Unrecht im Namen der Kirche

Harte Fragen   •  Sermon  •  Submitted
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Es ist Gutes und Schlechtes durch die Kirche geschehen. > Nach dem Kern fragen und der ist Jesus. > Jesus war ganz anders, aber "Christen" sind nicht immer Christen und nicht immer wie Christus. Dann aber braucht es mehr (echtes) Christentum statt weniger.

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Lied “In deinem Namen” von Ralf Schroeter abspielen können
Ansage Michael Herbst und Lied.
Es ist wohl einer der Einwände, die am häufigsten gegen das Christentum vorgebracht werden: Es hat eine lange Geschichte der Gewalt, der Unterdrückung, der Ausbeutung, der Heuchelei. Die Kreuzzüge. Die Inquisition. Die Hexenprozesse. Der Ablasshandel. Der Bau von pompösen Kirchen während die Bevölkerung verhungert. Das weitgehende Schweigen oder sogar Mitmachen im 3. Reich. Der Nordirlandkonflikt, der Balkankrieg, - usw. Und da fragt man sich dann schon: Wie kann eine Religion mit dieser Geschichte behaupten, die einzig wahre zu sein? Frieden auf der Welt zu bringen? Und echte Freiheit? Beweist nicht die Geschichte das Gegenteil?
LIED VORSPIELEN
Es ist wohl einer der Einwände, die am häufigsten gegen das Christentum vorgebracht werden: Es hat eine lange Geschichte der Gewalt, der Unterdrückung, der Ausbeutung, der Heuchelei. Die Kreuzzüge. Die Inquisition. Die Hexenprozesse. Der Ablasshandel. Der Bau von pompösen Kirchen während die Bevölkerung verhungert. Das weitgehende Schweigen oder sogar Mitmachen im 3. Reich. Der Nordirlandkonflikt, der Balkankrieg, - usw. Und da fragt man sich dann schon: Wie kann eine Religion mit dieser Geschichte behaupten, die einzig wahre zu sein? Frieden auf der Welt zu bringen? Und echte Freiheit? Beweist nicht die Geschichte das Gegenteil?
Man könnte meinen: Wenn ich die Geschichte des Christentums sehe, dann muss ich gar nicht weiter darüber nachdenken, ob an der Sache etwas dran ist. Wenn das am Ende rauskommt, was geschichtlich rausgekommen ist – dann will ich damit nichts zu tun haben. Und so scheint es, dass das Christentum schon mit den Kreuzzügen für die meisten gestorben ist. Sie lehnen den christlichen Glauben ab, weil sie die Christen ablehnen.
Nun gibt es aber mehr zum Christentum zu sagen, als dass es eine Geschichte der Gewalt und Unterdrückung hat. Zum einen: dass es auch eine Geschichte der Nächstenliebe, des Helfens, der Diakonie, des gesellschaftlichen Fortschritts hat. Zum Christentum gehört auch ein Franz von Assisi, der sich für Leprakranke engagierte; dazu gehören die Armenspeisungen in den Klöstern des Mitterlalters; eine Elisabeth von Thüringen, die ein eigenes Krankenhaus für Arme und Kranke stiftete; ein William Wilberforce, der die Sklaverei in England beendete; die Sonntagsschulbewegung, die während der Industrialisierung in Großbritannien entstand, um Arbeiterkindern eine Schuldbildung zu ermöglichen; ein Dietrich Bonhoeffer, der Hitler nicht folgte; ein Martin Luther King Jr., der sich für die Gleichbehandlung von Weißen und Schwarzen einsetzte.
Tja, was machen wir jetzt aber damit? Man findet also beides im Christentum. Ich denke, hier wird deutlich, dass die Sache nicht ganz so einfach ist, wie sie auf den ersten Blick scheint.
