Kindersegnung
Hintergrund
Welche Geschichte fällt uns zuerst ein, wenn wir an das Leben Jesu denken?
Ist es vielleicht eine Heilung, ist es eine Rede Jesu, etwa die Bergpredigt? Oder vielleicht die Auseinandersetzung, die Jesus mit den Pharisäern geführt hat?
Was mir persönlich immer sehr wichtig ist, wenn ich an die Berichte über Jesus in den Evangelien denke, ist, dass Jesus nicht nur mit bedeutenden Leuten Kontakt hatte. Die Adressaten seiner Predigten und die Menschen mit denen er Umgang hatte waren meist Leute, um die andere einen Bogen machten: Es waren Zöllner, die ihre Landsleute ausbeuteten, Aussätzige, die ansteckend waren, Huren, mit denen anständige Juden mindenstens tagsüber jeglichen Kontakt vermieden, einfache Fischer, von deren Bekanntschaft man sich keinen Vorteil erhoffen konnte. Diesen Menschen brachte er das Evangelium, die frohe Botschaft. Er erzählte ihnen von Gottes Reich, und dass er selbst der Weg zu Gott ist.
Dreieinhalb Jahre zogen seine Jünger mit ihm durch die Lande. Oft genug bewiesen sie, dass sie ihren Herrn Jesus nicht wirklich verstanden hatten.
Eine Geschichte in der wir das auch beobachten können wird uns in allen drei synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) berichtet.
Ich lese sie nach Markus, Kapitel 10, Verse 13 bis 16:
Die Leute brachten ihre Kinder zu Jesus, damit er ihnen die Hände auflegen und sie segnen sollte. Als seine Jünger das sahen, wiesen sie die Leute zurück.
Jesus bemerkte das und sagte ihnen: "Lasst die Kinder zu mir kommen, denn für solche ist das Reich Gottes da.
Wahrlich, ich sage euch: Wenn jemand das Reich Gottes nicht aufnehmen wird wie ein Kind, dann kann er nicht hineinkommen."
Dann nahm er die Kinder in seine Arme, legte seine Hände auf sie und segnete sie.
Ich sehe Eltern vor mir, wie sie einen beschwerlichen Fußweg auf sich nehmen, ihre größeren Kinder an der Hand, die kleinen auf dem Arm. Jesus, der berühmte Rabbi, soll ihnen seinen Segen geben.
Das war damals nichts Ungewöhnliches.
Denn neben dem Segen, den Eltern ihren Kindern gaben, war es durchaus üblich, Kinder von einem Priester oder einem Rabbi segnen zu lassen.
Den Jüngern hat das nicht gepasst, was sich da anbahnte. Vielleicht dachten sie, Jesus sei gerade zu müde oder sie wollten eine bedeutende Predigt von ihm hören. Vielleicht wollten sie miterleben, wie er sich mit den Pharisäern auseinandersetzte. Jedenfalls reagierten sie genervt auf die Vorstellung, ihr Meister müsse sich jetzt mit Kindern beschäftigen. Deswegen gingen sie auf die Eltern zu und wollten sie zurückschicken.
Jesus sieht das ganz anders.
Die Jünger, die die Eltern mit ihren Kindern zurückgewiesen hatten, werden von Jesus zurechtgewiesen.
Die Jünger schicken weg, aber Jesus lädt ein.
Kinder und das Reich Gottes
Mit zwei Aussagen stellt Jesus den Bezug von Kindern zu dem Reich seines himmlischen Vaters heraus:
Erstens betont er, dass das Reich Gottes für Kinder da ist.
Zweitens macht er klar, dass man das Gottesreich aufnehmen muss wie ein Kind, wenn man hineinkommen will.
Wieder einmal macht Jesus damit ganz deutlich, für wen das Heil da ist:
Nicht nur für die Großen und Klugen, sondern ganz besonders auch für die Kleinen und Verachteten.
„Die Gesunden brauchen den Arzt nicht“, sagt er einmal, „sondern die Kranken.“
Und an anderer Stelle betont er (Lukas 19, 10):
Der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist.
