Vierfaches Ackerfeld

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Das Evangelium des Matthäus

Ohne Überleitung von V. 17 zu V. 18 lesen wir an der Spitze von V. 18 das betonte Ὑμεῖς οὖν ἀκούσατε [Hymeis oun akousate]. Die Jünger hatten ja im Matthäusbericht gar nicht nach der Deutung des Ackerfeld-Gleichnisses gefragt. Ähnlich ist es in Lk 8,11. In Mk 4,13 kann allerdings eine Jüngerfrage angedeutet sein.

Ihr nun markiert einen doppelten Gegensatz: erstens den der Jünger zu den Draußenstehenden, zweitens den der jetzt erfolgenden Deutung zum Fehlen einer Deutung außerhalb des Jüngerkreises. Ihr sollt hören! ist ein Privileg. Zwar heißt es das Gleichnis (τὴν παραβολήν [tēn parabolēn]) vom Sämann. Doch ist von Anfang an klar, dass es um seine Deutung geht. Jesus nennt es zwar das Gleichnis vom Sämann (ἡ παραβολὴ τοῦ σπείραντος [hē parabolē tou speirantos]), aber seine Erklärung gilt dem vierfachen Ackerfeld, sodass unsere Überschrift zu Recht besteht.

Nun erklärt Jesus den ersten Vorgang (V. 19): Bei jedem, der das Wort vom Reich hört und nicht versteht, kommt der Böse und raubt, was in seinem Herzen gesät ist: Das ist der, bei dem auf den Weg gesät ist.

Vorweg überraschen zwei Beobachtungen. Die Erste: Der Sämann wird überhaupt nicht erklärt. So selbstverständlich ist es, dass nur Jesus damit gemeint sein kann. Jesus, der Sämann, der „Weingärtner“ (Lk 13,7), der „Weinstock“ (Joh 15,1): Die Heimat Galiläa liefert ihm zahlreiche Bilder, die sein Wesen und seine Aufgabe darstellen. Die zweite Beobachtung ist: Selbstverständlich meint der Same das Wort, das Jesus ausstreut. Auch das wird nicht näher erklärt.

Folgen wir nun V. 19: Bei jedem, der hört (παντὸς ἀκούοντος [pantos akouontos]) bezeichnet denjenigen, der nur hört im Sinne von Jak 1,22ff. Der nicht versteht (μὴ συνιέντος [mē synientos]) muss auf dem Hintergrund von V. 11.13.14.15 gesehen werden. Es handelt sich also um Menschen, die nicht „mit dem Herzen verstehen“ (V. 15), sondern nur äußerlich hören, ohne das Wort an sich heranzulassen. Das Wort vom Reich (ὁ λόγος τῆς βασιλείας [hē logos tēs basileias]) umfasst die gesamte Verkündigung Jesu (Mt 4,17.23; 9,35). Bei dem, der sich innerlich versperrt und deshalb nicht versteht, kommt der Böse und raubt, was in seinem Herzen gesät ist: der Böse (ὁ πονηρός [ho ponēros]) ist der Teufel (vgl. Mt 6,13; 13,38). Der Teufel also ist es, der in V. 4 unter dem Bild der Vögel erwähnt wurde. Fazit: Hören allein genügt nicht! Sind wir nur eine Kirche des Hörens, so sind wir noch keine Kirche im Sinne Christi. Jakobus hat das in Jak 1,22ff genial erfasst.

Grammatisch schwierig sind die Schlussworte von V. 19: οὗτός ἐστιν ὁ παρὰ τὴν ὁδὸν σπαρείς [houtos estin ho para tēn hodon spareis], wörtlich: „das ist der auf den Weg Gesäte“. Zu ergänzen ist wohl ὁ σπόρος [ho sporos] = „der Same“ (vgl. Lk 8,11). Aber für unser Verständnis bleibt eine doppelte Schwierigkeit: Erstens bedeutet οὗτος [houtos] nach Mt 13,19 zunächst einmal „jeder Hörende“ (παντὸς ἀκούοντος [pantos akouontos]), zweitens wird ja nicht ein Mensch gesät, sondern das Wort. Wir müssen also im Deutschen eine andere Wiedergabe wählen, um den Sachverhalt auszudrücken. Moderne Übersetzungen verfahren relativ frei: „ist es wie mit der Saat, die auf den Weg fällt“ (NGÜ), „Für sie steht das, was beim Säen auf den Weg fällt“ (BasisBibel), „Bei ihnen ist es wie bei dem Samen, der auf den Weg fällt“ (Gute Nachricht). Andere ziehen eine neutrische Fassung vor. „Das ist es, was auf den Weg gesät wurde.“6 Unsere Übersetzung ist der Lutherbibel nahe. Bei allen Übersetzungsvarianten steht aber eines fest: Jesus spricht hier von dem Menschen, der allein äußerlich zuhört, aber das Wort nicht innerlich aufnimmt.