Ich habe Zivildienst gemacht in der ambulanten Altenpflege. Jeden Tag bin ich von einem Patienten zum nächsten getingelt und hab sie gewaschen, weil sie das selber nicht mehr richtig konnten. Und ich hatte da sehr unterschiedliche Patienten dabei. Zwei Ehepaare zum Beispiel – die wohnten sich genau gegenüber. Bei dem einen, da waren beide noch recht fit. Er braucht Hilfe beim Waschen, aber an sich waren die beide noch mobil, geistig klar – einfach alt und ein bisschen tatterig halt. Die waren beide auch total nett, haben sich immer gefreut, wenn ich kam, noch ein Schwätzchen gehalten. Aber zwischen ihnen lief gar nichts mehr. Die haben kaum ein Wort gewechselt. Und sich den ganzen Tag lang in unterschiedlichen Zimmern aufgehalten. Da war Funkstille.
Bei dem anderen Ehepaar war auch Funkstille. Aber aus anderen Gründen. Sie hatte einen Schlaganfall gehabt und lag regungslos im Bett. Sie reagierte gar nicht mehr auf Menschen außer in ganz wenigen wachen Momenten. Aber ihr Mann, der hat sie geliebt. Der konnte schon mal grantelig sein – und die Versorgung seiner Frau, die musste stimmen, tip top sein. Aber er war da für sie und hat sie geliebt.
Wenn ich das erste Ehepaar sehe, dann kann ich sagen: Ich will mich nie verlieben. Und vor allem nie heiraten, wenn das am Ende rauskommt. Aber wenn ich das andere Ehepaar sehe, dann kommt mir die Frage: Wie ist Ehe eigentlich gedacht? Worum geht es da wirklich? Und kann es sein, dass Ehe nicht grundsätzlich schlecht ist, sondern dass beim ersten Paar etwas schief gelaufen ist?
So müssen wir es auch beim Christentum machen. Wir müssen fragen: Was ist der Kern des Christentums? Wie ist es eigentlich gedacht? – und anschließend können wir dann auch fragen: Wenn jetzt aber ganz andere Sachen am Ende rauskommen – wie kommt es dazu?
Wie konnte im Namen des Christentums so viel Unrecht geschehen? In 3 Punkten möchte ich versuchen, diese Frage zu beantworten und zu zeigen, wie wir heute damit umgehen müssen.
Jesus Christus ist ganz anders (Hier geht es um den Kern des Christentums. Wie ist es eigentlich gedacht. Und die zwei anderen Punkte, die versuchen dann deutlich zu machen, wieso es manchmal (oder oft?) anders läuft als es gedacht ist:)
Hier geht es um den Kern des Christentums. Wie ist es eigentlich gedacht. Und die zwei anderen Punkte, die versuchen dann deutlich zu machen, wieso es manchmal (oder oft?) anders läuft als es gedacht ist:
„Christen“ sind nicht immer Christen
Christen sind nicht immer wie Christus

1. Jesus Christus ist ganz anders

Beim Christentum geht es nicht in erster Linie um die Kirche. Das Christentum versteht sich selbst so, dass es darin in erster Linie um Gott geht, bzw. um seinen Sohn, Jesus Christus. Der hat das Christentum sozusagen „begründet“. Er ist der, auf den sich alle Christen berufen. Beim Christentum geht es nicht um eine Institution, sondern um eine Person. Christen sind Anhänger dieser Person, Anhänger von Jesus Christus, weil sie sagen: „Dieser Jesus hat mein Leben völlig auf den Kopf gestellt. Er ist alles, was ich brauche.“ Um diesen Jesus geht es im Christentum.
