Freue dich!
Notes
Transcript
Taufpredigt über Ps 37,4
Liebe Taufgemeinde,
Auftakt: Freude dich!
Ich stelle mir eine Szene vor: Der historische Zufall will es, dass ich die inzwischen groß gewordene Johanna Seemann im Konfirmandenunterricht in meiner Gemeinde wiedertreffe.
Es kommt zu einem Prüfungsgespräch am Ende der Konfirmandenzeit.
Ich frage sie: „“Mal schauen, was du über die Bibel gelernt hast – was ist die Botschaft des Alten Testaments?
Und sie antwortet: „Freue dich des Herrn!“
„Aha“, sage ich und frage weiter: „Und was ist der Inhalt des Neuen Testaments?“
Und sie sagt wieder: „Freue dich“! –
„Verstehe. Und was weißt du von Jesus?“ –
„Er will, dass ich mich freue!“
(Pause)
Keine Frage, dass sie die Konfi-Prüfung mit Bravour bestanden hätte.
Aber mehr noch: Wie sehr würden wir alle uns freuen, wenn die kleine Johanna in 14 oder 15 Jahren zu einem Mädchen – einem Teenager – herangewachsen wäre, das den Glauben an Gott für sich selbst tatsächlich in eine solche Freuden-Botschaft übersetzen könnte!
Hinführung: der ganze Vers – wie zu verstehen?
„Freue dich des Herrn!“ – Fürwahr, kann es einen treffenderen Taufspruch, eine schönere Überschrift über das noch so junge, so zukunftsschwangere Leben geben, für das wir heute um Gottes Segen bitten.
Doch ist das ja nur die erste Hälfte des Taufverses. Vollständig lautet er:
"Freue dich des Herrn, und er wird dir geben, was dein Herz begehrt."
Und da bin ich doch gestolpert, wenn ich ehrlich bin. Was soll das heißen: Freue dich des Herrn, und du bekommst, was du dir wünschst?
Umgekehrt würde es mehr Sinn machen: Er gibt dir, was dein Herz begehrt und du freust dich des Herrn. (Aber es würde eben auch bedeuten: Gibt er es dir nicht, kannst du ihn getrost vergessen.)
Freue dich des Herrn, und du bekommst, was du dir wünschst – was für eine Freude soll das sein, die das möglich macht? Ich habe über den Vers nachgedacht und meditiert und diesen Zusammenhang einfach nicht richtig zu fassen gekriegt.
Entfaltung: der Kontext – Psalm 37
Also habe ich mir den Psalm 37 näher angeguckt. Das war sehr hilfreich. Und ich fürchte, ich kann euch und uns eine kleine Reise in die Theologie nicht ganz ersparen. (Aber so ein Trip kann ja auch ganz spannend sein.)
Der Psalm 37 entstammt einer Tradition hebräischen und altorientalischen Denkens, das man „die Weisheit“ nennt. Für die alttestamentliche Weisheit war die Vorstellung grundlegend, dass Gott die Welt als eine Ordnung geschaffen hat und in einer Ordnung erhält, die uns Menschen gut und heil in ihr leben lässt. Ganz ähnlich wie die alten Griechen die Welt wegen ihrer Struktur und Schönheit ganz schlicht den „Kosmos“ nannten – also: das Schmuckstück –, so waren auch die Menschen des alten Orients der Überzeugung, dass ein gutes Leben möglich sei, weil Gott eine gute Ordnung als Rahmen für dieses Leben geschaffen hat.
Der Psalm selber bildet übrigens eine solche Ordnung ab. Er ist als ein kunstvolles Akrostichon gestaltet: Er beginnt mit einem Aleph den ersten Vierzeiler, dann folgt das Beth, der nächste Vierzeiler beginnt mit dem Gimel usw. das ganze hebräische Alphabet durch. Dieses Akrostichon ist mehr als nur eine poetische Form, der Dichter bildet damit etwas vom schöpferischen Handeln Gottes selber ab, indem er nämlich eine schöne Ordnung in seine Rede bringt.
Die weisheitliche Tradition nennt diese Ordnung „Gerechtigkeit“. Die in der Bibel so zentrale „Gerechtigkeit Gottes“ sorgt also dafür, dass alles seine Ordnung hat. Die Menschen, die gemäß dieser Ordnung leben, nennt die Bibel – und sie heißen im Judentum bis heute so – „die Gerechten“.
So weit, so gut. Da gibt es nur ein Problem: Die Welt ist nicht gerecht. Oft passieren schlimme Sachen. Und sie passieren nicht nur schlechten Menschen, sondern gerade auch „den Gerechten“. Nicht selten scheint es sogar so, dass böse, rücksichtslose und habgierige Menschen besonders erfolgreich sind gegenüber den guten und rücksichtsvollen Menschen.
Für die weisheitliche Tradition musste dieser Umstand zu einem theologischen Problem werden: Warum geschieht Ungerechtigkeit, wenn die göttliche Ordnung doch gerecht ist? Und warum scheint es den Ungerechten genauso gut wie den Gerechten zu ergehen – wenn nicht noch besser?
