Glaube und Wut

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Handout
Was für ein Psalm, den wir eben gehört haben. Kein Text, den man gerne in seiner Stillen Zeit zur Erbauung liest oder geschweige denn, den man ernsthaft selber betet.
“O Herr, lass einen Ankläger gegen meinen Feind auftreten” betet der Psalmist. “Wenn das Urteil gefällt wird, soll er schuldig gesprochen werden. Selbst sein Gebet rechne ihm als Sünde an”. Oder: “Seine Kinder sollen zu Waisen werden, und seine Frau soll als Witwe zurückbleiben. “

Ein wütendes Gebet

Das klingt doch alles nicht nach großer geistlicher Reife, oder? Nach jemandem, in dem die Früchte des Geistes schon völlig ausgereift sind - Liebe, Friede, Freundlichkeit und Selbstbeherrschung. Das klingt eher nach dem Gebet eines armen, jähzornigen Sünders, der einen cholerischen Anfall hat.
Doch dann lese ich, wer den Psalm geschrieben hat und bin mir nicht mehr so sicher: König David. Jener König, den Gott unter allen Männern in Israel ausgewählt hatte, um sein Volk zu regieren. Jener David, von dem es in der Schrift heißt, er war ein “Mann nach dem Herzen Gottes”. Dieser David betet solche Worte.
“Niemand soll sein Andenken in Ehren halten und mit seinen verwaisten Kindern Mitleid haben.” Und: “Der Herr soll niemals das Unrecht vergessen, das die Vorfahren meines Feindes begingen.”
David lässt kein gutes Haar an seinen Gegnern. Er wünscht ihnen das Schicksal eines Hiob an den Hals. Wie dürfen wir das verstehen? Ich denke, die Antwort lautet schlicht und einfach:
Gefühle sind wie sie sind. Und sie dürfen zunächst mal auch sein, was sie sind. Auch rasende Wut und kochender Ärger. Vielleicht sogar ein Moment von Hass oder Zorn. Das erste, was wir aus der Schrift über Wut lernen: Sie gehört zum Leben dazu und sie darf beim Namen genannt werden.
Backpfeife Will Smith / Chris Rock:
Vor einer Woche fand in Los Angeles die Oscar Verleihung statt. Für gewöhnlich ein unaufgeregtes Schauspiel, mit einem sehr vorhersehbarem Ablauf von Lobesreden und Preisübergaben. Doch dieses Mal gab es ein besonderes “Highlight” der unschönen Art. Der Moderator des Abends war der Comedian Chris Rock. Dieser erlaubte sich während seiner Moderation einen geschmacklosen Witz über die kahl geschorene Ehefrau des Schauspielers Will Smith. Diese leidet seit einiger Zeit an krankhaftem Haarausfall. Daraufhin läuft Will Smith schnurstracks auf die Bühne und gibt dem Comedian ohne zu Zögern vor laufenden Kameras eine schallende Ohrfeige.
[Bild einblenden] Eine denkwürdige Szene.
Noch interessanter sind die öffentlichen Reaktionen am nächsten Tag. Einige Comedians melden sich öffentlich zu Wort und verurteilen den Witz als geschmacklos. Andere befürworten die Tatsache, dass hier ein Ehemann seine gedemütigte Frau verteidigt. Und wieder andere denken laut darüber nach, ob man in einer zivilisierten Gesellschaft solche Dinge nicht mit Worten lösen sollte, anstatt mit körperlicher Gewalt.
Doch was ist der Auslöser des Ganzen, könnte man jetzt fragen. Es ist eine Form von Wut. Zorn. Entrüstung, die sich hier in einem Moment zeigt. Möglicherweise war sie schon lange Zeit vorher in unterschwelliger Form da. Vielleicht gab es bereits eine Reihe kleiner Situationen, die jene angespannte Grundstimmung befeuerten. Die Zeitungen mutmaßen, dass die Ohrfeige eine lange Vorgeschichte zwischen den beiden Männern hatte. Und doch - exakt in diesem Moment ist es so weit, dass das Fass bei dem einen überläuft, das der Funke das Feuer entfacht und die große Explosion passiert.
So ähnlich wie bei einem Geysir. Diese heißen Quellen, die es vor allem in Island gibt.
[Videoclip einblenden]
Das heiße Wasser brodelt und kocht dauerhaft im Untergrund. Von außen sieht es ungefährlich aus. Doch dann kommt der Moment, wo irgendetwas passiert und das heiße Wasser schießt in einer Fontäne meterhoch in die Luft.
So kann Wut sich äußern. Besonders, wenn sie sich über einen langen Zeitraum angestaut. Wenn man versucht hat, sie wegzudrücken. Und dann kommt irgendein Trigger, ein Auslöser - vielleicht ein unfreundlicher Rüffel oder nur ein verächtlicher Blick und es platzt aus mir raus.
Neulich sagte mir jemand: “Ich habe gerade echt Probleme mit dem Gebot, dass wir als Christen unsere Feinde lieben sollen. Wenn ich über die Nachrichten höre, was dieser Putin mit den Menschen in der Ukraine macht - dann macht mich das nur zornig und wütend. Da kann ich nicht einfach sagen: Ich liebe jetzt aber meine Feinde.”
Da ist ganz viel Wut. Ärger. Zorn. Und er ist doch berechtigt, oder nicht?