Jesus lebte vor ca. 2000 Jahren auf dieser Erde. Er zog als Wanderprediger durch die Lande. Er hat eine kleine Gruppe von 12 Männern um sich gesammelt, denen er seine Lehre vor allem weitergegeben hat. Aber er hatte darüber hinaus noch großen Zulauf. Von überall her kamen die Leute, um ihm zuzuhören. Sie waren so fasziniert, dass sie dabei ganz die Zeit vergaßen. Sobald er in eine Stadt kam, brachten die Leute sofort alle Kranken her, aus jeder Ecke des Dorfes. Denn Jesus machte sie alle gesund. Jesus war anders als alle Wunderheiler und Wanderprediger, die sie bisher gesehen hatten. Er nahm für sich in Anspruch, in besonderer Beziehung zu Gott zu stehen. Ja, Gott selbst zu sein. Aber die religiöse Elite glaubte ihm nicht. Man hielt ihn für gefährlich, einen Volksverhetzer, einen Gotteslästerer – und so verschwor man sich, stellte falsche Zeugen auf und zwang nachher den Befehlshaber der römischen Besatzungstruppen, Jesus hinrichten zu lassen. Aber plötzlich, unerwartet, unglaublich – war er am dritten Tag wieder lebendig. Und das ist er bis heute. Er ist zu Gott zurückgegangen, in den „Himmel“, wie wir sagen – und eines Tages wird er wiederkommen und die Welt in Ordnung bringen. Aber seine Anhänger, die blieben auf der Erde. Und die erzählten, was sie glaubten. Dass dieser Mann nicht irgendwer war, kein Revolutionär, der am Ende gescheitert ist. Sondern dass dieser Mann von Gott geschickt war, um die Verbindung zwischen Gott und den Menschen wiederherzustellen. Von diesem Mann erzählten seine Anhänger – es kamen immer mehr hinzu. Und so enstand die Kirche. Sie ist kein Selbstzweck. Sondern sie ist der Zusammenschluss von den Leuten, die mit Jesus Christus zu tun haben. Die sagen: Jesus ist am Kreuz nicht gescheitert, sondern er hat sich bewusst hinrichten lassen. Ich hätte Strafe von Gott verdient für mein Leben, aber er hat diese Strafe auf sich genommen, damit ich wirklich leben kann.
Das sind Christen: Anhänger von Jesus Christus. Wenn Jesus nicht gelebt hätte, gäbe es auch keine Kirche, keine Christen, kein Christentum. Bei ihm müssen wir ansetzen.
Wenn wir uns das Leben dieses Mannes anschauen, dann stellen wir fest, dass es ein ganz anderes Leben war als das, das wir in den Verbrechen der Kirche sehen. Wenn wir damals mit Jesus unterwegs gewesen wären, dann hätten wir gesehen: Das ist kein Jesus der Kreuzzüge, kein Unterdrücker, kein Ausbeuter, kein Heuchler. Jesus Christus ist ganz anders.
Schon Jesus störte sich an der Ungerechtigkeit der religiösen Elite – und er fand deutliche Worte dazu. Einmal sagte er über sie:
„Richtet euch … nach allem, was sie euch sagen, und befolgt es. Doch richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden zwar, handeln aber nicht danach. Sie binden schwere Lasten zusammen, die man kaum tragen kann, und laden sie den Menschen auf die Schultern; doch sie selbst denken nicht daran, diese Lasten auch nur anzurühren. …
‚Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer (das sind die Frommen), ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. … Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr spendet nicht nur von eurem Geld, sondern sogar von den Gewürzen in eurer Küche 10% und lasst dabei die viel wichtigeren Forderungen des Gesetzes außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. … Verblendete Führer seid ihr! Mücken siebt ihr aus, und Kamele verschluckt ihr’“ (aus ..; NGÜ).
Vielleicht hast Du genau diese Dinge schon öfter über die Kirche gedacht. In den vergangenen Jahrhunderten oder auch heute. „Was sie sagen ist gut – aber sie tun es selber nicht.“ „Und bei anderen Dingen, da nehmen sie es ganz genau – aber von der Liebe, von der sie immer reden, ist nicht viel zu spüren.“ Jesus störte sich an den Frommen und fand deutliche Worte. Aber Jesus spuckte nicht nur große Töne als kleiner Revoluzzer, der dann doch seine eigenen Maßstäbe nicht einhält. Sein ganzes Leben zeigt, dass es ihm um die Menschen ging – nicht um ihr Geld oder ihren Besitz oder ihre Unterwerfung. Es ging ihm um die Menschen – um jeden Menschen.
