Jes 40,31 - Fliegen wie ein Adler

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Der Traum vom Fliegen

Himmelfahrt - Jesus versammelt seine Jünger auf einem Berg. Er gibt ihnen den Auftrag, das Evangelium in aller Welt zu verkündigen. Dann schwebt er in den Himmel, bis er über den Wolken verschwindet.
Wenn ich diese Geschichte meinen Grundschülern erzählen, kommen ganz unterschiedliche Reaktionen.
Die allermeisten hören sie zum ersten Mal. Manche sagen: “Das geht doch dar nicht.”
Andere widersprechen und erzählen von einem fliegenden Superhelden. “Wenn Superman das kann, dann Jesus erst recht.”
Schon im Mittelalter hatte man Freude daran, diese Szene zu malen und mit viel Fantasie auszuschmücken.
Vielleicht steckt hiner dieser Faszination der uralte Traum vom Fliegen. Nicht am Boden festsitzen, sondern alles von oben betrachten und frei sein wie ein Vogel. Otto Lilienthal lässt grüßen.

Die Verheißung: Fliegen wie ein Adler

Wir fliegen heute erst einmal in die Vergangenheit. Vor über 2500 Jahren war das Volk Israel am Boden zerstört - im wörtlichen Sinn.
Die Babylonier hatten die Stadt Jerusalem mitsamt dem Tempel in ein Trümmerfeld verwandelt.
Die meisten Bewohner waren in einer 70jährigen Verbannung in einem fremden Land.
Diesen Menschen macht Gott Mut. Durch den Propheten Jesaja lässt er ihnen sagen (Jes 40,31a):
“Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.”
Gott gibt den am Boden zerstörten Menschen den Traum vom Fliegen zurück. Vielleicht kann man die Botschaft so übertragen:
“Stellt euch vor, ihr könnt frei wie ein Vogel sein und euch vom Wind aus eurem ganzen Elend herausheben lassen!
Stellt euch vor, euch würden in den schweren Situationen Flügel wachsen und ihr könntet Abstand gewinnen.
Stellt euch vor, ihr könntet die Perspektive wechseln und euer Leben - zumindest für einen kurzen Augenblick - mit anderen Augen sehen.
Genau das ist möglich. Ihr müsst nur auf mich harren.”
Gott verspricht uns so etwas wie eine kleine geistliche Himmelfahrt: Wie ein Adler ein keines Stück, einen heiligen Moment, himmelwärts fliegen - und doch wieder auf den Boden zurückkommen.
Denn der Vers geht weiter und führt auf die Erde zurück:
Jesaja 40,31 LU
31 aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Es geht also nicht darum, den irdischen Problemen zu entfliegen.
Gott will uns vielmehr in einem geistlichen Himmelsflug stärken und ermutigen, damit wir das Leben auf der Erde und ihrem Alltag mit neuer Kraft leben können.

Adler oder Huhn

Nicht ohne Grund spricht Jesaja einfach von irgendeinem Vogel. Denn nicht jeder Vogel fliegt so majestätisch wie ein Adler. Der König der Lüfte ist Gott gerade mal gut genug für diesen Vergleich.
Hätte Jesaja gesagt: “Du wirst auffahren mit Flügeln wie ein Huhn” - hätte diese Verheißung wenig Attraktivität. Denn ein Huhn flattert. Nach wenigen Metern ist es erschöpft.
Ein Adler hingeben braucht kaum einen Flügel zu rühren. Er nutzt die Aufwinde, sogar die Gegenwinde. Er lässt sich hochheben und braucht dazu kaum eigene Kraft. So hält er stundenlang durch.
Ins Geistliche übertragen könnte man sagen: Durch die Flugmomente mit Gott lernen wir, Adler und nicht Huhn zu sein.
Bei Problemen nicht panisch flattern, sondern sich ruhig von Gott eine neue Perspektive zeigen lassen und vertrauen, dass er uns trägt.
Nicht aus eigener Kraft alles lösen wollen, bis wir erschöpft sind, sondern sich dem Wind Gottes aussetzen, das heißt: Sich mit Gottes Geist erfüllen und von seiner Kraft tragen lassen.

