Die Erfüllung der Gebote
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Lesung: Matthäus 5,17-20
17 »Denkt ja nicht, ich bin gekommen, um das Gesetz und die Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um sie außer Kraft zu setzen, sondern um sie zu erfüllen.
18 Amen, das sage ich euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird im Gesetz kein einziger Buchstabe und kein Satzzeichen gestrichen werden. Alles muss geschehen, was Gott geboten und verheißen hat. 19 Keines der Gebote wird außer Kraft gesetzt, selbst wenn es das unwichtigste ist. Wer das tut und es andere Menschen so lehrt, der wird der Unwichtigste im Himmelreich sein. Wer die Gebote aber befolgt und das andere so lehrt, der wird der Wichtigste im Himmelreich sein.
20 Denn ich sage euch: Eure Gerechtigkeit muss größer sein als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Sonst werdet ihr niemals in das Himmelreich kommen.«
Ihr Lieben,
heute — am Israelsonntag — stellt sich uns Christen die Frage: Wozu dieses Alte Testament? Was machen wir mit dem Alten Testament? Brauchen wir es noch oder genügt uns nicht das Neue Testament, der Teil der Bibel, in dem uns von Jesus, dem menschgewordenen Gott erzählt wird?
Und es wäre ja auch viel einfacher würden wir das Alte Testament einfach weglassen. Dann hätten unsere Bibeln nicht mehr 2.000, sondern nur noch 500 Seiten. — Das hört sich doch schon freundlicher an! Da guckt man dann bestimmt auch eher mal rein und liest, was da steht. Die Konfirmanden wären auch glücklich, dass sie weniger zu lernen hätten. Und vor allem würden wir uns so vieler Seiten entledigen, die eh kaum jemand liest; wen von uns interessieren schon die Landverteilung Israels an die zwölf Stämme — oder Gesetze, die bis ins Kleinste regeln, was zu geschehen hat, wenn eine Kuh eine andere Kuh verletzt.
Schon seit vielen vielen hundert Jahren gab und gibt es Theologen, die das Alte Testament für uns Christen gern abschaffen wollen. Die angeführten Gründe sind dabei ganz unterschiedlich. Doch oftmals — so scheint es mir — geht es darum, sich der lästigen Gesetze zu entledigen, die Gott im Alten Testament gegeben hat.
Auch zu Jesu Zeiten spielte die Frage nach dem „Alten Testament“, wie wir es heute nennen, eine Rolle. „Jesus, da du ja ein wichtiger Lehrer sein willst, sag uns: Wie hältst du es mit den Geboten, die uns gegeben sind und mit den Dingen, die die Propheten gesagt haben?“ — Wenn in der Bibel von „Gesetz und Propheten“ die Rede ist, dann meint das immer die ganze Heilige Schrift Israels — das ganze Alte Testament.
Vielleicht gab es auch Leute, die gehofft hatten, Jesus würde hier etwas ändern, vielleicht Gesetze abschaffen, an denen man immer wieder scheiterte oder die einem nicht in den Kram passten.
Deswegen äußert sich Jesus zu seinem Verhältnis zur Heiligen Schrift seines Volkes: „Denkt ja nicht, ich bin gekommen, um das Gesetz und die Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um sie außer Kraft zu setzen, sondern um sie zu erfüllen.“ (V.17)
Dieser Satz hat es in sich! Wie so vieles, was Jesus sagt… Und er enthält gleich zwei wichtige Punkte. Zum einen: Die Heilige Schrift der Juden hat Bestand, sie behält ihre Geltung. Jesus wird ihren Inhalt nicht auflösen, nicht außer Kraft setzen. Die Gesetze bleiben bestehen.
Auch heute gilt noch: Ehre Vater und Mutter. — Du sollst nicht töten, nicht stehlen, nicht ehebrechen. — Bete nur Gott an. Und einiges andere…
Die Gesetze des alten Bundes haben Bestand. Jesus fordert uns auf, dass wir uns an ihnen orientieren.
Wie ernst es Jesus damit ist, das unterstreicht er zusätzlich:
„Amen, das sage ich euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird im Gesetz kein einziger Buchstabe und kein Satzzeichen gestrichen werden. Alles muss geschehen, was Gott geboten und verheißen hat. Keines der Gebote wird außer Kraft gesetzt, selbst wenn es das unwichtigste ist. Wer das tut und es andere Menschen so lehrt, der wird der Unwichtigste im Himmelreich sein. Wer die Gebote aber befolgt und das andere so lehrt, der wird der Wichtigste im Himmelreich sein.“ (V.18f)
Nicht ein einziger Buchstabe, auch nicht der kleinste soll weggenommen werden aus der Heiligen Schrift Israels — nicht einmal ein kleines Pünktchen. „Alles muss geschehen, was Gott geboten und verheißen hat.“ Jesus bekennt sich klar zu den Worten seines Vaters, sowohl zu den Geboten und Gesetzen als auch zu den hoffnungsvollen Verheißungen.
Die Pharisäer und Schriftgelehrten mögen hier gestaunt haben. Keine populistische Stimmungsmache gegen scheinbar unnütze Gebote, kein Abrücken von scheinbar überholten Hoffnungen, kein Abwenden von alten Traditionen. Jesus ist ganz mit den Pharisäern und Schriftgelehrten auf einer Linie — zumindest auf den ersten Blick.
Doch gleich grenzt er sich gegen sie und ihren Lebensstil ab: „Ich sage euch: Eure Gerechtigkeit muss größer sein als die der Schriftgelehrten und Pharisäer. Sonst werdet ihr niemals in das Himmelreich kommen.“ (V.20)
Auch dieser Satz hat es in sich! Sind die Pharisäer und Schriftgelehrten nicht die im Volk, die am gerechtesten leben, die ihr ganzes Leben den Gesetzen und Geboten Gottes unterordnen? Wie soll es möglich sein, größere Gerechtigkeit zu haben als sie?!
