Zukunft gestalten oder Vergangenheit retten?

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Gen. 12
Abram in dem Land: Gottesdienst, Gemeinschaft und Verheißung
In der Versuchung versagt Abram, er verlässt die Stätte des Segens
Rückkehr Abrams
13
Die Scheidung Abrams von Lot
Der erste Schritt Lots zum Abfall
Der zweite Schritt Lots zum Abfall
Unter dem Bündnis mit Abram ist das Land gegeben; eine natürliche Nachkommenschaft verheißen (V. 16)
Abram befreit Lot
(siehe 1Mo 13,12; 19,1.33)
(siehe 1Mo 13.10; 19,1.33)
14
Gott offenbart sich als El Elyon (V. 18)
Der Bund mit Abram bestätigt: eine geistliche Nachkommenschaft verheißen (V. 5)
15
Die Gefangenschaft Israels von Gott vorausgesagt
Die Grenzen des Landes
Sarais Plan versagt
16
Offenbarung Gottes als El Shaddai, Allmächtiger Gott
17
Abram wird Abraham
Der Bund mit Abraham nochmals bestätigt und als ewig erklärt
Die Beschneidung wird eingeführt als Zeichen des Bundes mit Abraham
Die Verheißung betr. Isaak, durch den die Linie Christi geht
Ismael wird eine Nation werden
Abraham, "der Freund Gottes"
(vgl. Joh 3,29; 15,13-15)
18
Abrahams Fürbitte
Der dritte Schritt Lots zum Abfall: ein großer Mann in Sodom
(V. 1; vgl. 1Mo 13,10.12; 19,33)
19
Zerstörung Sodoms
Der letzte Schritt Lots zum Abfall
Abrahams Fehltritt zu Gerar
(vgl. 1Mo 13,10.12; 19,1; vgl. Lk 22,31-62)
(vgl. 1Mo 26,6-32)
20
Die Geburt des Isaak
21
Die Magd und ihr Sohn ausgetrieben
Abraham zu Beerscheba
Die Opferung Isaaks
(Gal 4,21-31)
(Hebr 11,17-19)
22
Der Bund mit Abraham noch einmal bestätigt
Tod und Begräbnis von Sara

2. Abimelechs Bund mit Abraham. Gen 21, 22–34

Abraham zieht um nach
Wenn Gott mit uns ist und wir mit Gott sind, so ist das immer eine Erscheinung, die von dem gewöhnlichen Lauf der Welt abweicht. Es war einst auch dem Philisterkönig Abimelech zu Gerar nicht entgangen, dass Gott mit Abraham war.

„Es war in dieser Zeit, da sprach Abimelech und sein Feldherr Pichol zu Abraham: Elohim ist mit dir in allem, was du tust!“

Seit dem Tage der ersten Begegnung mit Abraham hatte der Philisterfürst Gelegenheit gehabt, das Leben dieses Fremdlings zu beobachten, dessen Verhalten im Verkehr zu prüfen, dessen Zurückgezogenheit und separierte Stellung zu verfolgen und dessen Segnungen zu sehen, von denen Abrahams Zelte und Herden begleitet waren. Diese Beobachtung hatte auf ihn einen mächtigen Eindruck gemacht. Sie ließ in ihm die Gewissheit ausreifen: „Elohim ist mit dir in allem, was du tust!“
Es konnte ja auch nicht anders sein. Denn bei einem wahren Gottespropheten spricht ja nicht allein der Altar, den er seinem Gott erbaut, nicht allein sein Separatismus, in dem er in der Welt lebt, da spricht alles: sein Familienleben und seine Zelte, sein Segen und seine Herden, seine Zurückgezogenheit und sein Verkehr - alles spricht von einem Umgang mit dem Gott, der sich ihm durch Offenbarung erschlossen hat. Wie bald war es einem Abimelech klar geworden, dass sein erstes Erlebnis mit Abraham zwar aus einer Schwachheit, aber nicht aus einem innerlichen Zustand dieses Fremdlings geflossen war. Denn je länger er mit Abraham zusammen war, so stark sie sich rein nachbarlich mit ihren Herden und Interessen auch berührt hatten, desto mehr waren sein Vertrauen und seine innerliche Hochachtung gewachsen. Abraham war ihm hinfort das Bild eines Gesegneten Gottes.
Mit dieser Überzeugung kam er eines Tages in Begleitung seines Feldherrn Pichol zu Abraham und teilte ihm offen seine gewonnenen Eindrücke mit. Darnach sprach er:
„Und nun schwöre mir bei Elohim, dass du mir, meinen Nachkommen und meinem Enkel nicht falsch werden wolltest; wie die Güte, die ich an dir geübt, wollest du an mir und an dem Lande üben, in welchem du geweilt“.