Flugmomente

Jede Begegnung mit Gott ist ein solcher Flugmoment, in dem wir dies erleben, lernen und einüben.
Wenn wir Gottesdienst feiern, beten, Gottes Wort lesen, schweigen und hören, singen und anbeten, hebt uns Gottes Geist himmelwärts wie der Wind den Adler.
Denken wir an den Wochenspruch zurück. Da sagte Jesus:
Johannes 12,32 LU
32 Und ich, wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Wir müssen in diesen geistlichen Flugmomenten nichts Spektakuläres erwarten. Manchmal spüren wir dieses Emporgehoben-Werden und den Abstand zu unseren Problemen. Manchmal aber auch nicht.
Doch in der Bibel wird immer wieder deutlich, dass jede persönliche Begegnung mit Gott etwas verändert - unabhängig von unserem Bewusstsein und unseren Gefühlen.

Harren

Darum betont Jesaja auch das Harren: Die auf den Herrn “harren”.
Das Wort “harren” ist ein typisches Wort der Lutherbibel.
In der alten Version von 1984 kam es fast 80 mal vor.
In der neuen Ausgabe 2017 nur noch 35 mal. Das Wort verliert sich langsam aus unserem Sprachgebrauch.
Andere Bibelübersetzungen haben schon länger andere Worte wie “hoffen” oder “vertrauen” verwendet.
Doch “harren” ist mehr als nur “hoffen” oder “vertrauen”.
Wenn wir “beharrlich” an einer Sache dran bleiben - zum Beispiel an einem Kreuzworträtsel - , dann hat das etwas mit Geduld zu tun. Ich gebe nicht so schnell auf.
Wenn wir in einer Situation “ausharren” - zum Beispiel im Regen vor dem Bäcker anstehen -, dann hat das etwas mit Aushalten zu tun. Ich ertrage das jetzt, weil es die Mühe wert ist.
Wenn ich auf etwas “beharre” - zum Beispiel darauf, vom anderen angehört zu werden -, dann hat das etwas mit Protest zu tun. Ich lasse das nicht mit mir machen.
Alle drei Momente liegen im Harren: geduldig sein, unangenehme Situationen aushalten und für sein Anliegen protestieren.
Ich muss dabei an den Europapark denken. Dort gibt es seit seit einem Jahr ungefähr das Voletarium - eine Art 3D-Flugsimulator. Man hat tatsächlich das Gefühl, für wenige Minuten zu fliegen - um den Eifelturm, über die Alpengletscher, an einem Vulkan vorbei, bis man schließlich wieder in Baden-Württemberg landet.
Der Flugmoment verändert die Menschen. Ich habe die Gesichter beobachtet. Alle gehen mit einem seligen und verträumten Grinsen aus der Attraktion.
Doch um diesen Flugmoment zu erleben, müssen sie Harren. Je nach Tag dauert das Anstehen eine ganze Stunde. Das braucht man Geduld, man muss das lange Stehen aushalten und manchmal auch protestieren, wenn sich andere Vordrängeln. Doch dieses Harren lohnt sich - auch für drei Minuten Flug.
Warum geben wir beim Beten so schnell auf? Oder beim Gottesdienstbesuch? Oder beim Lesen der Bibel?
Wie viel Geduld haben wir, wenn Gott unsere Gebete anders erhört, als wir es uns wünschen?
Wie viel Ausdauer haben wir, wenn wir schwierige Passagen in der Bibel nicht verstehen?
Wie deutlich prostetieren wir gegen unsere eigene Bequemlichkeit, lieber zu Hause zu bleiben?
Gott verspricht:
Wenn du auf mich harrst, wenn du auf mich hoffst und mir vertraust, dann erlebst du einen Flugmoment.
Dir wachsen Flügel, du wirst auffahren wie ein Adler und neue himmlische Kraft bekommen - damit du deinen irdischen Weg fortsetzen kannst.
Amen.
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