Predigt (2. Februar 2020)
Letzter Sonntag nach Epiphanias • Sermon • Submitted
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Transcript
Liebe Gemeinde,
100 km liegt die kleine griechische Felseninsel Patmos vom kleinasiatischen Festland entfernt. Man kann sich auf einer Traumschiffreise in die herrliche Inselwelt der Ägäis diesen kleinen Abstecher leisten.
Allerdings: Im ersten Jahrhundert nach Christus erinnerte das Wort »Patmos« nicht an Urlaub. Die Römer benutzten die weltabgeschiedene Insel, um auf ihr straffällige und missliebige Leute auszusetzen. Dort waren sie wirklich gestraft für ihre Untaten. Auch die Spinner und die großen und kleinen Revoluzzer waren mit ihren verrückten Ideen bestens aufgehoben. Auf Patmos konnten sie sich aus-toben, ohne dass es jemanden störte oder schädigte.
Patmos bedeutete damals: Man ist weg vom Fenster. Was jetzt noch kommt, ist nur noch Öde und Sinnlosigkeit.
Solch einen unglückseligen Lebensabend bescherte man dem Christen Johannes. Der für die Gemeinden Klein-asiens unersetzliche Mann sollte auf Patmos mundtot und wirkungslos gemacht werden. Dahinter steckten zwei Absichten: Die harte Bestrafung eines Unruhestifters und die Orientierungslosigkeit der Gemeinden. Ist den Behörden der Doppelschlag gelungen? Einerseits ja – im Wesentlichen nein. Wir wollen den Text, den wir aus hörten, so gliedern: Abgeschoben und doch mittendrin, abgemeldet und doch beauftragt, abgestürzt und doch getröstet.
1. Abgeschoben und doch mittendrin
Für jeden Menschen ist es ein schlimmes Geschick, wenn er abgeschoben wird. Das kann einem ziemlich schnell passieren. Man braucht nur an die moderne Arbeitswelt denken.
Da arbeitet einer viele Jahre tüchtig und erfolgreich in seinem Betrieb und plötzlich wird er ausgemustert – vorzeitig ausgemustert in seinen besten Jahren. Von heute auf morgen wird er aus seinem gewohnten alltäglichen Rhythmus geworfen.
Oder es verunglückt einer schwer und führt dann sein neues Leben zwischen Krankenhaus und Reha. Er fühlt sich ausgegrenzt von der normalen Welt der Gesunden. Er ist weg vom Fenster.
Weg vom Fenster war der verbannte Johannes. Der
Kontakt zu den Brüdern und Schwestern auf dem Festland bestand nicht mehr. Kein Telefon und keine sozialen Netzwerke! Eine Schallmauer des Schweigens umgab ihn, durch die nicht einmal mehr Gerüchte durchdrangen. Kann es Schlimmeres geben für einen Christen, dem doch die »Gemeinschaft der Heiligen« Wurzelgrund und Lebenselement bedeutet?
Abgeschoben, ausgemustert, isoliert.
Aber da steht nun ein wichtiger Satz im Text: »Ich wurde vom Geist ergriffen am Tag des Herrn.« Dieser Geist ist nicht gebunden an bestimmte Orte. Er ist nicht entweder bei den einen oder bei den anderen. Er weht wann und wo er will. Er verbindet in einer wundervollen Weise Christen an verschiedenen Orten miteinander.
Dass hier der Tag des Herrn genannt wird, ist nicht
zufällig. Von Anfang an versammelten sich Christen am Sonntag, am Auferstehungstag Jesu. Gott selbst hatte dieses Datum gesetzt.
Nicht dass der Geist Gottes am Werktag Urlaub machen würde. Trotzdem ruht auf dem Sonntag eine besondere Verheißung, ein besonderer Segen. Man könnte es auch forsch und etwas unangemessen sagen: Am Sonntag ist der Geist Gottes besonders zum Schaffen aufgelegt.