Jesus saß mit stadtbekannten Gaunern zusammen an einem Tisch. Für die religiöse Elite war das unerhört! Aber nach ihrer Begegnung mit Jesus waren diese Menschen verändert. Einer bekannte seine Schuld – er wollte ganz neu anfangen. In seinem Überschwang erklärte er: Jedem, dem ich Geld abgezogen habe, will ich es 4fach wiedergeben!
Zu Jesus kamen Frauen mit zweifelhaftem Ruf – gescheiterte Existenzen am Rande der Gesellschaft. Und Jesus hat nicht gutgeheißen, was sie getan hatten. Er hatte klare ethische Maßstäbe. Aber er hat diese Frauen in Schutz genommen vor den Anklagen der Selbstgerechten, denen so etwas „nie passiert wäre“. „Er hat sie nicht gerichtet, sondern aufgerichtet.“
Einmal begegnete er einem Mann, der seit 37 Jahren krank war und auf seiner Matratze neben einem See lag, dem man Wunderkräfte zusprach. Wenn sich das Wasser bewegte, so sagte man, dann wurde der geheilt, der als erstes im Wasser war. Aber dieser Mann war nie der erste. Seit 37 Jahren nicht. Aber dann kommt Jesus zu ihm und fragt ihn noch: Was kann ich für Dich tun? „Meister“, sagt der Mann, „ich will so gern gesund werden.“ Und Jesus machte ihn gesund.
An einer ganz kleinen Geste wird deutlich, wie Jesus war: Als er gefangen genommen wurde und man ihn hinrichten wollte – da zog einer seiner Mitarbeiter, Petrus, das Schwert und hat dem einen Soldaten das Ohr abgehauen. Und Jesus weist Petrus zurecht, berührt das Ohr des Soldaten und macht ihn gesund.
Und später hängt er am Kreuz, den Rücken zerrissen von den Peitschenhieben. Hände und Füße von Nägeln durchbohrt. Verspottet und bespuckt. Unten am Kreuz stehen die Soldaten, die ihm das angetan haben. Und dann betet er für sie: „Vater, vergib ihnen.“
Wo die Kirche selbstgerecht Menschen verdammt hat – da hat Jesus sie aufgerichtet.
Wo die Kirche ihre Interessen mit Waffengewalt durchsetzen wollte – da hat Jesus bekannt: Ich brauche keine Soldaten, mein Reich ist nicht von dieser Welt.
Wo die Kirche Menschen ausgebeutet hat – da hat Jesus die Armen als seine Schwestern und Brüder bezeichnet und es den Christen mitgegeben: Was ihr für sie tut, das tut ihr eigentlich für mich – und wo ihr sie versetzt, da versetzt ihr eigentlich mich.
Wo die Kirche nur ihre eigenen Interessen verfolgt hat – da hat Jesus seinen Mitarbeitern die Füße gewaschen.
Jesus war ganz anders. Bei Kreuzzügen, Ausbeutung, Heuchelei hätte er nicht mit gemacht. Er fand deutliche Worte dazu. Und er hat es anders vorgelebt.
Ehe ist eigentlich nicht darauf angelegt, dass man sich eines Tages nichts mehr zu sagen hat. Und das Christentum hat mit Kreuzzügen eigentlich nichts zu tun.
Jesus Christus ist die Schlüsselfigur im Christentum. Es dreht sich alles nur um ihn. Und er ist ganz anders als all diese Verbrechen, die in seinem Namen begangen wurde. Wenn Jesus so anders ist: Wie konnte dann im Namen des Christentums so viel Unrecht geschehen? Jesus ist ja super. Aber wieso kommen bei den Leuten, die doch angeblich so viel mit ihm zu tun haben, solche Verbrechen raus? Es gibt ein Lied, dass diese Frage sehr gut auf den Punkt bringt – das würde ich gerne mit euch anhören, bevor es weitergeht. Es spricht über Handeln „in Gottes Namen“ auf zwei völlig unterschiedlichen Ebenen – aber ich werde im nächsten Punkt erklären, wie sie zusammenhängen. Es ist teilweise auch sehr provokativ. Aber das brauchen wir manchmal.