Deswegen lädt er die Kinder ein und sagt:
Lasst die Kinder zu mir kommen, denn für solche ist das Reich Gottes da.
Wenn Jesus sagt, dass für die Kinder das Reich Gottes da ist, bedeutet dies dann, dass Kinder "automatisch" in das Reich Gottes eingehen? - Diese Frage kann man so nicht eindeutig beantworten. Die Bibel lehrt nirgends, dass ein Mensch bei seiner Geburt von der Belastung durch die Sünde frei wäre. Insofern hat sich ein Kind das Reich Gottes genausowenig verdient, wie ein Erwachsener. Aber die Gnade Gottes gilt einem Kind auf seiner Ebene genauso wie Erwachsenen.
Für mich steht fest, dass Gott gerecht ist!
Seiner Gerechtigkeit und seinem Erbarmen dürfen wir getrost überlassen, was mit Menschen geschieht, die das Geschenk seiner Gnade nicht bewusst aufnehmen können. Das betrifft kleine Kinder ebenso wie zum Beispiel geistig Behinderte.
Und was ist an Kindern so besonders, dass Jesus betont, man müsse das Reich Gottes aufnehmen wie ein Kind?
Ich habe dazu viele Erklärungsversuche gelesen, die mich wenig befriedigt haben.
Einen entscheidenden Schlüssel zum Verständnis dieser Aussage Jesu liefert uns der Kontext, der unmittelbare Zusammenhang des Textes:
Sowohl bei Matthäus wie auch bei Markus und Lukas werden uns drei Berichte unmittelbar nacheinander überliefert. Das sind
· die Kindersegnung
· der "reiche Jüngling"
· der Lohn der Nachfolge.
Ich bin mir sicher, dass dieser Zusammenhang einen Grund hat!
Zuerst kommt die Kindersegnung mit der Aussage, dass man das Reich Gottes aufnehmen müsse wie ein Kind.
Dann kommt die Geschichte mit dem reichen Jüngling. Oft wird bei der Auslegung der Schwerpunkt auf die Gefahren des Reichtums gelegt.
Darum geht es aber nicht in erster Linie. Wenn wir uns den Text aus Markus 10, 17-27 ansehen, stellen wir fest, dass am Anfang die Frage an Jesus gestellt wird:
"Guter Lehrer, was muss ich tun, damit ich das ewige Leben erbe?" - Einfach ausgedrückt: Womit kann ich mir den Himmel verdienen?
Jesus sagt ihm zunächst, dass niemand gut ist außer Gott. Damit ist die Frage eigentlich schon beantwortet. Kein Mensch ist so gut, dass er sich den Himmel verdient hätte. Er verdeutlicht dies, indem er dem jungen Mann einige Gebote aufzählt, die dieser jedoch seiner Meinung nach alle gehalten hatte.
Jetzt führt er ihn an seinen Schwachpunkt:
"Geh hin, verkaufe alles, was du hast, gib das Geld den Armen und folge mir nach!"
Zu viel verlangt! Traurig geht der reiche Jüngling weg. Jesus bespricht mit seinen Jüngern, wie schwer es doch für Reiche ist, in das Himmelreich einzugehen. Darauf stellen die Jünger genau die richtige Frage:
"Wer kann dann errettet werden?"
Jesus antwortet ihnen:
"Bei Menschen ist es unmöglich, aber nicht bei Gott; denn bei Gott sind alle Dinge möglich."
Den Himmel kann sich kein Mensch verdienen!
Konsequent sind sie ja, die Jünger!
Nachdem also feststeht, dass sich kein Mensch den Himmel verdienen kann, fragen sie sich in dem nächsten Bericht, den wir in Markus 10, 28-31 nachlesen können, was sie eigentlich davon haben, dass sie alles aufgaben um Jesus nachzufolgen.
Jesus weist darauf hin, dass es dafür Lohn geben wird, jetzt schon und auch im künftigen Zeitalter, aber nicht nach den Return-Of-Investment-Kalkulationen der Jünger, denn:
... viele Erste werden Letzte, und Letzte Erste sein.