Diese Bitte war vom rein menschlichen Standpunkte aus eigentlich etwas Unerhörtes. So sehr Abraham auch an Knechten und Mägden, an Zelten und Herden von Gott gesegnet worden war, wie machtlos und klein war er jedoch andrerseits im Vergleich zu dem Philisterfürsten Abimelech. Bei Abraham verriet nichts das Vorhandensein einer äußeren Macht oder versteckte Leidenschaft nach dem Heldenhaften. Hirsch nimmt daher in seinem Kommentar an, dass Abimelech offenbar eine Zukunft von Abrahams Nachkommen [211] vorschwebte, „in welcher diese als Volk seinem Volke freundlich oder feindlich gegenüberstehen können - kurz, es lässt sich dies alles gar nicht anders denken als unter der Voraussetzung, Abimelech habe eine Kunde von den abrahamitischen Verheißungen und Erwartungen gehabt und wollte für diese Zukunft auf Grund der Verpflichtung, die der Stammvater gegen ihn hatte, sich und seinem Lande die Gunst dieses einstigen Volkes sichern“.
Oder sollte so ein Leben mit Gott, wie Abimelech es bei Abraham gesehen, ohne eine Zukunft sein? War es denkbar, mit dem Gott der Ewigkeiten im Umgang zu stehen, ohne etwas von dessen Ewigkeit in die Geschichte der Zeit zu tragen? Sollte das Programm der Gottesoffenbarung sich mit dem Leben eines Mannes erschöpft haben und nicht in dessen Nachkommen eine Fortsetzung erleben? Überlieferte Kunde sowie persönliche Beobachtung mussten mithin in Abimelech und in seinem Feldherrn die Überzeugung wecken: solch einem Leben gehört die Zukunft!
Rein äußerlich und vom Standpunkte der Geschichte anderer Völker aus sprach zwar vieles dagegen. Abraham selbst war ein Greis geworden, Ismael, der manches Heldenhafte und Mutige in sich trug, das für das Entstehen eines mächtigen Volkes Bedeutung haben konnte, war mit seiner Mutter aus dem Verbände der abrahamitischen Zelte ausgewiesen worden. Isaak, den Einzigen, hatte man erst eben von der Brust seiner Mutter entwöhnt. Er war ein zarter Knabe, der in sich nichts Heroisches und Weltüberwindendes verriet. „Das künftige Volk wird noch in der Wiege geschaukelt, und schon sieht Abraham eine Verwirklichung der Verheißung. An Isaaks Wiege schon war der Landesfürst herangetreten, um in der Erwartung der künftigen Volksgröße ein Bündnis für die spätere Zukunft zu erlangen - da tritt Gott an Abraham hinan und spricht: Opfere mir diesen einzigen Sohn und mit ihm die ganze Zukunft.“ Was war auf solch einer Grundlage aus der Glaubensfamilie Abrahams heraus für eine kommende Volksgröße zu erwarten? War es nicht auch wieder eine „Lächerlichkeit“, mit diesem noch ganz fraglichen Volksgebilde der Familie Abrahams schon für Generationen im Voraus einen Bund der Freundschaft und des Friedens zu schließen?
Diese Erwägungen bewiesen nur, welch einen tiefen Eindruck Abimelech von dem Leben Abrahams erhalten haben musste. Hier liegt eine Zukunft - das stand ihm fest. Sein Wunsch war nun, dass diese Zukunft für die seiner eigenen Geschlechter nicht zu einer Gefahr werden möchte. Daher seine Bitte um ein Bündnis. Für Abraham [213] selbst war jedoch das ganze Erlebnis eine seltene Glaubensstärkung. So klein und unscheinbar zunächst die vorhandenen Anfänge der Erfüllung der verheißenen Zukunft an sich auch waren, sie wurden jedoch aufs höchste von dem Philisterfürsten gewertet. Daher zögerte Abraham auch keinen Augenblick und antwortete: „Ich schwöre!“
Denn auch für Abraham lag die Berufung und Weltmission nicht in einer Bekämpfung der Völker, sondern im Segnen der Völker. Er wusste sich als Gottes Prophet berufen, als Gesegneter zu segnen, als Erleuchteter zu dolmetschen, als Begnadeter priesterlich zu dienen. Wenn nun durch seinen Schwur für Generationen der Friede zwischen den Geschlechtern Abimelechs und seinen eigenen Nachkommen gesichert werden konnte, so lag das ganz in seiner prophetischen Mission, zu der er sich berufen wusste.
Während des Bundesschlusses wurde auch eine Begebenheit besprochen, die das Verhältnis Abrahams zu Abimelech etwas getrübt hatte. Abimelechs Hirten hatten ohne Wissen ihres Fürsten Abraham einen Brunnen geraubt. Als Abraham [214] die Angelegenheit berührte» sprach Abimelech: „Ich habe nicht gewusst, wer dieses getan, auch du hast es mir nicht gesagt, und ich habe es auch heute erst vernomme“.
Da erkannte Abraham, dass Abimelech an der Sache völlig unbeteiligt war. Daher erfüllte er gleich die damals übliche Form des Bundesschlusses und gab Abimelech die Zahl von Schafen und Rindern, die zur Errichtung des Bundes erforderlich waren. Und man nannte den Ort hinfort zur Erinnerung an den soeben vollzogenen weihevollen Akt: „Beer-Schewa“, d. h. Schwurbrunnen.