Nun kommt die Erklärung des zweiten Vorgangs: Der aber, bei dem auf das Felsige gesät ist, das ist der, der das Wort hört und es sofort mit Freude aufnimmt (V. 20). Auf den ersten Blick liegt hier der größte Erfolg vor. Denn dem hören folgt hier ein inneres aufnehmen (λαμβάνων [lambanōn]). Mehr noch: Dieses aufnehmen geschieht mit Freude. μετὰ χαρᾶς [meta charas] enthält Zustimmung, den Beginn echter Jüngerpraxis, ja sogar die eschatologische Dimension der Erlösungsfreude. Und dies alles sofort, das heißt „mit zupackender Entschlossenheit“. Er hat aber keine Wurzel in sich, sondern ist nur auf Zeit dabei. Wenn aber Drangsal oder Verfolgung um des Wortes willen eintreten, dann fällt er sofort ab (V. 21): Wir bemerkten schon, dass Jesus bei diesem zweiten Vorgang besonders lange verweilt. Das Bild von der Wurzel kann er direkt aus der eigenen Erfahrung genommen haben. Möglicherweise war er aber auch durch das AT inspiriert, etwa Prov 12,12: „Die Wurzel der Gerechten bleibt beständig“ (vgl. Prov 12,3; Ps 1,3; Jer 17,8; Jes 40,24), oder durch die Weisheitslehrer (Sir 40,15; Sap Sal 4,3ff). Das griech. πρόσκαιρος [proskairos] bedeutet „vorübergehend“, „eine Zeitlang existierend“, noch wortgetreuer nur auf Zeit (vgl. 2Kor 4,18; Hebr 11,25). Was Jesus hier sagt, hat sich ungezählte Male in der Kirchengeschichte wiederholt. Schlatter bemerkt mit Recht: „Jesus bereitet die Jünger darauf vor, daß sie bei ihrer Arbeit nicht nur an denen, die es verwerfen, sondern auch in der Gemeinde selbst manche Enttäuschung erleben werden.“ Für solche Enttäuschungen darf man nicht eine mangelnde Qualität des Wortes verantwortlich machen.11 Drangsal (θλῖψις [thlipsis]) und Verfolgung sind normal für Jesu Gemeinde (Joh 15,18ff; Apg 14,22; Mt 5,10ff; 10,23ff; 24,9.21). Ihre Botschaft ruft Widerstand hervor (um des Wortes willen). Aber wer dann nicht in Jesus und seinem Wort verwurzelt ist, fällt ab (σκανδαλίζεται [skandalizetai]) und hört mit dem Glauben und der Nachfolge auf. Das beigesetzte Wort sofort markiert die Leichtigkeit, mit der hier der Wechsel vom Unglauben zum Glauben und umgekehrt – vom Glauben zum Unglauben – vollzogen wird. Was für eine Wohltat ist dagegen ein „festes Herz“ (Hebr 13,9)! Die relative Ausführlichkeit der Verse 20 und 21 deutet darauf hin, dass Jesus mit solch schneller Begeisterung und solch schnellem Abfall gerade bei seinen Zeitgenossen gerechnet hat und davor warnen wollte (vgl. Mt 8,19f).

