle mich hier in Berlin, oder in Babylon, mehr und mehr als Exot. Auch werden wir trotz aller Bemühungen nicht mit Diakonie oder der Bibel in gerechter Sprache, sondern nach wie vor mit Hexenverbrennungen, Inquisition und Kreuzzügen, mit dem Mittelalter in Verbindung gebracht. Vor einiger Zeit stellte mir ein Schüler eine Frage zu okkulten Praktiken, Nekromantie, und ich sagte: “Ja, ich bin an dieser Schule ja auch zuständig für die Verteidigung gegen die dunklen Künste.” War als Witz gemeint, aber plötzlich waren alle Augen auf mich gerichtet. Vielleicht sollten wir das Fach mal einführen, um zu unserer Kernkompetenz zurückzufinden.

3

Nachdem wir uns also bei Sonnenuntergang hier (in Hogwarts) versammelt haben, schauen wir noch mal in unser heiliges Buch, das älter ist als die sagenhafte Tabula Smaragdina des Hermes Trismegistos, und sehen nach, wie wir den Zauberbann lösen können, der unsere Gedanken gefangen hält. Wie im Traum hören wir aus weiter Ferne den apokalyptischen Wächterruf: Die Nacht ist vorgerückt. Nahe ist der Weltuntergang - und der Weltaufgang. Legt nun die Werke der Finsternis ab und zieht an die Waffen des Lichts! Für Paulus stehen wir in einem Kampf zwischen den Mächten des Lichts und der Finsternis, der in der geistigen Welt stattfindet, an der wir nur geringen Anteil haben, und der von Mächten geführt wird, die weit über uns stehen.
Wenn wir in den geistigen Kampf eintreten wollten, dann wäre der Weg nach vorn in Wirklichkeit der Weg zurück. Das würde bedeuten: nicht Fundamentalismus, aber Wahrheit des Mythos; Entweltlichung, wie Benedikt XVI. sie versteht: als Befreiung von politischen und materiellen Lasten und Privilegien; nicht zurück ins Mittelalter, aber: Gegen-Aufklärung, Aufhebung der Aufklärung, Kritik der Kritik. Wenn nicht, dann dürfte die Säkularisierung die letzte Epoche der Kirchengeschichte sein, in die sie spätestens mit der Aufklärung oder schon mit dem Nominalismus eingetreten ist, und dann wird sie in diesem Saeculum verschwinden wie die Rose in Umberto Ecos Roman und nur noch als Name erhalten bleiben.
Ich hätte allerdings diese Andacht so nicht halten können ohne die Ahnung, die Hoffnung, dass die Stunde vielleicht doch da ist, der Kairos. Das Schlafende muss erwachen. Und deshalb wünsche ich uns allen einen gesegneten, einen erwartungsvollen Advent mit den Worten des Gegenaufklärers Novalis:
Die Welt wird Traum, der Traum wird Welt, Und was man geglaubt, es sei geschehn, Kann man von weitem erst kommen sehn.
Kehren wir zurück zum mystischen Urgrund unserer Religion, und singen wir den Ambrosianischen Hymnus, in der Verdeutschung Martin Luthers.
EKG 4 “Nun komm, der Heiden Heiland”
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