Nachdem nun Abimelech mit seinem Feldherrn Pichol heimgekehrt war, schuf Abraham noch eine Urkunde von dem augenblicklichen Erlebnis für die kommenden Geschlechter. Er pflanzte in Beer-Schewa einen Baum „und verkündete dort im Namen Jahves El Olam“, d. h. den Gott der Ewigkeit oder der Zukunft. Denn auf Grund der ganzen Verhandlung mit Abimelech und dessen Verlangen, einen dauernden Friedensbund mit ihm zu schließen, hatte Abraham eine neue, tiefe Erkenntnis von Gott empfangen. Nie vorher war es ihm so zum Bewusstsein gekommen wie bei dieser Begegnung mit Abimelech, dass der Gott, der ihn aus Haran gerufen, ihn in Kanaan so gesegnet, ihm den Isaak geschenkt hatte, auch ein Gott der Zukunft sei. Hatte er in all seinen bisherigen Lebensführungen erkannt, dass Gott die Garantie für die Erfüllung der ihm gewordenen Verheißungen geworden war, so ging ihm jetzt die Erkenntnis auf, dass Gott dieselbe Garantie auch für die Zukunft sein wolle, so oft und so stark auch die Welt die Verwirklichung der einzelnen Verheißungen würde zu verhindern suchen.
Es gehört wiederum zur Eigenart des Glaubens, dass ihm jedes tiefere Erlebnis im Laufe der Geschichte zu einer tieferen Erkenntnis Gottes wird. Ein Glaube, der wächst, gelangt von Klarheit zu Klarheit. Ja, wahrer Glaube muss wachsen, nicht, weil er die Kraft in sich trägt, sondern weil er durch Gottes fortschreitende Offenbarung neue Klarheit, neuen Weitblick und neue Zuversicht erhält. War der Gott der wunderbaren Vergangenheit auch der Gott der Zukunft, wie musste dann das Vertrauen Abrahams zu der Gewissheit werden, dass dieser Gott groß genug sei, auch in den kommenden Zeiten das zu erfüllen, was Er ihm verheißen hatte. Daher verkündete Abraham hinfort Jahve auch als El Olam, als den Gott der Zukunft.
Diese gewonnene Gotteserkenntnis war für die nächstliegenden Glaubenserlebnisse Abrahams von entscheidendster Bedeutung. Abraham sollte in den nächsten Zeiten Glaubenswege gehen, die er ohne eine solche Erkenntnis Gottes nie hätte gehen können. So zeigte sich auch hier wieder, wie der Herr nie vom Glauben einen Weg oder ein Opfer verlangt, wozu ihm nicht vorher die Kraft geworden wäre. Gottes Aufträge sollen den Menschen nicht drücken und unglücklich machen, sondern ihm Gelegenheit geben, jene höheren Kräfte im Leben zu betätigen, die ihm zugleich mit der göttlichen Offenbarung wurden. Bevor Jesus von Martha erwartete, dass sie Ihm vertraue, wenn es sich darum handeln würde, den verstorbenen Lazarus aus dem Grabe zu führen, hatte Er zu ihr gesprochen:
„Ich bin die Auferstehung und das Leben“.
Das unterscheidet das Evangelium Gottes jedesmal vom Gesetz und von gesetzlicher Frömmigkeit, dass es erst segnet und dann segnen heißt, erst inspiriert und dann den Auftrag gibt, ein Bote Gottes ans Volk zu sein, erst erleuchtet und dann Wege des Glaubens gehen heißt, erst höhere Kräfte mitteilt und alsdann erwartet, Handlungen zu vollbringen, die außerhalb des gewöhnlichen Könnens des Menschen liegen.
In den ersten Zeiten seines Glaubenslebens kannte Abraham den Herrn nur als „Jahve“, als den Gott, der da ist, was Er ist oder der da sein wird, der Er sein will. Durch Ihn sah er sich berufen, durch Ihn wusste er sich ins Land Kanaan geführt, durch Ihn wurde er aus der Gefahr in Ägypten gerettet, durch dessen sichtbaren Segen vermehrten sich seine Zelte und Herden. Daher baute er Ihm von Fall zu Fall einen neuen Altar und verkündete ihn als den, der da hält, was er verspricht. In Jahve hatte Abraham im Gegensatz zu den polytheistischen Völkern seiner Zeit einen lebendigen und gegenwärtigen Gott gefunden, der nicht fernab vom Menschen und dessen Schicksal lebt, sondern bei denen wohnt, die zerschlagenen Herzens und gedemütigten Geistes sind. Gottes Offenbarung hatte ihn hineingezogen in Gottes Gemeinschaft und seinem Leben den Stempel der göttlichen Berufung und Erwählung gegeben. Kein Heiligtum und keine Kultusstätte seiner Zeit hätten seiner Seele das erschließen und seinem Leben jene Wendung und Bestimmung geben können, was ihm durch Gottes Offenbarung gegeben wurde. Und weil Abraham so Unendliches von Jahve erschlossen wurde, daher hatte er seiner Zeit auch so viel von Ihm zu sagen.
