Gottes Hoffnung auf unsere Umkehr

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Ihr Lieben,
im Talmud gibt es die bekannten Verse: Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden Handlungen. Achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.
Die jüdischen Theologen, die sich diese Zeilen erdacht haben, wussten nur zu gut um die Gefahr, in der der Mensch sich befindet. Allzu leicht gibt er sich seinen schlechten Begierden hin und verlässt den guten Weg. Das ist kein Phänomen der Neuzeit, sondern es besteht schon seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte:
Ab dem Moment, in dem Adam und Eva von der verbotenen Frucht gegessen haben, geht es nur noch bergab. Der Mensch entfernt sich immer weiter von Gott, geht seinen eigenen Weg. Bis Kapitel 11 im ersten Buch der Bibel lesen wir davon, wie es schlimmer und schlimmer wird. Es mündet darin, dass die Menschen einen Turm bauen wollen, der bis zum Himmel — also bis zu Gott — reicht; welch lächerliche Anmaßung! Erst nach dieser Geschichte lesen wir, wie Gott mit der Erwählung und Berufung Abrahams ein neues Heilshandeln beginnt.
Doch bis dahin ist es eine Spirale des Abstiegs. Mit dem Sündenfall, dem Bruch zwischen Mensch und Gott, kam die Sünde in die Welt. Dann wird die Sünde zwischen Mensch und Gott zur Sünde zwischen Mensch und Mensch.
Wir haben es gehört: Kain ist neidisch auf seinen Bruder Abel. Gott hatte Kains Opfer nicht wohlwollend angenommen, dafür aber das seines Bruders. Im Gegensatz zu ihm hatte Kain nicht das Beste seiner Ernte für Gott geopfert, sondern nur das, was übrig war. Jetzt ist Kain sauer. Doch anstatt die Schuld bei sich zu suchen oder Gott ein weiteres, besseres Opfer zu bringen, wird er neidisch auf seinen Bruder Abel. Sein Neid schlägt bald in brüllenden Zorn um, der Kain zerfrisst. — Der Hass macht die Welt zu eng für zwei Menschen. Abel wird zum ersten Märtyrer der Menschheit.
Es wird nicht der letzte Streit, das letzte Hassen unter Brüdern oder auch unter Schwestern bleiben. Bis heute ist die Menschheitsgeschichte voll von Missgunst, Neid und Zorn unter den engsten Verwandten — und ich befürchte, dass die meisten von uns das auch schon in der eigenen Verwandtschaft erleben mussten, vielleicht sogar bei sich selbst.
Doch das ist nicht das Einzige und auch nicht das Entscheidende, was uns die Geschichte um Kain und Abel vor Augen führt. Für uns viel bedeutender ist die Rolle Gottes in dieser Geschichte; denn wir würden in unserem Zorn verbittern, Gott aber kann davon befreien. Es hat schon etwas von einem Seelsorgegespräch, das Gott da mit Kain führt. Denn vier Mal spricht Gott zu Kain und immer geht es Ihm darum, dass Kain umkehrt von seinem Zorn und von seiner Schuld.

1. Gott warnt Kain

Es beginnt damit, dass Gott den Zorn Kains sieht. Es heißt, dass Kain finster zu Boden blickt. Gott spricht ihn darauf an: „Warum bist du so zornig, warum blickst du zu Boden?“ Gott macht ihm damit ein Angebot. Kain hätte sich an dieser Stelle den Frust von der Seele reden können, er hätte die ganze angestaute Wut rauslassen können, er hätte Gott sogar Vorwürfe machen können — Gott hätte es ausgehalten und dann liebevoll erklärt, wie es dazu kam, dass Er das Opfer von Abel gut fand, das von Kain aber nicht. Es wäre ein Neuanfang gewesen, Missverständnisse hätten ausgeräumt werden können. — Aber wir merken es an dem vielen „Hätte“ und „Wäre“: Kain lässt diese Möglichkeit verstreichen. Er ist zu stolz, um sich Gott zu öffnen.
So muss Gott ihm selbst die Antwort geben. Er konfrontiert Kain mit dessen Zorn und warnt ihn: „Du darfst der Sünde nicht nachgeben!“ Gott möchte nicht, dass Kain sich zu etwas hinreißen lässt, zu dem ihn seine Emotionen treiben.
Die Worte Gottes mögen Kain noch einmal hin- und hergerissen haben, doch am Ende laufen sie ins Leere.
Wie ist das bei uns, wenn uns jemand mit unserer Wut konfrontiert? Wie reagieren wir, wenn uns jemand davor warnt etwas dummes zu tun? Können wir über unseren Schatten springen und den Worten des anderen Bedeutung schenken? Oder bleiben wir lieber in unserem Stolz und in unserer Selbstgerechtigkeit gefangen?
Gott weiß um unsere Emotionen. Er lässt sie zu. Er gesteht es uns sogar zu, dass wir auch mal schlechte Emotionen empfinden, dass wir zornig und wütend werden. Aber Er wirbt um uns und lädt uns ein, die Wut bei Ihm abzugeben. Das ist allemal besser, als sich der Sünde hinzugeben.