So erschließt sich uns die Aussage über das Aufnehmen des Himmelreichs "wie die Kinder":
Ein Kind nimmt das, was es von seinen Eltern als Geschenk bekommt, dankbar an, ohne sich Gedanken darüber zu machen, wie es sich die Zuwendung der Eltern verdienen kann. Das ewige Leben ist ein Geschenk Gottes, das wir uns auch mit der größten Anstrengung niemals verdienen könnten. Wenn wir es wie Kinder, mit vor Staunen großen Augen, ohne Zweifel an den Absichten des himmlischen Vaters annehmen, dann gehört es uns. Umsonst!
Lasst die Kinder zu mir kommen!
Mit der reinen Erklärung des Textes möchte ich es an dieser Stelle nicht bewenden lassen. Ich denke, der Text enthält eine Herausforderung an uns alle. Wollen wir uns ihr stellen?
Die Aufforderung "Lasst die Kinder zu mir kommen!" gilt auch uns heute noch.
Wer ist da angesprochen? - Jesus sprach damals seine Jünger an, heute würden wir sagen die Gemeinde.
Aber sicher sind auch wir Eltern gemeint. Wissen wir, welche Verantwortung wir als Eltern tragen? - Diese Verantwortung umfasst nicht nur die Sorge für Ernährung, Kleidung, Gesundheit und Ausbildung unserer Kinder. Viel wichtiger ist noch, dass wir ihnen Liebe, Wärme und Geborgenheit vermitteln und dass wir sie vor Gott bringen.
In der Bibel finden wir ein Beispiel, das uns beim ersten Betrachten vielleicht merkwürdig vorkommt: Der Apostel Paulus schreibt einen Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus, den 2. Timotheusbrief. Da schildert er ihm, dass er sich erinnert
"... an den ungeheuchelten Glauben, der zuerst gewohnt hat in deiner Großmutter Lois und deiner Mutter Eunike, ich bin aber überzeugt, auch in Dir."
Kann man Glauben vererben, von der Großmutter über die Mutter auf das Kind? - Das ist leider nur ein frommer Wunsch, aber etwas können wir schon tun: Wir können unseren Kindern Gott nahebringen.
Ich erinnere mich genau an ein Bild aus meiner Kinderbibel:
Jesus sitzt auf einem Stein, um ihn herum viele Kinder. Ganz liebevoll geht er mit ihnen um, und sie hören ihm zu.
Dieses Bild verbindet sich mit dem, was ich von meiner eigenen Mutter erfahren habe. Mit großer Geduld und Liebe hat sie mir immer wieder aus der Kinderbibel vorgelesen und Geschichten von Jesus erzählt. Was sie da an wertvollem Samen in mein Kinderherz gestreut hat, ist mit Gold nicht aufzuwiegen. Ich bin ihr unendlich dankbar dafür.
Was für Eltern gilt, gilt auch für die ganze Gemeinde. Sind wir wirklich eine Famile, in der die Liebe Gottes gelebt wird? Haben Kinder in unserer Gemeinde Platz? Oder sehen wir sie eher als Anhängsel an, die erst in vielleicht 10 oder 20 Jahren zu Menschen werden?
Ich bin dankbar für die Kinderarbeit in unserer Gemeinde. Und ich bin dankbar für die vielen Mitarbeiter, die Zeit und Liebe investieren. Oft erstaunt mich, was meine beiden Jungen da schon alles mitbekommen haben.
Andererseits sollten wir den Kontakt mit den Kindern in der Gemeinde nicht nur einfach auf die Kinder-Mitarbeiter delegieren. Aus einer Predigt habe ich mir gemerkt, dass es falsch ist zu sagen: "Kinder sind die Gemeinde von morgen". Nein, Kinder sind die Gemeinde von heute. Sie gehören zu uns. Wissen wir eigentlich, was Gott uns mit ihnen anvertraut hat?
Deswegen ist es unser aller Aufgabe, der Gemeinde wie der Eltern, unsere Liebe ganz unseren Kindern zu geben. Wie können wir diese Aufforderung verwirklichen, die Kinder zu Jesus kommen zu lassen?