Nach dem Sieg mit Kedor-Laomer hatte [218] Abraham eine Begegnung mit Malki-Zedek, dem König von Salem. Bei der Gelegenheit lernte er Jahve verstehen als den „El Eljon“, als den allerhöchsten Gott. Diesem Gott war das Leben Malki-Zedeks als Priester geweiht. Abraham erkannte, wo der Allerhöchste zu gebieten und das Leben zu bestimmen hat, da wird gegenwärtig schon die Stätte zu einem Bereich des Friedens und zu einer Wohnung des Heils, und das Leben des Menschen zu einem Dienst der Gerechtigkeit und der Versöhnung. Malki-Zedek konnte als König der Gerechtigkeit nur Herr einer Friedensstadt und Priester des Allerhöchsten sein. Von ihm sah sich nun Abraham ebenfalls demselben Allerhöchsten und für dieselben Aufgaben auf Erden geweiht. Denn Malki-Zedek segnete Abraham und sprach:
„Gesegnet sei Abraham dem El, Eljon, dem Eigner von Himmel und gesegnet sei El Eljon, der deine Feinde in deine Hand gegeben!“
Als später Abraham vom Herrn die Zusicherung empfing:
„Ich bin dir Schild, dein Lohn ist ungemessen!“
da hatte er die Freimütigkeit gewonnen und gefragt: Was willst du mir, Herr, noch geben? Ich gehe kinderlos dahin! Bei der Gelegenheit verhieß der Herr dem Abraham einen Erben [219] von seinem eigenen Samen und erschloss ihm, dass die Geschlechter seines Samens in Zukunft das verheißene Land in Besitz nehmen sollten. Als aber nach dieser Verheißung dem Abraham der Erbe trotzdem nicht geboren wurde, nahm er auf den Rat seines Weibes seine Zuflucht zur Hagar. Sie gebar ihm den Ismael. Dreizehn Jahre nach der Geburt dieses Knaben, in dem Abraham die Erfüllungen seiner Hoffnungen sah, wurde der Herr ihm wieder sichtbar und sagte ihm:
„Ich bin El Schaddai, führe dich vor meinem Angesichte und werde vollendet“.
Nun lernte Abraham Jahve verstehen als „den Allgenugsamen“ und „Allvermögenden“. Er musste erkennen, dass nicht Ismael bereits die Erfüllung der gegebenen Verheißung sei, sondern dass dieser Same zunächst noch ausstehe und allein von Jahve als dem Allvermögenden gegeben werden könne.
Als dann später Abraham eines Tages um die Mittagszeit vor der Tür seines Zeltes unter den schattigen Bäumen Mamres saß, sah er drei Männer vorübergehen. Er lief ihnen entgegen und erkannte in dem einen „Adonai“, d. h. seinen Herrn, von dem er sich bisher so wunderbar geführt und gesegnet sah. Und indem er sich diesem seinem Herrn zur Verfügung stellte, wurde er von demselben in dessen tiefstes [220] Vertrauen hineingezogen. Abraham erhielt Kunde von dem bevorstehenden Untergang Sodoms und Gomorras. Die Frucht dieser Begegnung und Offenbarung war, dass Abraham zu jenem Priester wurde, der über die Rettung Sodoms mit Gott redete, bevor Sodom selbst auch nur eine Ahnung von dem bevorstehenden Gerichte hatte.
Was will uns jedoch dieser kurze Rückblick in Verbindung mit der letzten gewonnenen Gotteserkenntnis Abrahams sagen? Doch nichts Geringeres, als das Abrahams Erkenntnis nur gewonnen werden konnte auf Grund ganz bestimmter Gottesoffenbarungen in seinem Leben. Abrahams immer reicher werdendes Gottesbild war nicht die Frucht der Spekulationen und Meditationen seines Geistes, sondern der geistige Niederschlag empfangener Offenbarungen in seiner erschlossenen Seele. Er erlebte Gott, daher schaute er Ihn in der Mannigfaltigkeit seiner Größe und Majestät, seines Heils und Könnens. Nur das gab Abrahams Leben immer wieder neue Vollmachten, dauernd Neues von Gott zu verkündigen, dass er dauernd neu Gott erlebte und mit neuen Herrlichkeiten seines Wesens vertraut wurde. So war es ihm möglich, angesichts auch all der bestehenden Rätsel in der Welt, Ihn doch als El Olam, als העולמ מלך d. h. als den Regierer und Lenker aller Geschicke und Kräfte im Leben des einzelnen und der Völker auch im Blick auf die zu künftigen Zeiten zu verkündigen, Abraham gewann daher mit jeder neuen Gotteserkenntnis einen neuen unerschütterlichen Felsen mitten im Gewoge der Zeit und gelangte in der Flut der sich bekämpfenden Ereignisse je länger, desto mehr in Gott selbst zur Ruhe. Das machte ihn in seiner Weltanschauung und Botschaft, in seinen Entschlüssen und Handlungen unabhängig von der Welt und band ihn dauernd an Gottes inspirierende Offenbarung.