Mit dem dritten Vorgang hat es V. 22 zu tun: Der aber, bei dem auf die Dornen gesät ist, das ist der, der das Wort hört, und die Sorge der Welt und der Betrug des Reichtums erstickt das Wort, und er bringt keine Frucht. Hier geschieht etwas Tragisches. Der Betreffende hört, und zwar richtig: Er hört ja das Wort. Dieses Wort, dargestellt unter dem Bild des Samens (V. 7), hat dieselbe Qualität und dieselbe Kraft wie in allen anderen Fällen. Man sieht das daran, dass das Wort zunächst „wächst“ (vgl. Mt 13,26ff; Mk 4,19.27; Apg 12,24; 19,20). Aber nun kommt der Umschlag: Auch die Dornen wachsen und ersticken am Ende die Saat (V. 7). Jesus deutet die Dornen auf die Sorge der Welt (μέριμνα τοῦ αἰῶνος [merimna tou aiōnos]) und den Betrug des Reichtums (ἀπάτη τοῦ πλούτου [apatē tou ploutou]). Ersteres, die Sorge, plagt vor allem die Armen, das Zweite bezieht sich auf die Reichen. Arme und Reiche sind also gleich gefährdet! Interessanterweise haben sowohl Matthäus als auch Markus nicht nur das Stichwort Reichtum gemeinsam, sondern auch die Formulierung Betrug des Reichtums. Dadurch wird klargestellt, dass nicht der Reichtum an sich das Problem ist, sondern dass er dort zu einem Problem wird, wo man ihn vergötzt („Mammon“) und wo er den betreffenden Menschen um die rettende Gottesgemeinschaft betrügt. Wer zulässt, dass das heilsame Wort Gottes (vgl. 2Tim 1,13; Tit 2,8.11) von Sorge und Reichtum überwuchert wird, bringt am Ende keine Frucht. Hier wird erschreckend klar, dass es sich weder um Schicksalsschläge noch um Vorherbestimmung (Prädestination) handelt, sondern um die Verantwortung des Menschen, der seine Entscheidungen treffen muss. Nur so lassen sich die Gleichnisse als eindringlicher Aufruf (V. 9!) verstehen.

Der vierte Vorgang stellt das einzige positive Beispiel dar: Der aber, bei dem auf den guten Boden gesät ist, das ist der, der das Wort hört und versteht, der dann Frucht trägt und bringt, einmal hundertfach, einmal sechzigfach, einmal dreißigfach (V. 23). Bei aller Unterschiedlichkeit hat sich eines in sämtlichen Beispielen durchgehalten, nämlich die Redewendung der das Wort hört (ὁ τὸν λόγον ἀκούων [ho ton logon akouōn], V. 19.20.22.23). Jedes Mal also geht es um die Hörer des Wortes (vgl. Jak 1,22)! Im vierten Beispiel gleichen sie dem guten Boden (καλὴ γῆ [kalē gē]). Woran erkennt man den guten Boden? Am Ergebnis! Weder das rasche Wachstum noch einzelne Züge der Qualität sind hier entscheidend, sondern allein die Tatsache, dass er Frucht trägt (καρποφορεῖ [karpophorei]) und sie in verschiedenem Maße bringt (ποιεῖ [poiei]). Jesus unterscheidet nicht einmal die Ergebnisse hundertfach, sechzigfach, dreißigfach anhand verschiedener Bodenqualitäten: Alles ist guter Boden! Mit Erstaunen registriert Luz, dass „der Evangelist nicht an Zwischentönen interessiert“ ist. In der Tat: Jesus freut sich an jeder Frucht = jedem Werk (vgl. Mt 5,16.19f; 7,21ff; 12,33ff.50). Aber das fruchtlose Hören, ein ewiges „Ich bin ein Gott-Sucher“ ohne ein Finden, wird von ihm verurteilt.

Beachten wir noch einige Einzelheiten: Das δή [dē] vor καρποφορεῖ [karpophorei] haben wir mit dann wiedergegeben (Bauer-Aland, 356: „der denn auch Frucht trägt“). Blass-Debrunner-Rehkopf übersetzen „welcher eben“ (§ 451,10). Es geht um die sozusagen „selbstverständliche“ Folge des Hörens und Verstehens. Wie in V. 13ff steht in V. 23 das Hendiadyoin hören und verstehen für ein äußeres und inneres Aufnehmen des Wortes, das zu einer Praxis diesem Wort gemäß führt. In Mt 5,17ff hieß das Hendiadyoin „lehren und tun“, was sachlich eine nahe Parallele zu hören und verstehen bildet. Über die Fruchtfolge hundertfach, sechzigfach, dreißigfach vgl. die Erklärung bei V. 8.