2. Gott ermöglicht Kain Reue

Kain nimmt die Möglichkeit, die Gott ihm bietet, nicht an. Er schlägt Gottes Angebot in den Wind und wird von der Sünde beherrscht. Er lässt seinen Zorn zur Tat auswachsen. Er befeuert sie sogar selbst, indem er nicht erst auf eine Gelegenheit wartet, sondern die Gelegenheit selber schafft. Er lockt seinen Bruder aufs Feld, wo sie ganz alleine sind und bringt ihn dort um. Sein Zorn hatte gesiegt.
Was macht nun Gott, der das alles mit angesehen hat, vor dem nichts verborgen ist? Er gibt Kain eine zweite Chance! Mit seiner Frage „Wo ist dein Bruder Abel?“, will Gott Kain veranlassen, seine Schuld zu bekennen. Gott eröffnet Kain die Möglichkeit, seine Tat zu bereuen und Buße zu tun. Ich bin mir sicher, dass Gott eine Möglichkeit der Vergebung gefunden hätte, so wie er es in den Jahrtausenden immer wieder getan hat. Doch Kain kehrt nicht um, im Gegenteil, er lügt Gott an und verhöhnt Ihn sogar: „Woher soll ich denn wissen, wo mein Bruder ist? Bin ich denn dazu da, auf ihn aufzupassen?“
Wie reagieren wir, wenn uns jemand mit unserer Schuld konfrontiert — oder uns offensichtlich die Möglichkeit gibt, sie selbst einzugestehen? Gehen wir darauf ein? Überwinden wir unseren Stolz und bereuen, was wir getan haben? Oder verstricken wir uns wie Kain in Lügen und Arroganz?
Bei Gott dürfen wir wissen: Wenn Er mit uns über unsere Schuld reden will, dann weil Er sie uns vergeben möchte. Es geht Ihm nicht um eine möglichst harte Bestrafung, sondern es geht Gott um Vergebung, um die Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen Ihm und uns. Deswegen hatte die Beichte für viele bedeutende Theologen wie Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer einen so hohen Stellenwert; und deswegen sprechen wir häufig in unseren Gottesdiensten ein Schuldbekenntnis: Weil Gott uns vergeben möchte, weil Er ausräumen möchte, was uns von Ihm trennt — und auch, was uns Menschen untereinander trennt.
Wie reagieren wir also, wenn Gott uns auf unsere Schuld anspricht, so wie er Kain fragt: „Wo ist dein Bruder Abel?“ — Als ob Gott nicht wüsste, wo Abel ist und was Kain mit ihm getan hat. Natürlich weiß Er es längst. Aber er bietet Kain die Möglichkeit, es selbst zu bekennen. — Kain lässt diese Möglichkeit verstreichen.

3. Gott bestraft Kain

So bleibt Gott nichts anderes, als Kain zu bestrafen. Entsprechend seiner schlimmen Tat fällt auch das Urteil sehr hart aus. Kain wird heimatlos, nicht nur was seinen Wohnort betrifft, sondern er verliert auch seine Heimat bei Gott. Wer in Schuld und Sünde lebt und nicht von diesem Weg umkehrt, der trennt sich selbst von Gott. Gott lieben zu wollen, während man gleichzeitig seinen Bruder hasst, geht nicht zusammen, lesen wir auch im 1. Johannesbrief (1Joh 4,20) und haben wir ja vorhin im Wochenlied gesungen.
So wie Adam und Eva aus Gottes Gegenwart im Garten Eden gehen mussten, so muss nun Kain aus Gottes Gegenwart gehen. Und dabei schwingt selbst in diesem Urteil noch die Hoffnung Gottes mit, dass Kain seine Tat endlich bereut, dass er umkehrt, jetzt wo ihm auch die Konsequenzen deutlich vor Augen geführt werden.

4. Gott schützt Kain

Und tatsächlich versteht Kain endlich, was sein Handeln bedeutet und er ruft und fleht zu Gott, dass er diese Strafe abmildern möge, doch fehlt ihm die Reue. — Es ist bemerkenswert, dass Gott sich nicht einfach schweigend zurückzieht, so wie es Kain zu Beginn gemacht hatte. Er hätte alles Recht dazu gehabt. Nein, Er hört zu. Egal, wie weit sich ein Mensch auch von Gott entfernt und wie tief die Schuld auch sein mag, in die er fällt, er bleibt immer noch in Hörweite zu seinem Schöpfer. Gott hört auch noch den verfluchten Kain, und er geht auf sein Klagegeschrei ein. Er schützt ihn, dass ihm nicht das widerfährt, was er selbst seinem Bruder angetan hat.
Es scheint an dieser Stelle kaum noch Hoffnung auf eine Umkehr Kains zu geben und dennoch ist Gott barmherzig. Er hält an diesem kleinen Rest Hoffnung fest, dass Kain eines Tages umkehren möge, seine Tat bereut und wieder bei Gott seine Heimat findet.
An dieser Hoffnung hält Gott für jeden Menschen fest, auch für unseren Täufling, von dem wir noch nicht wissen, wo seine Lebensreise hingeht. Jeder Mensch ist eingeladen umzukehren, sich seine Schuld von Gott vergeben zu lassen und bei Ihm wieder die Heimat zu finden, in die wir gehören und auf die wir hinleben.
Gott selbst hat den Weg zu sich wieder frei gemacht. Im Hebräerbrief heißt es, dass das Blut, das Jesus Christus am Kreuz für uns vergossen hat lauter und machtvoller redet als das Blut Abels; dass also der Ruf und das Angebot der Vergebung Gottes viel mehr Kraft hat als der Ruf der Vergeltung. Es gibt nichts, was Gott nicht vergeben könnte. Und es gibt nichts, was Gott nicht vergeben möchte. Unter dem Kreuz Jesu gibt es kein unstetes und flüchtiges Leben mehr, kein Leben, das sich „draußen“ und „entfernt von Gott“ abspielen muss, sondern durch das Kreuz zeigt Jesus uns wieder den Weg zum Vater, den Weg zurück in die Heimat, den Weg zurück in Gottes Gegenwart.
Gott spricht uns immer und immer wieder an. Es ist an uns, Ihm zu antworten und Ihm unsere Gedanken, unsere Worte, unser Handlungen, unsere Gewohnheiten, unseren Charakter, unser Schicksal anzuvertrauen.
Amen.
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