3. Der Opferweg nach Morija. Gen 22, 1–19

Morijawege sind die Opferwege des Glaubens. Sie können in die allertiefsten und schwersten Seelenkonflikte führen. Erst unlängst hatte Abraham Gott als El Olam erkannt. In der ganzen Art, wie der Philisterfürst Abimelech einen Bundesschluss mit ihm gesucht hatte, war ihm die Offenbarung geworden, dass der Gott, durch den er sich einst berufen sah und durch den er bisher so sichtlich gesegnet und geleitet worden war, auch der Gott der Zukunft sei.
Zwar war diese Zukunft zunächst an ein erst eben entwöhntes Kind gebunden. Alle Hoffnung war auf Isaak gesetzt. Denn Ismael, der Sohn der Magd, war mit Hagar, seiner Mutter, aus den Zelten Abrahams entlassen worden. Er kam auch für Abraham im Blick für die Zukunft und die Berufung, die Gott in Abrahams Leben gelegt hatte, nicht mehr in Frage.

„Da nach diesen Ereignissen, hat Elohim Abraham geprüft und sprach zu ihm: Abraham! und er sprach: Hier bin ich! Da sprach er: Nimm doch deinen Sohn, deinen einzigen, den du liebst, den Jischak, und gehe für dich (allein) zum Lande Morija, und bringe ihn dort zum Opfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“

Nun stand vor der Seele Abrahams Offenbarung gegen Offenbarung. Alles, was Gott bisher mit Abraham erreicht hatte, alles, worauf die Hoffnungen Abrahams sich bisher zu stützen vermochten, schien mit diesen Worten seines Gottes umgeworfen zu werden. Wort Gottes stand gegen Wort Gottes, eine Offenbarung hob die andere auf. Das musste - und muss auch heute noch - eine auf Gottes Offenbarung eingestellte Seele in die allertiefsten innerlichen Konflikte führen. Vor den Glaubensblicken Abrahams lag eine Nacht, wie sie nicht dunkler sein konnte. Der Empfangene und Einzige, Isaak, sollte geopfert werden. Abraham sah sich trotz all der ihm gewordenen Verheißungen wieder allein stehen, wie er allein war, als er sich in Haran von Gott berufen sah. Lech-l‘cha hatte Gott damals am Anfang seines Glaubenslebens zu ihm gesprochen. Er sprach es wieder, wo Abraham am Ende seines Lebens stand. Ja, wie unverständlich und voller Konflikte und Rätsel kann das Leben werden, das zwischen diesem Anfang und diesem Ende liegt!
Aber Offenbarung hebt Offenbarung niemals auf. Hat es zunächst auch den Anschein, erblickt der Glaube zunächst auch keine Lösung, sie folgt umso herrlicher und überwältigender, je unlösbarer die Situation zu sein scheint. Auch für Abraham kam die Lösung, wenn auch erst am Ende des schweren Opferweges. Der Glaube musste auch diesen Weg gehen, ohne zu sehen und ohne zu wissen, wie derselbe enden würde. Erst als er ihn ging, wurde er schließlich licht und endete mit Herrlichkeit. Erst mussten - in weit späteren Zeiten - die Priester im Glauben mit der Bundeslade in den Jordan treten, bevor die Fluten standen und Israel trockenen Weges in sein Erbe einziehen konnte. Denn nicht, was der Glaube sieht, sondern das Wort, das ihn inspiriert, ist das Geheimnis seiner Kraft. Daher kann er handeln, ohne zu sehen und erlebt er Gottes Herrlichkeit, indem er handelt. Denn es ist die die Kraft Gottes, die durch ihn handelt. Aber er weiß nie vorher, wie und wann diese Herrlichkeit Gottes zum Durchbruch kommen wird. Das einzige, das ihn trägt und Kraft zum Handeln zu geben vermag, ist Gottes Auftrag: Lech-l‘cha, gehe für dich allein ins Land Morija, und bringe ihn dort zum Opfer!“
Gewiss war es einst schwer, das Vaterland mit seiner reichen Vergangenheit, die Freundschaft mit all ihren Verbindlichkeiten und das Vaterhaus mit all seiner Tradition und Familiensitte zu verlassen. Gewiss war es schwer, sich eines Tages von dem einzigen Neffen, von Lot, zu lösen, der den Mut aufgebracht hatte, mit Abraham den Weg des Glaubens zu gehen und die ungewisse Zukunft mit ihm zu teilen. Gewiss war es schwer, Ismael mit seiner Mutter für immer zu entlassen und aus dem Familienverbande auszuscheiden. War er doch immer Abrahams Sohn, wenn auch von einer Ägypterin geboren. Jedoch unendlich schwerer war der Weg nach Morija, auf dem Abraham von Isaak, der höchsten und letzten Frucht und Hoffnung seines Lebens, gelöst werden sollte.