Also sollten wir Christen mit dem Sonntag nicht nach Belieben umspringen, ihn einebnen zu einem Tag unter anderen. So kräftig wirkt Gottes Geist am Tag des Herrn, dass er den abgeschobenen Johannes aus seiner Einsamkeit herausreißt und in ihm die Gewissheit schafft: Die
da drüben auf dem Festland treten jetzt in dieser sonntäglichen Stunde vor Gott für mich ein. Sie tragen mich in ihren Gedanken und Gebeten. Ich bin jetzt verbunden mit allen, die den Herrn Jesus Christus lieb haben – oben im Himmel und unten in Kleinasien. Keine Macht und kein römischer Kaiser können uns trennen von der Liebe Gottes und der Liebe zueinander. Ich befinde mich mittendrin in der Gemeinde.
Darum bitten wir, dass der Heilige Geist dies auch heute bewirkt in den vielerlei – in Anführungszeichen – Iso-lierstationen des Lebens, da wo sich Christen allein vorkommen, in den Bedrängnissen und Gefängnissen der Christenverfolgung, auf abgelegenen Missionsstationen, aber auch in Krankenhäusern und Seniorenheimen, in der häuslichen Einsamkeit oder sogar mitten im beruflichen Alltag. »Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet, so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all deiner Kinder hohen Lobgesang.« (Bonhoeffer)
Er ist da. Alle seine Kinder – die im Himmel und die auf Erden – sind jetzt bei mir.
2. Abgemeldet und doch beauftragt
»Ich hörte hinter mir eine große Stimme wie von einer Posaune, die sprach: Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende es an die sieben Gemeinden.«
Was bin ich noch wert, wenn ich nichts mehr leiste?! Das ist der Seufzer der Ausgemusterten und Abgemeldeten. Was bin ich noch wert auf der Sträflingsinsel Patmos, was haben die Gemeinden von einem verbannten geistlichen Leiter! Sie müssen ihn wohl abschreiben und
irgendwie ohne ihn weitermachen.
Wie soll einer, der sein Leben lang im Dienst für andere stand, nicht schwermütig werden? Ein Leben voller
Inhalte und Aufgaben läppert sich nutzlos und banal zu Ende. Aber nun sitzt am Felsenstrand von Patmos kein Pensionär, dreht Däumchen und versinkt in seinen
depressiven Gedanken.
»Was du siehst, das schreibe in ein Buch und sende
es an die sieben Gemeinden.« Gott überträgt seinem abgemeldeten Mitarbeiter eine Aufgabe. Nein, keine »Beschäftigungstherapie«!
Gottes neuer Auftrag stellt Johannes wieder an die vorderste Front seiner Mitarbeiter. Es ist eine völlig neue, eine andere Aufgabenstellung, aber in ihrer Wichtigkeit steht sie der früheren in nichts nach.
Und da befinden wir uns nun an einem ganz wichtigen Punkt. Bei Christen können die Aufgabenstellungen wechseln.
Da wird ein tüchtiger Mitarbeiter älter und krank. Und Gott sagt zu ihm: Nun mach auf deiner »Insel« das, was bei den Jungen und Gesunden zu kurz kommt. Bete für deine Angehörigen, bete für deine Gemeinde! Das ist jetzt deine Aufgabe!
Oder Gott sagt zu einem anderen: Dir ist das Leiden
auferlegt. Diene mir im Leiden! Gib der Welt ein Zeugnis von der stillen Freude in allem Leide.
Oft wollen wir das überhaupt nicht verstehen und annehmen. Wir klammern uns an unserer alten Aufgabe fest, singen im Herzen oder sogar öffentlich unsere
Jammerlitaneien. Wie viele erstarrte Salzsäulen gibt es im Reich Gottes, Mitarbeiter, die sich von ihren alten Aufgaben nicht lösen können!
Als Johannes auf Patmos Gottes Stimme hört, erwidert
er nicht: Was soll ich bitte tun? Ein Buch schreiben? Ich war und ich bin ein Praktiker! Tu das Wunder und versetz mich schnellstmöglich wieder auf das Festland. Dort ist meine Aufgabe. Dort bin ich unersetzlich.
Johannes nahm das an, was nach Gottes Willen jetzt für ihn dran war. Menschlich mag das für ihn hart sein und hart klingen: Gott wollte den Gemeinden die Botschaft seiner Offenbarung übermitteln. Dazu brauchte er einen Empfänger und einen Schreiber. Und dazu war ein ge-eigneter, ein einsamer Ort nötig.