Auf die erste Frage kann auch die Weisheit keine Antwort geben, die zweite Frage aber ist nun gerade das Thema unseres Psalms. In über 30 langen Versen beschäftigt er sich mit dem Schicksal der Ungerechten und „Frevler“, wie sie in der Bibel genannt werden. Und die Antwort ist eindeutig: Ihr Erfolg und ihr Glück ist nicht von Dauer: „wie das Gras werden sie bald verdorren“ (V.2)
Die Gerechtigkeit Gottes stellt einen größeren Zusammenhang her als in dem kurzfristigen Erfolg sichtbar wird. Wir erkennen ihn als Menschen meist nur nicht. Darum wird dem Gerechten vor allem anderen diese Haltung anempfohlen: Vertrauen! Wir haben es eben im Psalm gemeinsam gebetet: „Vertraue dem Herrn…befiehl dem Herrn deine Wege, bleib ruhig und warte auf ihn!“
Damit ist nicht gemeint, dass wir die Hände in den Schoß legen und nichts tun sollen – im Gegenteil: wir sollen gerade das Gute und Gerechte, der göttlichen Ordnung Entsprechende zu tun versuchen. Immer wieder und wieder. Aber dass es dann auch gut wird, dass es uns auch gut damit ergeht – das sollen wir, das müssen wir Gott überlassen.
Conclusio: Ein tieferes Verständnis des Taufverses
Und inmitten dieser fünf Verse, die die Haltung des Gerechten, also die richtige Haltung Gott gegenüber beschreiben, steht Johannas Taufspruch:
„Freue dich des Herrn, und er wird dir geben, was dein Herz begehrt.“
Ich halte ihn für ganz zentral, denn er bringt zwei Dinge zum Ausdruck:
Erstens: In der Haltung gegenüber Gott geht es um eine Beziehung, sie ist weder eine Erkenntnis noch eine Eigenschaft. Vertrauen auf Gott und die göttliche Ordnung wird ja gern als „Glauben“ übersetzt, im Sinne eines Für-wahr-Haltens. Doch gemeint ist: Sich einlassen und verlassen auf ein Gegenüber. Sich von Gott an die Hand nehmen lassen und mit ihm gemeinsam durchs Leben gehen.
Ich finde, das bringt das „sich des Herrn freuen“ sehr gut zum Ausdruck: denn „sich freuen“ ist keine kognitive Leistung oder eine Tugend. Sondern sie drückt unser Verhältnis zu etwas oder jemandem aus: dass wir es, sie oder ihn gern haben und Lust haben, etwas mit ihm oder ihr zu machen.
Und das bringt mich zum zweiten Punkt: Eine Beziehung zu Gott zu haben ist nicht nur „gut“ oder „hilfreich“ oder „heilsam“. Es ist schön. Es ist bereichernd Es macht Spaß. Wir dürfen und sollen unsere Lust und Freude an Gott haben, so als würden wir mit einem guten, alten Freund zusammen einen Kaffee trinken gehen und uns gelöst über unser Leben unterhalten. So dürfen und sollen wir unser Leben mit Gott teilen.
Das wünschen wir uns alle. Und das wünschen wir heute ganz besonders der kleinen Johanna.
Doch meine Eingangsfrage ist noch nicht wirklich beantwortet: Wie ist die zweite Hälfte des Verses zu verstehen: „und er wird dir geben, was dein Herz begehrt“?
Ich meine, nach unserer kleinen theologischen Reise, nun besser zu verstehen, dass nicht unser Begehren die Freude ändert, sondern unsere Freude das Begehren.
Wenn wir keine lebendige Beziehung zu Gott haben, könnte uns das Leben noch so reich beschenken – wir kämen trotzdem nicht auf die Idee Gott dafür zu danken und uns seiner zu freuen. Wir würden einfach weiter leben, gespannt darauf, was das Leben uns noch so zu bieten hat.
Haben wir aber das Glück, in einer lebendigen Beziehung mit Gott zu leben, dann verwandelt sie unsere Einstellung, unsere Wünsche, unser Begehren. Sie gibt uns die Möglichkeit überhaupt einmal „Danke“ zu sagen, Gutes als Geschenk zu erfahren und sich nicht nur über Dinge zu freuen, die das Leben schenkt, sondern sich mit jemandem zu freuen – und nicht irgend jemandem, sondern dem, der das Leben selbst ist und es uns geschenkt hat.
Liebe Johanna Berenike Seemann, wir wünschen dir von Herzen, dass du in eine solche oder jedenfalls in die Richtung gehende – du wirst das schon machen – Beziehung zu Gott und mit Gott hineinwachsen mögest.
Und wer weiß: In 14 oder 15 Jahren in der Konfirmationsprüfung stelle ich dir dann noch ein Bonusfrage:
„Was, Johanna, wünschst du dir vom Leben?“ – Und du würdest antworten: „Freude!“
Und ich würde sagen: „Amen!“
Coda: Taufe als Beziehung – Ordnung, vgl. Taufgespräch