Nun wird verständlich, welch eine entscheidende Bedeutung es für Abraham haben musste, dass er vorher Gott als El Olam, als den Gott auch der ferneren Zukunft erkannt hatte. Ohne diese Erkenntnis Gottes wäre er vielleicht nie zu dem Gehorsam für den Opferweg des Glaubens fähig gewesen. Zur höchsten Tat des Gehorsams ist der Glaube erst immer nach vorhergegangener höchster Erkenntnis fähig. An eine Zukunft seiner Berufung zu glauben, wenn ihm alle greifbaren Stützpunkte und Mittel für dieselbe genommen werden, vermag er nur, wenn er den Gott der Zukunft erkannt hat. Denn Gottes Zukunft ist nicht gebunden an das, was Er gab, sondern was Er geben wird, nicht an das, was [226] Er schuf, sondern was Er schaffen wird. Opfert in Gottes Auftrag der Glaube Gegenwärtiges, dann liegt für ihn hinter diesem Opfer um so gewisser die Auferstehung mit ihrer Zukunft.
Und Gott gegenüber muss alles zum Opfer werden, auch das Liebste. Nicht in Isaak, in El Olam sollte Abraham auch im Blick auf die Zukunft völlig zur Ruhe kommen. Nicht an eine gegenwärtige Gabe, an Gottes ewiges Wirken sollten sich Abrahams Hoffnungen binden. Soll bereits Gegenwärtiges und Empfangenes nicht mit der Gegenwart untergehen, dann muss es vom Glauben aus der Zeitlichkeit herausgehoben und der Ewigkeit als ein Opfer dargebracht werden. In dem jüdischen Begriff ולה?, Opfer drückt sich der wunderbare Gedanke aus, dass das Irdische, Materielle, als Opfer von dem Opfernden aus seiner Niedrigkeit herausgehoben und zu Gott hin erhoben wird. Es ist das Opfern, das Hinwegheben des Opfers aus „den irdischen Existenzen und die Hingebung an eine höhere Bestimmung“. Sollte Gottes Zukunft auch Isaaks Zukunft werden, dann musste Isaak in dieser „Erhebung“ zu Gott hin vor Abraham stehen. Denn nicht Abrahams, sondern Gottes Anspruch auf Isaak konnte diesem eine Zukunft geben. Wohl empfängt der Glaube die Gabe als ein göttliches Geschenk, jedoch allein zu dem Zweck, damit sie zur rechten Stunde wieder ein Opfer für Gott werde. Denn selbst ein Isaak bleibt für die Welt ohne jede Bedeutung und vergeht mit den vergänglichen Zelten Abrahams, wenn sein Leben nicht als ein vom Glauben dargebrachtes Opfer dauernd zu einer wirkliehen Erhebung zu Gott hin wird.
Dass das Opfer für Abraham nur eine Prüfung sein sollte, wusste wohl Abraham zu nächst nicht. Für ihn bedeutete es völlige Abgabe, Hingabe an Gott für einen ihm verhüllt gebliebenen Zweck. Nur jene Gewissheit konnte offenbar in etwas die schweren Konflikte und inneren Spannungen seiner Seele zur Ruhe bringen, dass Gott als El Olam ihm den Geopferten auch aus den Toten wieder geben könne. Abraham sprach daher auch nicht von dem, was in seiner Seele vorging.
„Da erhob sich Abraham früh am Morgen und sattelte seinen Esel und nahm seine beiden Leute mit sich, und Jischak, seinen Sohn. Darauf spaltete er Opferholz, machte sich auf und ging dem Orte zu, welchen ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage, als Abraham seine Augen aufhob, sah er den Ort von ferne.“
Es gibt Wege und Kämpfe der Seele, die der Glaube in ihrer ganzen Schwere nur allein auszukosten vermag. Jedes Sprechen darüber würde die an sich fast unerträgliche Last nur noch vermehren. Und wollte der Glaube sprechen, so fände er doch kein Verständnis für seinen Morijaweg. Nicht Sarah, auch nicht die ihn begleitenden Knechte konnten Verständnis für den Auftrag haben, der auf Abrahams Seele brannte. Sie hatten nicht Gottes zweites Lech-l‘cha an Abraham vernommen, daher konnten sie auch nicht seinen Opferweg mit ihm teilen. Morijawege sind einsame Wege. Als der Eine ihn ging, der in seiner Person der Opfernde und das Opfer zu gleich war, da verließen ihn auch seine treuesten Jünger.
Als Abraham erst Morija sah, da sprach er zu seinen Leuten: „Bleibet ihr hier bei dem Esel, ich und der Knabe, wir wollen etwa bis dahin gehen wir beten dort an und kehren dann zu euch zurück!