Also: Nicht nur die römischen Behörden steckten hinter der Verbannung des Johannes; da mischte auch Gott kräftig mit. Natürlich war es hart für den betroffenen Johannes. Aber gehörte er nicht auch zu denen, die mit Paulus bekannten: »Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn« (Röm. 14, 8)? Und dann sind wir auch bereit, seine Wege zu gehen – drüben auf dem Festland in Freiheit oder hier auf Patmos in der Gefangenschaft.
Abgemeldet und doch beauftragt. Von Gott zu Großem berufen, dessen Folgen Johannes selbst noch gar nicht abschätzen konnte.
3. Abgestürzt und doch getröstet.
»Und als ich mich umwandte, sah ich sieben goldene Leuchter und mitten unter den Leuchtern einen, der war einem Menschensohn gleich«.
Gott schenkt dem abgeschobenen und abgemeldeten
Johannes eine riesige Vision. Wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren, unser Bruder – so stand
der irdische Jesus seinen Jüngern vor Augen. Nun sieht Johannes denselben Jesus, aber als wahrhaftigen Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, in unvergleichlicher Herrlichkeit und Vollmacht.
Diese überwältigende Vision kann er nur stammelnd und in gewagten Bildern niederschreiben.
Man könnte sich jetzt vorstellen, dass Johannes sich in die erhabensten Höhen emporgehoben fühlt. Aber es geschieht etwas Unerwartetes. Er erlebt einen fürchter-lichen Absturz. Die Vision des erhöhten Christus stürzt ihn in eine bodenlose Tiefe. »Und als ich ihn sah, fiel ich zu seinen Füßen wie tot.« Dass die Hirten von Bethlehem im Glanz der himmlischen Heerscharen umkippen, kann man verstehen. Denn sie haben alle Dreck am
Stecken. Dass der Fischer Petrus am See Genezareth zu Boden geht und schreit: »Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch!« – Auch das leuchtet ein. Denn
Petrus war ein schillernder und schwankender Charakter.
Aber Johannes? Der treue und gehorsame, der furcht- und kompromisslose Jünger Jesu? Müsste er jetzt nicht voller Freude vor seinem mächtigen Herrn stehen? Doch nun liegt er vor Jesus: abgestürzt, niedergedrückt, erschlagen von dessen Macht und Herrlichkeit. Auch der treueste Christ steht, nein, liegt bettelarm vor Jesus.
Ich denke, dass Jesus gerade dies seinen treuesten Dienern deutlich machen muss. Denn auch sie leben nicht von ihrer Treue und von ihrer Liebe und von ihrem Einsatz für Jesus. Sie und wir alle leben ausschließlich von Jesu Liebe und Treue. Damit allein werden wir einmal vor ihm bestehen können, mit nichts anderem!
Und er legte seine Hand auf mich und sprach zu mir: »Fürchte dich nicht!« An den zentralen Stellen der Bibel taucht dieser Satz immer wieder auf. Dabei muss man etwas beachten. Fürchte dich nicht! – Das würden wir
ja nun in der Situation des Johannes so verstehen: Fürchte dich nicht vor dem mächtigen Kaiser und seinen Handlangern! Fürchte dich nicht vor Bedrängnissen und
Schikanen! Fürchte dich auch nicht vor dem Sterben
um des Glaubens willen! Denn ich bin mit dir.
Wo in der Bibel der Aufruf: »Fürchte dich nicht!« auftaucht, geht es zuerst um die Furcht vor dem heiligen Gott. Denn da sind die »Augen wie Feuerflammen«, vor denen nichts verborgen bleibt. Und da ist das »scharfe und zweischneidige Schwert«, das unerbittlich richtet. Vor diesem Herrn liegt unser Leben mit all seinen geheimsten Regungen offen. Vor der Allmacht und Heiligkeit Gottes sind wir verloren. Durch den Zuspruch des Heilands: »Fürchte dich nicht!« sind wir gerettet.
Und wenn uns Jesus diese Furcht nimmt und uns aufrichtet, dann kommt auch der Thron unserer irdischen Ängste ins Wanken: vor den menschlichen Autoritäten und ihren Umtrieben, vor der Zukunft und ihren Grausamkeiten. Wer mit Gott im Reinen ist, kommt auch mit vielen
irdischen Dingen und Situationen besser klar.
Unser Text schließt mit dem großen österlichen Satz, der uns begleiten darf in alle schwierigen und schlimmen Situationen unseres Lebens und Sterbens hinein: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle. Amen.