In Deinem Namen
Man hat in deinem Namen Kriege geführt
und ist kurz darauf für den Freiden marschiert.
und ist kurz darauf für den Freiden marschiert.
Man hat in deinem Namen die Kirche gebaut
und viel zu oft an sich selbst und an sonstwen geglaubt.
Man hat in deinem Namen sich selbst inszeniert
und meistens nicht schlecht dabei abkassiert.
Man hat in deinem Namen Rassen gehasst,
Waffen gesegnet und Menschen vergast.
Was noch in deinem Namen? Was noch nur für den Herrn?
Wie viele, die um Gottes Willen jeglichen Glauben verliern?
Oh, was noch in unserm Namen, als täten wir’s für Gott?
Wie viele falsche Propheten kommen denn noch?
Man wird in Deinem Namen getauft,
egal ob man jetzt oder sonstwann dran glaubt,
man wird in Deinem Namen konfirmiert,
weil die Sache sich finanziell ganz gut rentiert
In deinem Namen wurde man kirchlich getraut,
denn das ist ja in der Familie so Brauch
Man wird in Deinem Namen zu Grabe getragen
und dann soll auch noch jemand was Religiöses sagen
Refrain (2x)
Was noch in unserm Namen als täten wirs für dich?
Wie viele Heuchler so wie ich?
Ralf Schroeter

2. „Christen“ sind nicht immer Christen

In Spanien kann man billiger einkaufen als in Deutschland. Wenn man da auf den Touristenmarkt geht, dann bekommt man Markenklamotten zu unschlagbaren Preisen. Nike, Adidas, Puma, Hilfiger – was das Herz begehrt. Das kostet nicht mal halb so viel wie in Deutschland. Komisch nur, dass die Sache alle gleich geschnitten sind. Die sehen genau gleich aus. Nur das Logo ist jedes Mal ein anderes. Und wenn man die mal in die Hand nimmt – naja, also von Adidas ist man sonst eine andere Qualität gewohnt.
Wenn ich da etwas gekauft habe und nach zwei Wochen die Nähte aufgehen und die Farben ausgeblichen sind, dann kann ich mich bei Adidas beschweren. Aber ich werde nicht viel Erfolg damit haben. Die werden mich dann freundlich (oder auch weniger freundlich darauf hinweisen), dass die Sachen allesamt gefälscht sind. Dass sie da überhaupt nichts mit zu tun haben. Und dass ihre Waren natürlich qualitativ einwandfrei sind.
So ähnlich kann es uns auch mit Christen passieren.
Nicht überall wo „Christ“ drauf steht, ist auch wirklich Christ drin. Seit dem Beginn des 4. Jahrhunderts ist das „Christentum“ offizielle, anerkannte Religion im Römischen Reich, später Staatsreligion. Wer echter Römer war, der hatte auch Christ zu sein. Und das hat sich in den folgenden Jahrhunderten in Europa so fortgesetzt. Man war einfach Mitglied der Kirche. Das war völlig selbstverständlich. Das war ein Grund, wieso Mission so oft mit militärischer Eroberung verbunden war. Wenn ein Gebiet eingenommen wurde, dann war es völlig klar: Die Leute werden Christen. Dass mehrere Religionen in einem Reich existieren, war völlig undenkbar. Das gab es einfach nicht. Ein guter Untertan war auch ein guter Christ. Ob der natürlich immer mit ganzem Herzen dabei war – das war eine ganz andere Frage.
An den kirchlichen Ämtern hingen so viele Vorteile gesellschaftlicher und finanzieller Art, dass man selbst bei hohen Würdenträgern der Kirche nicht davon ausgehen kann, dass sie alle Christen waren. Auf dem Papier waren sie Christen – vielleicht sogar hohe Würdenträger. Aber eben nur auf dem Papier. Sie verfolgten ihre ganz eigenen Ziele, die mit Christentum nichts zu tun hatten. Und die Methoden dann eben auch nicht. Aber sie taten es eben als Priester oder Bischof – deutlich erkennbar als „Christ“.