Nach Morija selbst kann der Glaube mit seinem Opfer nur allein gehen. Am Fuße des Morija scheiden sich die Wege zwischen dem Opfernden, hinter dem ein höherer Auftrag steht, und den Knechten, die nur mitfolgen. „Nur eine Brust, in welcher die תורה (- das Gesetz), das הנני Siehe, hier bin ich!) geweckt hat“, vermag auch den letzten und schwersten Schritt des Glaubens und der Hingabe an Gott zu tun: im Opfern die Anbetung zu finden! Denn wir wollen uns dort nur „bücken“, beugen, anbeten, hatte Abraham zu seinen Knechten [229] gesagt und damit ausgesprochen, was er in diesem Opfer sah. Der Opfernde sah sich mit seinem Opfer als eine Einheit an, Abraham spricht seine Absicht zu opfern mit dem Begriff ישתחוה, niederbücken aus und nennt das „Anbetung“. Denn nicht das Opfer, „sich opfert er, sein Leben, seine Kraft, sein Auge, seine Brust, seine Hand, seinen Fuß, sein ganzes lebendiges Wesen legt er im Opfer auf Gottes Altar, sich wirft er ganz vor Gott hin als ein Opfer. Nur ein Bileam lässt einen Balak (הִתְיַצֵּב֮ עַל־עֹלָתֶךָ֒), aufrecht stehen neben seinem Opfer; denn sein Opfer ist keine sittliche Vollbringung am Menschen“, keine Sprache der Hingabe der Seele des Opfernden, sondern der menschliche Versuch, durch ein geschlachtetes Mahl die Gottheit in ihren Entschlüssen und Handlungen magisch zu bestimmen.
So war Abraham mit Isaak zuletzt ganz allein geblieben. Als „beide so zusammen gingen“, da fragte Isaak plötzlich:
„Wo ist das Lamm zum Brandopfer? Da sprach Abraham: Elohim wird sich das Lamm zum Opfer ersehen, mein Sohn!“
Opferwege des Glaubens lösen sich auch dem Opfernden nur insoweit, als er sie geht. Abraham vermochte auch Isaak zunächst keine Antwort zu geben, wie Gott die Frage nach dem Opferlamm lösen werde. Aber im Glauben, dass Gott sich selbst ein Opferlamm ausersehen werde, baute er den Altar, gab er den Isaak, vollzog er den Auftrag, soweit er ihn verstanden hatte. Die göttliche Lösung der Frage nach dem Opferlamm erlebte er erst während seines Handelns.
„Da rief ihm ein Engel Jahves vom Himmel zu und sprach: Abraham! Abraham! Er sprach: Hier bin ich. Da sprach er: Strecke deine Hand nicht an den Knaben und tue ihm nicht das Geringste; denn jetzt habe ich erkannt, dass du gottesfürchtig bist und hast mir deinen Sohn, deinen einzigen Sohn, nicht verweigert.“
Das war eine Lösung seines inneren Konflikts, eine Aufhebung der Gegensätze zwischen Offenbarung und Offenbarung, wie allein Gott sie zu geben vermag. Jetzt begriff Abraham, dass es von Gottes Seite nur eine Prüfung, von seiner Seite jedoch eine erlebte Hingabe gewesen war. Und diese wollte Gott erreichen. Nicht ein Menschenopfer, nicht den Isaak als blutiges Opfer verlangte Gott, sondern den sichtbaren Erweis, dass der Glaube Abrahams Ihm auch das Letzte und Teuerste als Ausdruck der Anbetung zu bringen vermochte. In Isaak hatte sich Abraham selbst geopfert und den Weg nach Morija als einen Weg zur Anbetung bezeichnet.
Nun sorgte Gott selbst für das eigentliche Opferlamm. Als Abraham seine Augen aufhob, sah er einen Widder, der durch ein Gehege an seinen [231] Hörnern festgehalten wurde. Er ging hin und opferte das Tier an seines Sohnes Statt. Isaak empfing er jedoch wieder und zwar als eine Gabe, die er hinfort nicht mehr selbst besaß, sondern die Gott geopfert war. Und nie wird die Geschichte Israels eher zur Ruhe kommen, bis Gott dieses Ziel mit dem ganzen Volk wird erreicht haben. Die „Akedah Jischaks“, die Hingabe des Höchsten und Letzten, stand am Ende der Glaubenswege Abrahams. Sie steht auch am Ende der Geschichte Israels. Erst wer Abraham verstanden hat, versteht auch Gottes Absichten mit diesem Volk. Wohl irrt es heute. Wohl trägt es wieder Jahrtausende das Joch der Staaten, überall heimatlos und doch nicht verlassen, überall zertreten und doch nicht sterbend. Was wird es sein, wenn Gott wieder mit diesem Volk beginnen und es so erlösen wird, dass es auch den Weg nach Morija geht, und in der Opferung seiner letzten und höchsten Gaben einen Ausdruck der Anbetung sieht. So steht die Akedah Isaaks am Ende der Geschichte Abrahams und wirft ihr prophetisches Licht über die dunklen Jahrtausende des jüdischen Volkes und lässt am Ende seiner Geschichte jenen Tag sichtbar werden, wo das ganze Volk sich selbst in seinem Opfer Gott darbringen wird.