Der Sinn des Gefühls

Wenn jedes Gefühl einen Sinn und eine Funktion hat, dann auch die Wut.
Wut kann uns auf Verschiedenes hinweisen: Zum Beispiel auf eine Ungerechtigkeit in unserem Leben oder bei anderen. Viele von uns werden das bei diesem Krieg so empfinden. Da geschieht eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Sie kann auch anzeigen, dass jemand übergriffig mir gegenüber ist oder mich vollständig vereinnahmt. So wie die Angst eine Bedrohung signalisiert, kann auch die Wut eine Gefahr anzeigen.
Manchmal kann Wut ganz einfach anzeigen, dass mir jemand oder etwas gerade wertvolle Zeit stiehlt, weil er in einem Meeting einfach nicht zum Punkt kommt oder die dritte Geschichte hintereinander erzählt. Das würden wir dann vielleicht als “genervt sein” betiteln, aber dahinter verbirgt sich meistens auch Wut.
Und im Hintergrund der Wut steht fast immer ein Bedürfnis, das nicht erfüllt ist.
Einschub: Natürlich können wir nicht immer erwarten, dass dieses Bedürfnis auf schnellstem Wege erfüllt wird. Zu einem erwachsenen Umgang mit Gefühlen und Bedürfnissen gehört auch, zu verstehen, dass ein Befdürfnis möglicherweise gerade nicht erfüllt werden kann. Diese Einsicht kann bereits Wunder wirken, wenn es um den kurzfristigen Umgang mit starker Wut und aufkochendem Ärger geht.
Ein anderer Aspekt kommt hinzu, wenn wir noch einen weiteren Begriff für Wut betrachten - die Aggressionen.
“Aggression” (lat. aggressio): auf etwas/jmd. zugehen, Angreifen, sich nähern, eine Sache angehen
Damit sind Aggressionen erst einmal neutral. Ich kann auf jemandem zu gehen, in böser und in guter Absicht. Eine Sache angehen kann ich mit dem Wunsch, sie positiv zu verändern oder aber, um etwas zu zerstören. Das hängt dann sehr von der Intention und der Haltung des Aggressors ab.
Dieses Moment kann man auch im Predigttext wiederfinden. Es ist nicht nur ein Gebet voller blinder Wut, dass wir hier wiederfinden. Es ist ein aggressives Gebet, in dem König David mit seinen Worten Gottes Gerichtshandeln in Bewegung setzen möchte. Er wünscht sich, dass sich etwas an seiner Situation verändert, dass er nicht länger zum Spielball seiner Feinde gemacht wird.
Und aus psychologischer Sicht ist das eine gesunde Reaktion. Es ist gut, wenn sich Widerstand in uns regt, sobald jemand uns verleumdet oder übervorteilt oder uns Schaden zufügen will. Wut ist hier eine notwendige Schutzreaktion.
Man kann zwar mit Recht fragen, ob es sich für einen gläubigen Mann gehört, seinem Feind schlimme Dinge an den Hals zu wünschen. Und da muss man schon sagen, von dem Gebot der Feindesliebe Jesu her, haben wir noch einen anderen Blick auf diese Dinge. Doch das entscheidende hier ist, dass David auch diese Zerstörungswut an Gott richtet. Anstatt selbst tätig zu werden und die Feinde zu zerstören oder zu demütigen, richtet er sich an Gott, in dem Wissen, dass er damit umgehen kann.
Wie der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt:
Römer 12,19 LU
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben : »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.«
Wenn das der Ausgangspunkt ist, dass wir die Rache Gott überlassen, dann wird auch unser Ärger seinen angemessenen Platz bekommen. Aber das können wir nur in dem Wissen tun, dass Gottes Zorn gerecht ist.