Heute finden wir das in abgeschwächter Form. Viele macht nur die Tradition, macht nur das Blatt Papier oder ein paar kirchliche Bräuche zu Christen. Viele Paare lassen ihre Kinder taufen, weil es von den Eltern oder Großeltern erwartet wird. Kirchlich geheiratet wird oft, weil es einfach romantischer ist als auf dem Standesamt. Und gerade auf dem Land, da hat man einfach Mitglied der Kirche zu sein und ab und zu sonntags zu erscheinen. Denn wer nicht dazu gehört, der ist irgendwie suspekt. Viele finden die Kirche auch einfach gut. Weil sie da hingehen können und tolle Angebote bekommen: Krabbelgruppen, Erziehungsberatung usw. Oder weil sie doch irgendwie Sehnsucht nach etwas Religiösem haben. Oder vielleicht weil sie es einfach gut finden, dass die Kirche sich einsetzt für Menschen in Not. Wahrscheinlich würden sogar viele sagen: Dieser Jesus, das war ein guter Mensch, ein richtiges Vorbild. Der hat sich aufgeopfert für andere. Das ist bewundernswert.
Wie viel man mit diesem Jesus Christus zu tun hat, um den sich im Christentum doch eigentlich alles dreht – das spielt dann keine so große Rolle mehr. Aber genau darum geht es eigentlich. An der Stellung zu Jesus Christus macht sich fest, wer Christ ist und wer nicht. Da liegt der große Unterschied. Für Christen ist Jesus mehr als ein Vorbild. Mehr als ein spirituelles Addon, das das Leben bereichert. Christsein ist mehr als ein addon – da wird das Betriebssystem ausgetauscht. Jesus ist nicht nur Bereicherung, sondern Lebensinhalt. Der, an dem sich mein ganzes Leben ausrichtet. Der, der mein ganzes Denken verändert. Die Bibel spricht davon, dass jemand, der Christ ist, der zu Jesus Christus gehört „neu geboren“ wurde. Er ist sozusagen ein ganz neuer Mensch. Seine komplette Grundeinstellung verändert sich. Sein Ziel ist es, wirklich so zu leben wie Jesus.
Aber im Christentum gab und gibt es viele, bei denen das nicht der Fall ist. Die auch dabei sind, mitlaufen, aber die diese grundlegende Veränderung nicht erlebt haben. Die verüben deshalb nicht gleich Verbrechen im Namen der Kirche. Aber wo sie es tun, da kann man nicht die Christen dafür verantwortlich machen.

3. Christen sind nicht immer wie Christus

So, damit habe ich zunächst die Schuld mal von mir geschoben. Aber mit dem 3. Punkt kommt der für Christen schmerzhafteste. Christen sind nicht immer wie Christus. Hier ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir als Christen, an dem die Kirche eingestehen muss: Selbst bei denen, die von ganzem Herzen dabei sind. Die nicht nur auf dem Papier Christen sein wollen, sondern die sagen: Jesus hat mein ganzes Leben umgekrempelt. Selbst bei denen geschieht Unrecht. Selbst die können ganz furchtbar in die Irre gehen. Einiges können wir abschieben – dass waren Menschen, die nur dem Namen nach Christen waren. Aber es bleibt genug übrig.
Wenn man sich dann einzelne historische Beispiele herausgreift, dann kann man da jeweils einiges erklären. Wie es dazu gekommen ist. Welche Beweggründe die Leute hatten. Wie sie gefangen waren in den Vorstellungen ihrer Zeit oder auch ihren ganz eigenen. Wie ihnen die Sehnsucht nach Erfolg und Macht zu Kopf gestiegen ist. Wie sie nicht den Mut hatten, ihren Mund für die Schwachen aufzutun. Da kann man mehr an ganz Nachvollziehbarem aufzeigen, als man vielleicht auf den ersten Blick meint.