Denn wozu Völker erlöst werden sollen, [232] dazu wird Israel als Erstgeborener zu vor erlöst worden sein. Wenn die Offenbarung davon spricht:
„In ihrem Lichte werden die Völker wandeln, und die Könige der Erde werden ihr die herrlichsten Geschenke bringen. Tagsüber - denn Nacht wird es dort nicht geben - sollen ihre Tore nie geschlossen werden, sodass man fort und fort die kostbarsten Schätze der Völker in ihre Mauern bringen kann“, -
so muss Israel als Erstgeborener und Auserwählter zunächst dazu erlöst werden. Was wird das für eine Finanzverwaltung der Völker sein, wenn ihre Schätze und Kostbarkeiten nicht mehr dem Moloch ihrer Machtgelüste und dem Wahn ihrer Selbstvergötterung geopfert werden, sondern in ihrer Hand auch zu einer Akedah Isaaks, zu einem Opfer geworden sind, in welchem sich ihre Anbetung und Hingabe an Gott ausdrückt!
Was Wunder, wenn die Kirche des neuen Bundes je und je in diesem Opfer ein Vorbild auf das größte aller Opfer gesehen, das Jesus als das Opferlamm schlechthin Gott dargebracht hat. Über sein Kommen, Dienen und Leiden stand das Wort Abrahams:
„Siehe, hier bin ich!“
Und als er erkannt wurde, wies der große Gottesbote an den Ufern des Jordans auf ihn hin mit den Worten:
„Siehe, das ist Gottes Lamm!“
In [233] seinem Leben war alles Hingabe an den Vater, alles Dienst unter den Brüdern, alles Leiden für die Welt. Ohne sichtliches Eingreifen in den Verlauf der Geschichte schuf Er doch ein so völlig Neues, legte Er den Anfang zu einem Reich nicht von dieser Welt, wie es durch das Eingreifen Nebukadnezars, Xerxes und Alexanders in das geschichtliche Geschehen ihrer Zeit niemals erreicht worden war. Die Wirkungen dieser Größen der damaligen Weltgeschichte verliefen „horizontal“, die Wirkungen Jesu „vertikal“, bemerkt sehr treffend Paul Jäger in seinem Bande: „Wege zu Christus“. Bei Jesus handelte es sich um „eine Verfassung der Seele“, um eine völlig neue Stellung allem Geschehen gegenüber. Er kam von Gott aus zum Menschen und führte daher den Menschen wieder zurück zu Gott. Er sprach vom Vater, daher sahen die Menschen auch in Gott einen Vater, und zwar „Gnade und Wahrheit“.
Und um diese seine prophetische Messiasmission ganz zu erfüllen, konnte er leiden und sterben um der Botschaft willen, die er der Welt zu bringen hatte. Die Welt, die ihn kreuzigte, verließ er mit den Worten:
„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“.
Zum Propheten wurde er durch sein Wort, zum Priester [234] durch seine Leiden, zum Heiland der Welt durch seine Auferstehung.
„Da nannte Abraham den Namen dieses Ortes: Jahve schaut! welches heute also auszusprechen ist: „Auf Jahves Berg wird man geschaut.“
In diesem neuen Gottesnamen drückte Abraham die ganze Tiefe und Fülle des von ihm Erlebten aus. Er hatte einen neuen Wesenszug in der Majestät seines Gottes entdeckt: „Auf Jahves Berg wird man geschaut“.
Keine Tiefen unseres Seelenlebens, keine Beweggründe unserer Handlungen, keine Äußerungen unserer Liebe und Hingabe bleiben da dem Auge des Allmächtigen verborgen. Wer sich auf Morija mit seinem Opfer meldet, wer da bereit ist, das Teuerste seiner Seele Gott zu bringen, der sieht sich hinfort in seinem Leben von Gott verstanden wie nie zuvor. Wie hinfort die Welt das Opfer auch beurteilen mag, welch eine Sprache selbst im engsten Jüngerkreise über solch ein Nardenopfer einer Mariaseele geführt wird, man ist von Gott geschaut worden und steht im Frieden des göttlichen Urteils. Man zittert nicht vor Gott ob zurückgehaltener, geheimgebliebener Lebensgebiete. Denn man kann vor seinem Auge nichts verbergen und man hat nichts zu verbergen. Wer sich in seiner teuersten Gabe selbst geopfert, der hängt nicht mehr an den einzelnen Gaben und Segnungen. Was [235] solch ein Leben hinfort reich und köstlich macht, ist nicht mehr die Größe und Fülle der Gaben, sondern die persönliche Angehörigkeit an den Geber. So einer Seele ist es weit wertvoller, dass Gott sie besitzt, als dass sie bestimmte Gaben von Gott besitzt. Von Christus ergriffen sucht sie Christus selbst zu ergreifen, weil hinfort der Seele keine Gabe seine Person mehr ersetzen kann. Die Gaben schwinden, ohne ihren Wert und ihre Bedeutung für die Welt zu verlieren, aber Gott selbst wird größer und größer in der ganzen Majestät seiner sich offenbarenden Persönlichkeit.
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