Der wütende Gott?

Dazu muss ich sagen: Ich spreche nicht so gern über den Zorn Gottes. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Zorn immer irgendwie negativ klingt. Wobei Gott für mich der durch und durch liebende Gott ist. Er ist nicht “lieb”, aber Er liebt mit allem was Er ist.
Er ist die Liebe selbst.
Aber zur echten Liebe gehört es, dass sie Unrecht und Missbrauch nicht einfach hinnimmt, dass sie nicht wegschaut oder gar zustimmt, wenn Menschen einander schlimme Dinge antun.
Was wäre das für eine Liebe?
Was wäre das für ein Gott, der einfach wegschaut oder den das Leid der Menschen nicht berührt?
Aber eben weil Gott nicht so ist, müssen wir auch vom Zorn Gottes reden. Wenn die Armen und die Schwachen von den Machthabern der Welt drangsaliert werden. Wenn kleinen Kindern schon durch einen Krieg die Heimat geraubt wird. Wenn unsere Hartherzigkeit einen Menschen in’s Abseits befördert und er oder sie keine Chance hat, zurück in Gemeinschaft zu kommen - dann bäumt sich in Gott ein massiver Widerstand auf. Dann reagiert Er gerade nicht teilnahmslos und abgeklärt. Dann reagiert dieser Gott betroffen und engagiert und… zornig. Denn das ist die einzig angemessene Reaktion auf das unfassbare Unrecht dieser Welt. Gott stellt sich selbst in der Schrift als “Rächer der Witwen und Waisen” vor.
Er selbst tritt für sie ein. Da ist ein aggressives Moment in Gott. Denn es ist unserem Gott ein Herzensanliegen, dass Unrecht beim Namen genannt wird und dass sich die Dinge zum Besseren verändern.

Ein zweischneidiges Schwert

Damit sind wir dann wieder beim Thema Aggression. Ich habe es vorhin bereits angedeutet. Aggressionen können gute oder schlechte Ziele verfolgen. Der Pastoralpsychologe Michael Klessmann unterscheidet die verschiedenen Zielsetzungen von Aggressionen folgendermaßen:
In guter Absicht:
“Aggression kann das Ziel haben, die eigene Kraft und Macht einzusetzen, Kontakt (wieder)herzustellen, aus einer festgefahrenen Situation herauszufinden,
eine Verletzung oder Kränkung des Selbstwertgefühls zum Ausdruck zu bringen und wiedergutzumachen, sich von einem Übergriff zu distanzieren, gegen Widerstände ein bestimmtes Ziel zu erreichen”
In schlechter Absicht:
“Aggression kann das Ziel haben, das Gegenüber zu schädigen, zu verletzen, zu quälen, zu demütigen, vielleicht sogar zu vernichten.”
(Michael Klessmann)
Über das zerstörerische Potenzial von Aggression muss ich nicht weiter sprechen. Die Beispiele stehen uns alle vor Augen. Aber was ist mit dem Potenzial zum Guten? Darunter kann sich vielleicht nicht jede etwas vorstellen.