Im Folgenden wird Jesus ausführen, was er damit meint: „Ihr kennt das Gebot: ‚Du sollst nicht töten!’ — Ich sage euch aber: Schon wer seinen Bruder einen Dummkopf nennt, gehört vor Gottes Gericht.“ — Es geht bei Gottes Geboten nicht darum, nach den Schlupflöchern und Auswegen zu suchen, es geht nicht darum, sich alles so zurecht zu biegen, dass es für einen passt, sondern es geht darum, den Sinn von Gottes Geboten zu verstehen und danach zu handeln. Es genügt eben nicht, nur darauf zu verzichten, den anderen einen Kopf kürzer zu machen, sondern wir sollen nicht einmal schlecht über ihn reden, ihn nicht beleidigen, sollen unseren Streit beilegen. Wir sollen einander lieben, weil Gott uns liebt.
So könnte man es mit allen Geboten durchdeklinieren. Gottes Gebote sind nichts lebensfeindliches, sondern sie sind lebensfreundlich, lebensfördernd. Mit ihnen zeigt Gott uns, wie Er es sich erdacht hat, dass unser Leben gelingen kann. Sie sollen uns Orientierung geben, wenn unser Leben aus der Spur gerät, wenn wir nicht mehr wissen, wie wir zu handeln haben.
Wie Leitplanken, die links und rechts einer Autobahn stehen. Niemand beschwert sich über sie, denn jeder weiß: Sie sind ein Schutz, sie können mich retten, wenn ich aus der Spur gerate. Und normalerweise muss ich mich gar nicht mit ihnen beschäftigen, wenn ich den Blick immer nach vorn gerichtet habe.
Wenn wir den Blick immer auf Gott richten und Ihm nachfolgen, dann werden wir uns mit seinen Geboten gar nicht bewusst auseinandersetzen, denn ganz von allein werden wir in der Spur bleiben und wissen, was gut ist und was nicht.
Aber natürlich gelingt das nicht immer. Und dessen ist sich auch Jesus bewusst. Auch und gerade dann, wenn Er uns sagt, wie wir leben sollen. Natürlich gilt es diesem Ideal nachzustreben, natürlich sollen wir gerecht leben, tun was für unsere Mitmenschen und uns gut ist, demütig sein, andere höher achten als uns selbst und allein Gott anbeten. Auch und vor allem, weil es gut ist, so zu leben; weil wir darauf vertrauen können, dass Gott sich etwas dabei gedacht hat.
Doch auch Jesus weiß, dass wir daran scheitern werden. Er weiß es auch, wenn Er uns die Gebote auslegt und erklärt, wenn Er uns auffordert, dass unsere Gerechtigkeit die Gerechtigkeit der vermeintlich „Obergerechten“ übertreffen soll, weil es ihnen nur um sich selbst ging — nicht aber um das, was Gott wirklich meinte.
Und hier komme ich zurück zum ersten Vers unseres Predigttextes. Vielleicht weiß der eine oder andere noch, dass ich euch zwei Punkte versprochen hatte… Der erste war eben, dass Jesus die Heilige Schrift des Volkes Israel nicht außer Kraft setzt, sondern ihre Gültigkeit unterstreicht.
Der zweite Punkt besteht darin, dass Jesus gekommen ist, um das Gesetz und die Propheten zu erfüllen. In diesem Erfüllen steckt so viel drin. Jesus ist der Eine, der überhaupt in der Lage war, das Gesetz und auch die Propheten zu erfüllen. Er ist der Eine, der in der Lage war, vollkommen nach dem Gesetz zu leben. Er ist der Eine, der das Gesetz und die Propheten für uns erfüllt hat.
Manches aus dem Gesetz Gottes müssen wir deswegen nicht mehr tun: Wir müssen nicht mehr nach Jerusalem reisen, in den Tempel gehen — den es zur Zeit ja eh nicht gibt — und dort Tiere opfern. Wir müssen vor Gott kein Blut mehr vergießen, damit unsere Schuld gesühnt. Jesus hat dieses Blut längst für uns vergossen. Auch etliche Reinheitsvorschriften spielen für uns keine Rolle mehr — weil Jesus uns rein gemacht hat.
Man spricht bei diesen Dingen von den kultischen Gesetzen; sie sind durch Jesus erfüllt.
Was allerdings für uns Gültigkeit behält und was Jesus ja noch verschärft bzw. wie ich vorhin angedeutet habe, uns den wahren Sinn der Gebote aufzeigt, ist alles, was mit unserer Lebensführung zu tun hat; also die ethischen Gesetze, die uns zeigen, wie wir miteinander und auch mit Gott leben sollen. — Doch nicht sklavisch und ängstlich, sondern sondern voller Freude und Zuversicht weil in ihnen Gottes guter Wille zu erkennen ist; weil wir darauf vertrauen können, dass Gott es gut mit uns meint, dass Er sich etwas dabei gedacht hat.
Sein Wort hat Bestand, Seine Gebote haben Bestand, auch Seine Verheißungen haben Bestand.
Natürlich sollen wir uns also an Gottes Geboten orientieren — und zwar von ganzem Herzen und mit aller Kraft — doch nicht, um durch diese Gebote gerettet zu werden, das würden wir gar nicht schaffen, sondern weil wir längst gerettet sind! Weil Jesus alles erfüllt hat, uns das Leben in seiner ganzen Fülle gegeben hat, ist es unsere Antwort, so zu leben, wie der Vater es uns geboten und Jesus es uns vorgelebt hat — weil Gott weiß, was gut für uns ist und wie das Leben funktionieren kann.
Amen.