Es bleibt jedoch eine schwere Frage: War Jesus ein Skeptiker, weil er neben drei negative Beispiele nur ein einziges positives stellt? Will er sagen, dass nur ein Viertel der Hörer das Evangelium aufnimmt? Klar ist, dass er seine Jünger auf häufige Abweisung vorbereitet. Aber das hat er auch schon in Mt 10,17ff getan. Wichtiger ist noch, dass er selbst damit rechnet, von einer Mehrheit seines Volkes abgewiesen zu werden. Hier hat er prophetisch recht gehabt. Aber es wäre ein grobes Missverständnis, wenn man aus Mt 13,18ff eine Art Mathematik machen wollte, der zufolge drei Viertel der Hörer verloren gehen. Nein, Jesus warnt hier jeden Einzelnen vor einem falschen Hören. Zugleich äußert er einen erstaunlichen Optimismus, dass es viele – vielleicht momentan unerkannte – Hörer gibt, die einmal Frucht bringen werden. Wie weit entfernt ist er von dem christlichen Klagegeschrei, dass niemand unsere Botschaft hören will!

IV Zusammenfassung

1. Jesus deutet hier das in Mt 13,3–9 erzählte Gleichnis. Wir haben keinen Grund, daran zu zweifeln, dass er seine Gleichnisse auch gedeutet hat. Das wäre selbst dann der Fall, wenn es keine rabbinischen Parallelen gäbe. Aber nun gibt es solche Parallelen tatsächlich, wenn auch selten. Die Bedenken, die Jeremias dagegen vorträgt,21 betreffen nur die Formulierung, aber nicht das Grundsätzliche, und Bultmanns apodiktischer Satz: „Diese Deutungen sind zweifellos sekundär“, schießt weit über das Ziel hinaus.23

2. Das Gleichnis zielt auf die Annahme der Botschaft Jesu durch seine Hörer. Es ruft sie dazu auf, guter Boden zu werden, das heißt, Nachfolger Jesu zu werden und dadurch Frucht zu bringen. Jeder prüfe sich: Welchem Ackerfeld gleiche ich? Bin ich guter Boden? Dabei geht Jesus von der Verantwortung der Hörer aus (Wer Ohren hat, der höre!, V. 9). Niemand kann sich auf Schicksal, Veranlagung oder Prädestination berufen (ebenso Mt 3,8; Sir 15,11ff). Nicht zu vergessen ist, dass Jesus hier um das ganze Volk wirbt.

3. Der Unterschied liegt also nicht am Sämann, an der Art des Säens oder an der ungleichen Qualität des Samens. Er liegt allein in den Hörern.

4. Die Verteilung auf drei negative und ein positives Beispiel darf nicht dazu führen, den Misserfolg für „das Normale“ zu erklären oder von vornherein mit 75 Prozent Misserfolg für die christliche Predigt zu rechnen. Nein, Jesus richtet hier eine Warnung an alle, weil er will, dass alle „guter Boden“ werden.

5. Jesus selbst hat unglaubliche Hoffnung und Zuversicht in seine Botschaft gesetzt (vgl. Mt 13,31–35), wie übrigens auch Jesaja, ja Gott selbst (Jes 55,10ff). Jesus war kein Skeptiker. Aber zugleich rechnete er sehr nüchtern damit, dass die gegenwärtige Generation ihn in ihrer Mehrheit ablehnen würde und er deshalb ans Kreuz käme. Von daher beantwortet sich auch die öfter gestellte Frage, wie er mit seinen „Misserfolgen“ fertigwurde: Er vertraute der Führung des Vaters, wie sie sich aus der Heiligen Schrift und der Leitung des Heiligen Geistes ergab. Der Liedvers bzw. das Gebet von Benjamin Schmolck (1734) trifft das im Gleichnis Gemeinte recht gut: „Mache mich zum guten Lande, wenn dein Samkorn auf mich fällt. Gib mir Licht in dem Verstande und, was mir wird vorgestellt, präge du im Herzen ein, laß es mir zur Frucht gedeihn.“27

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