Aber am Ende stehen wir in einer anderen Zeit, einer anderen Situation und uns bleibt einfach der Mund offenstehen und wir fragen uns: Wie war so etwas möglich? Wie konnte man so verblendet sein? Wie konnte man so viel von Nächstenliebe reden und dann so wenig davon leben? Wie konnte man so lange die Bibel studieren und anscheinend so wenig verstehen? Wie konnte man so klar wissen, was Jesus getan hat – und dann ganz anders handeln?
Pause
Die Antwort ist einfach, dass sie an diesen Punkten versagt haben. Dass sie nicht das getan haben, was sie hätten tun sollen. Dass sie kleine und manchmal auch ganz, ganz große Fehler gemacht haben. Und wenn sie einflussreiche Positionen innehatten, dann mussten viele Menschen unter diesen Fehlern leiden. Und manchmal haben sie ihr ganzes Leben lang nicht eingesehen, dass es Fehler waren. Obwohl wir es heute sehen und es vielleicht schon damals Menschen gesehen haben. Wo Christen anders handeln als Jesus Christus, da versagen sie.
Pause
Aber eine Sache dürfen wir an dieser Stelle dann nicht übersehen: Wo Christen so versagt haben, wo sie Menschen Unrecht getan haben, sie unterdrückt oder getötet haben – da waren sie zu wenig christlich, nicht zu viel. Da liegt der Fehler nicht im Christentum. Sondern da liegt der Fehler im Menschen. Er braucht eigentlich mehr vom „Christentum“, mehr von Jesus – nicht weniger.
Nur ein Beispiel dazu – man könnte viel, viel mehr nennen: Dietrich Bonhoeffer. Er hat gesehen, wie große Teile der Kirche im Dritten Reich mit Hitler mitgegangen sind. Wie viel Unrecht im Namen des Christentums geschehen ist, unterstützt wurde. Aber seine Lösung war nicht: Weg mit dem Christentum! In „Nachfolge“, einem seiner Bücher, greift er die Kirche dafür an und zeigt ihr an Zitaten von Jesus und den Propheten des Alten Testaments, dass sie verkehrt liegt. Für ihn war klar: Es braucht mehr Christentum, nicht weniger.
Jesus ist die Schlüsselfigur im Christentum. Er hat es vorgemacht, was es heißt Menschen wirklich zu lieben. Am deutlichsten, indem er am Kreuz für dich gestorben ist.
Wo das Christentum anders handelt als Christus, da muss man sich zum einen fragen, ob die Menschen, die dort handeln wirklich Christen sind. Oder ob sie nur „dazugehören“ ohne von ganzem Herzen dabei zu sein. Denn „Christen“ sind nicht immer Christen.
Christen haben in Jesus ein Vorbild. Wir sehen in der Geschichte, wie sie immer wieder entsetzlich versagt haben. Wie sie gefangen waren in ihrer Zeit oder in ihrer Gier nach Erfolg oder wie sie einfach verblendet waren. Und das gibt es heute auch noch. Denn Christen sind nicht immer wie Christus.
Aber was wir dabei nicht vergessen dürfen: Die Lösung für diese Probleme ist nicht, das Christentum abzuschaffen. Sondern es so vollständig zu inhalieren und umzusetzen, dass wir näher rankommen an das Vorbild, das Jesus gelebt hat.
Wenn die Kirche Unrecht tut, dann braucht sie mehr Jesus, nicht weniger. Wo das Christentum Ungerechtigkeit ausübt, da muss es mehr, nicht weniger christlich werden. Da hat es sich entfernt von dem, mit dem alles angefangen hat.
Der nicht gefoltert hat, sondern sich foltern ließ. Der – wie Michael Herbst es sagt – sich festnageln ließ auf das „Ja“ zu jedem einzelnen Menschenleben.
Wir brauchen mehr von diesem Jesus in unserer Gesellschaft und in unserem eigenen Leben.
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