Kraft zur Veränderung

Wenn unsere Wut uns einen Missstand anzeigt, zeigt dass etwas nicht stimmt, dann gibt sie uns auch die Energie, etwas daran zu ändern.
Wir alle kennen das wahrscheinlich, wenn wir Zuhause ein großes Chaos haben. Das Ordnungsgefühl ist sicher bei uns allen unterschiedlich ausgeprägt, aber irgendwo haben wir alle unsere Grenze, wann es uns reicht. Dann packen wir die Unordnung an und räumen auf.
Was gibt uns die Kraft dazu? In der Regel sind das Aggressionen. Sie setzen uns in Bewegung. Sie bäumen sich auf, gegen unsere Bequemlichkeit. Gegen unsere Gleichgültigkeit.
Man kann es auch im größeren Stil sehen. Wo immer Menschen aufgestanden sind und etwas verändert haben - in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, im Kampf gegen die Apartheit, selbst in der Klimabewegung unserer Tage; überall stand am Anfang die Wut über die aktuellen Zustände. Ein heiliger Zorn über das Unrecht und die Untätigkeit der Mächtigen. Überall waren Aggressionen im Spiel, die Menschen in Bewegung gesetzt haben.
Frage: Woran erkennen wir, ob unsere Wut schädlich oder hilfreicht ist?
Darauf antworte ich mit einem weiteren Zitat aus den Psalmen. Dort heißt es über Gott:
Psalm 30,6 (LU)
Denn sein Zorn währet einen Augenblick und lebenslang seine Gnade.
Wenn ich vom Zorn Gottes spreche, dann bedeutet das eben nicht, dass Gott ständig wütend ist, auf alles und jeden. Das Grundmotiv Gottes ist immer die Liebe und die Gnade. Deshalb wird hier gesagt, dass sein Zorn immer nur einen Augenblick währt. Das steht schon im Alten Testamen!!
Und das sollte auch unser Maßstab sein. Wir haben am Anfang des Gottesdienstes das Wort gehört: “Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.”

Du darfst sein, wie Du bist!

Gebete zum Umgang mit Wut:
Für diejenigen, die Probleme haben, ihre Wut zu bändigen und die unter ihrem Zorn leiden:
“Ewiger Gott, du hast mehr Geduld als ich. Du hast mehr Zeit. Wenn ich mich dir überlasse, habe auch ich Zeit. Du forderst nicht alles auf einmal. Während ich nicht mehr will, nicht mehr kann oder nicht weiter weiß, wirfst du den Samen aufs Land, bis er in mir Wurzel schlägt und wächst und Frucht reift aus meinem Leben. Deine Frucht. Amen.”
(Jörg Zink)
2. Für diejenigen, die ihre Wut gerne unterdrücken oder gute Miene zum bösen Spiel machen und die die Kraft zum Widerstand brauchen:
“Ich bitte dich, Gott, um die Kraft des Zorns, um den Mut zur Auseinandersetzung, um den aufrechten ehrlichen Weg. Treibe das falsche Lachen aus meinem Gesicht, die furchtsame Sanftmut aus meinen Worten, die Angst vor dem Streit aus meinem Herzen. Zerreiße das Netz der Zaghaftigkeit. Mach mich wieder frei zu sein, der/die ich bin.”
(Ulrike Wagner-Rau)
Psalm 109,30–31 (HfA)
Immer wieder will ich dem Herrn danken, in aller Öffentlichkeit will ich ihn loben. Er steht dem Wehrlosen zur Seite und rettet ihn vor denen, die seinen Tod fordern.
Ein völlig anderes Ende hat z.B. Psalm 58. Nicht immer kommen die Beter am Ende zu dem Schluss, dass sie Gott danken wollen. Und nicht immer kommen wir am Ende zu diesem Schluss. Es ist Gottes Gnade, wenn wir dazu in der Lage sind. Aber ich möchte zum Schluss noch einmal daran erinnern: Wenn sich bei dir nicht unmittelbar die Dankbarkeit über Gottes Gerechtigkeit einstellt - bedeutet das nicht, dass du zu wenig glaubst. Es kann auch einfach sein, dass deine Situation Ärger provoziert.
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