Ein paar Dinge möchte ich nennen. Natürlich ist das nicht alles. Da sind immer wieder neue Ideen gefragt.
Zunächst einmal können wir unseren Kindern von Gott erzählen. Die biblischen Geschichten können Kinder schon von früh an aufnehmen, wenn wir es schaffen, sie ihnen kindgerecht zu vermitteln.
Wir können Kindern unseren Glauben vorleben.
Nicht in dem Sinne, dass wir ihnen etwas vorspielen. Kinder merken sehr schnell, was in unserem Leben echt ist und was nicht.
Irgendwo habe ich neulich eine Karikatur gesehen. Da unterhalten sich Eltern über die Kindererziehung. Einer sagt: "Vergiss die ganze Erziehung! Unsere Kinder machen ja doch das nach, was sie bei uns sehen."
Authentisches Christsein kann genauso ansteckend sein wie schlechte Verhaltensmuster, die wir nicht bekämpfen. Wo stehen wir gerade?
Wichtig ist auch, dass wir mit ihnen und für sie beten. Es ist etwas ganz Besonderes, mitzuerleben, wie Kinder im Gebet mit Gott reden. Das tun sie, wenn wir ihnen ein positives Vorbild sind. Sie begreifen zum Beispiel in schwierigen Situationen schnell, ob wir anfangen zu schimpfen oder zu beten. Wenn wir etwas Schönes erlebt haben, freuen wir uns einfach oder drücken wir Gott unseren Dank aus?
An unseren Gebeten lernen sie beten!
Wir können unsere Kinder segnen.
Das heißt nicht, dass wir aus uns selbst heraus einen Segen weitergeben. Wenn wir eine Glaubensbeziehung zu Jesus Christus haben, dann dürfen wir seinen Segen weitergeben, in seinem Namen segnen und um seinen Segen bitten.
Bei der Vorbereitung auf dieses Thema habe ich mich mit meinen Jungs unterhalten. Sie haben mir erzählt: "Die Mama segnet uns jeden Tag, bevor wir in die Schule gehen. Ich habe es nicht in der Hand, wie ihre Entwicklung weitergehen wird. Aber so etwas bleibt in ihrer Erinnerung: Unsere Mama hat uns jeden Morgen gesegnet.
Und wir können unseren Kindern die Gemeinde lieb machen.
Das mag nicht immer ganz einfach sein. Wir tragen alle unsere Erwartungen in die Gemeinde hinein. Diese Erwartungen werden oft nicht erfüllt. Wie gehen wir damit um? Welches Bild vermitteln wir unseren Kindern? Merken sie, dass uns Gemeinde wichtig ist, dass wir Gott dafür dankbar sind, oder bekommen sie hauptsächlich das mit, was uns gerade nicht passt?
Haben die Kinder den Eindruck, die Gemeinde sei etwas, was ihnen die Eltern wegnimmt? Dann ist es Zeit, dass die Familie wieder stärker ins Zentrum rückt und gemeindliche Aktivitäten eingeschränkt werden!
Ich fasse zusammen:
Kinder sind ein Geschenk Gottes, sie gehören nicht uns. Gott hat sie uns anvertraut, damit wir sie zu ihm führen und sie unter seinen Segen stellen.
Kinder sollen uns wichtig sein, denn sie sind Jesus wichtig. Für solche wie sie ist das Reich Gottes da.
Und wir sollen von ihnen lernen: Sein großes Geschenk, das ewige Leben, können wir uns nicht verdienen, wir müssen es einfach nur dankbar annehmen. Wir dürfen unserem Gott begegnen wie ein Kind seinem Vater. In seinem Gespräch mit dem jüdischen Rabbi Nikodemus wird Jesus noch deutlicher: Voraussetzung für den Empfang des Reiches Gottes ist, dass wir ganz von neuem anfangen. Er sagt:
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, dann kann er das Reich Gottes nicht sehen.
Darüber sollten wir nachdenken! Amen.